„Ein Zeitzeuge ist die beste quelle über die Vergangenheit, schließlich war er ja dabei“?

8 Antworten

Zeitzeugenberichte sind Oral History und müssen dementsprechend im Kontext der Erzählung kritisch betrachtet werden. Das heißt: Hinsichtlich der Interessenlage des Erzählers, dessen persönlicher, generationeller und gesellschaftlicher Legendenbildung sind sie zu überprüfen. Das gilt aber für andere Quellen ebenso und ist damit nicht wirklich ein besonderes Problem das nur Zeugenberichte betrifft.

Aber: Berichte, die unkritisch und unkommentiert als „Tatsachenberichte“ präsentiert und deren Kontext verwischt wird, indem sie thematisch zusammen geschnitten werden, sind allerdings genau das Gegenteil von seriösem Journalismus - auch wenn ZDF History (Guido Knopp) genau das sein will.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Ich halte das Zitat so für nicht sehr gut.

Ich würde es ändern und eher sagen, dass Zeitzeugen eine wichtige Quelle sind.

Ein Zeitzeuge kann einem nur die persönliche Sicht der Dinge schildern. Das ist enorm wichtig, aber nicht die beste Quelle. Es gibt auch nicht "die beste" Quelle im historischen Kontext. Seriöse Geschichtswissenschaftler tragen ein Bild aus vielen Quellen zusammen. Zeitzeugen sind da ein wichtiges Element, aber auf keinen Fall das Beste.

Der Zeitzeuge kann ja auch nur aus seiner subjektiven Sicht berichten. Ein Deutscher Landbewohner wird dir den 2. Weltkrieg anderes schildern, als jemand, der in Berlin oder Dresden gelebt hat.

Die Geschichtsschreibung hat zwei große Probleme. Und das sind die Quellen.

Die Zeitzeugen werden immer nur ihren subjektiven Eindruck wiedergeben. Das kann hilfreich sein stell aber immer auch nur einen Ausschnitt dar. Oft wollen sich Zeitzeugen auch selbst in einem anderen Licht darstellen.

Wenn man keine Zeitzeugen hat, so ist man auf Akten bzw. Dokumente angewiesen. Nur ist das alltägliche Leben nie wirklich in Dokumenten festgehalten worden. Keine Akte berichtet über die Alltäglichkeiten, also das was den Menschen eigentlich die meiste Zeit bewegt hat.

In dem Dilemma bewegen sich die Geschichtswissenschaftler immer.

Nur als Beispiel: Wenn hier Aussagen über die DDR kommen frage ich mich oft welche DDR meinen die? Die DDR welche ich erlebt habe war irgendwie anders. Ganz schlimm wird es wenn die Aussagen von Leuten kommen welche die DDR nie selbst erlebt haben. Das ist oft grausam.

Wenn ich bedenke, wie Viele die DDR im Rückblick "gar nicht so schlecht" fanden, dann würde ich eher bezweifeln, dass das die beste Quelle sein soll.

cas65  24.04.2023, 17:22

Wenn dir die gehirngewaschenen Lehrkräfte lieber sind, für die die DDR nur aus Stasi und Mauer bestand... ^^

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GeneralPatton  24.04.2023, 17:23
@cas65

Für meine Geschichtslehrer bestand sie aus mehr. Aber Stasi und Mauer sind halt doch zwei sehr prägende Eigenschaften der DDR und für den Geschichtsunterricht wesentlich interessanter wie das "normale" Leben.

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Svensson70  24.04.2023, 17:25
@cas65

Sind Sie nicht. Aber aus eigener Beobachtung: In der DDR hat gefühlt fast jeder über diesen Staat geschimpft. Natürlich nur hinter vorgehaltener Hand.

Und jetzt hört man fast überall nur, wie toll das doch war und dass das alles gar nicht so schlimm war.

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cas65  24.04.2023, 17:36
@Svensson70

Vielleicht sieht man mit Abstand manche Dinge klarer? Womöglich lernt man Dinge erst dann zu schätzen, wenn diese "Selbstverständlichkeiten" auf einmal weg sind?

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cas65  24.04.2023, 17:37
@GeneralPatton

Geschichtsunterricht ist kein Entertainment. Und doch; gerade das "normale" Leben der Menschen ist das, was Gesichte ausmacht. Gerade SIE ist interessant - und wird vielleicht gerade deshalb gerne totgeschwiegen.

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GeneralPatton  24.04.2023, 17:41
@cas65

Das ist einfach nur grober Unfug. Natürlich wird im Geschichtsunterricht auf das normale Leben in der DDR eingegangen (war bei mir der Fall), aber historisch interessanter ist eben Stasi und Mauer. Das hat nix mit Entertainment zu tun. Es sind eben historische "Ereignisse". Das hat auch nichts mit "gehirngewaschen" zu tun.

und wird vielleicht gerade deshalb gerne totgeschwiegen.

Wo wird da was totgeschwiegen? Dass die Menschen in der DDR ein normales Leben geführt haben? Das ist doch grober Unfug. Aber es ist einfach nicht für alles ausufernd Platz und Zeit im Geschichtsunterricht.

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cas65  24.04.2023, 17:43
@GeneralPatton

Ich habe mich mit einigen jungen Menschen unterhalten, die die DDR nur aus dem Schulunterricht kennen. Und das Bild, was die mir von meiner eigenen Vergangenheit zeichnen wollten, war einfach nur verheerend, einseitig und damit schlicht falsch.

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GeneralPatton  24.04.2023, 17:44
@cas65

Das ist nun aber kein wirkliches Indiz für einen schlechten Geschichtsunterricht.

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Svensson70  24.04.2023, 17:47
@cas65

Sehe ich anders. Ich wüsste auch nicht was es an der DDR zu schätzen gab. Wenn man angepasst war, immer brav bei der 1. Mai- Demo dabei war und auf Nachfrage sein Sprüchlein als Bekenntnis zu "unserem Staat" aufgesagt hat, dann konnte man in bescheidenem Rahmen ein relativ ruhiges Leben führen.

Wie es Menschen ergangen ist, die sich nicht angepasst haben, die eigene Gedanken hatten und die auch noch die Frechheit besaßen diese auszusprechen, sollte bekannt sein. Hier ein ziemlich übles Beispiel, wo derjenige im Staatsgewahrsam ums Leben kam.

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Matthias_Domaschk

Was mit Menschen passierte, die einfach nur raus wollten, ist auch bekannt. Nur als kleiner Tipp: Die Sperranlagen an der Grenze waren nach Innen ausgerichtet. Sagt doch schon alles über diesen "Staat" aus.

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cas65  24.04.2023, 17:49
@Svensson70

Ich habe 25 Jahre dort gelebt. Und ich brauche weder Links noch Aufklärungen, wie mein Leben in diesem Land abgelaufen ist. Das vermag ich selbst schon sehr gut einzuschätzen. ^^

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Svensson70  24.04.2023, 17:54
@cas65

Lustig, ich habe 20 Jahre dort gelebt. Das, was ich verlinkt hatte, ist zufällig in meinem damaligen Wohnort passiert. Das war auch überall Gesprächsthema gewesen, aber eben nicht offiziell. Da haben die Meisten schön den Mund gehalten.

Auch ein schönes Beispiel, wie mit Nichtangepassten umgegangen wurde:

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Namenlos_(Band)

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cas65  24.04.2023, 18:03
@Svensson70

Lustig. In meinem Heimatort war die Stasi auch mal 6 Wochen lang an unserer Penne. Und sind dann unverrichteter Dinge wieder abgezogen mit eingezogenem Schwanz. Trotzdem sie mit offensichtlichen Lügen und entsprechenden Taktiken "recherchiert" haben. Leider gibt es dann dazu keinen so feinen wikipedia-link. ^^

Aber gegen all dieses schreiende Unrecht können kostenlose Kitas, eine solide Schulbildung, kostenlose Gesundheitsversorgung, subventionierte Wohnungen und Grundnahrungsmittel, das gesamtgesellschaftliche sich-Kümmern um JEDEN einzelnen, unzählige Angebote für Kinder und Jugendliche, ein bis heute unerreichtes SEROsystem, ein solider ÖPNV, hohe öffentliche Sicherheit und nicht zuletzt eine entlohnte Aufgabe für JEDEN natürlich nicht mithalten. ^^

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Svensson70  24.04.2023, 18:30
@cas65

Ein paar Punkte herausgegriffen:

kostenlose Kitas

https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/259587/fruehe-fremdbetreuung-in-der-ddr/

eine solide Schulbildung

Mit Fächern wie Wehrkunde, Staatsbürgerkunde und einem fragwürdigem System der Vergabe von EOS- Plätzen?

kostenlose Gesundheitsversorgung

Ich habe Anfang der 90er begonnen im Krankenhaus zu arbeiten. Hierbei handelte es sich um ein relativ modernes Haus. Aber selbst zu dieser Zeit und an diesem Ort habe ich eine sehr bescheidene Ausstattung kennengelernt. Ich sage nur Kanülen mit Widerhaken als Beispiel.

In anderen Kliniken sah es auch schon mal so aus:

https://m.youtube.com/watch?v=Qpwj5k0zYDs

subventionierte Wohnungen

Entweder im maroden Altbau mit Duschkabine in der Küche und Etagenklo oder in der Neubauwüste. Aber immer auf Zuteilung und nur mit Wohnberechtigungsschein.

Grundnahrungsmittel

Bei entsprechender Qualität und entsprechendem Angebot.

das gesamtgesellschaftliche sich-Kümmern um JEDEN einzelnen

Das ist ein Punkt, der mich am meisten genervt hat. Das ständige Stellung beziehen müssen, das ständige sich positionieren müssen. Die ständige Vereinnahmung, durch das Klassenkollektiv, durch das Arbeitskollektiv, durch die Pionier-, FDJ- Parteigruppe. Nie war man wirklich alleine und konnte sich individuell entwickeln. Das "Kümmern" durch die Armee, dass man auch ja nie Ruhe hatte im Leben (Wehr- und Reservewehrdienst)

Als Einzelgänger war das echt eine Zumutung.

hohe öffentliche Sicherheit 

Dafür gab es ja die Stasi. Was für ein Glück.

nicht zuletzt eine entlohnte Aufgabe für JEDEN 

Wenn man sich das Gehalt mal so angesehen hat, wäre die Frage, ob sich das wirklich gelohnt hat.

Übrigens es gab eine Arbeitspflicht. Wie man mit denen umging, die dieser nicht nachgekommen sind, kann man hier nachlesen:

https://www.hsozkult.de/event/id/event-58989

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cas65  24.04.2023, 18:46
@Svensson70

Ich habe darauf eine andere Sicht. Ich habe mich - bei allen Mängeln - in der DDR zuhause gefühlt. Bei allem, was es zu verbessern und zu kritisieren gab.

Zur Wende hat einer meiner damaligen Meister zu mir gesagt: "Nun haben wir eine Gesellschaft von gestern gegen eine von vorgestern eingetauscht." Und ja, das sehe ich bis heute so - und erkenne, dass der Staatsbürgerkundeunterricht uns schon recht gut erklärt hat, was uns hier erwartet.

Ich könnte dir mindestens ebensoviele Gegenbeispiele bringen. Gerade auch zum Thema Gesundheitswesen. Widerhakennadeln? Okay. Auch die Westmedizin hatte noch nicht die Technik von heute. Heute findest du nicht mal mehr einen Hausarzt! Von Facharztterminen ganz zu schweigen.

Bildungssystem? Sogar die skandinavischen Länder haben es beachtet und fahren damit heute sehr gut im internationalen Vergleich.

Sicherheit? Nein, nicht Stasi. Das war u.a. der gute alte ABV um die Ecke, der mit dafür sorgte, dass man u.a. bedenkenlos seinen Kinderwagen vor der Kaufhalle parken konnte. Mit Kind, wohlgemerkt. Mach das mal heute...

Lohn? So wenig ich damals auch verdient habe - ich hatte zumindest keine Existenzangst.

Nahrungsmittelqualität? Na wenn dir die heutigen aufgeblasenen Brötchen für 50 ct besser schmecken...

Kümmern - ich fand es gut, dass Behinderte in richtigen Betrieben integriert waren und nicht in WfbM abgeschoben wurden. Ich fand es richtig, dass man Jugendlichen sowohl Partys als auch sinnvolle Freizeitangebote machte. Heute wissen sie vor Blödheit ja oft nicht mehr wohin - bloß gut, dass sie sich per Smartphone ruhigstellen lassen, dass nebenbei ganze Stasi-Heerscharen spielend ersetzt. Warum wohl wurde z.B. Pokemon-Go wohl mit CIA-Geldern finanziert... Weil die so gerne Leute bespaßen?

Damit möchte ich diese fruchtlose Debatte dann auch beenden. Ich werde deine Sicht nicht ändern - und du nicht meine.

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Svensson70  24.04.2023, 19:00
@cas65

Ich kann schon verstehen was Du meinst. Und ich habe das auch nicht ausschließlich als finstere Diktatur erlebt. Wir hatten- mit gewissen Einschränkungen- ein relativ normales Leben gehabt, das ist korrekt.

Aber ich habe eben auch beizeiten die Schattenseiten gesehen. In meiner damaligen Heimatstadt gab es eine Art Opposition, da hat man eben auch schnell mitbekommen, wie mit Andersdenkenden umgegangen wurde.

Bei meinem ersten Berlin Besuch war ich von der Mauer schockiert.

Und bei der Armee bin ich endgültig vom Glauben abgefallen. Was alles in einer sozialistischen Armee so möglich war...

Den Rest habe ich dann später erfahren.

Was mich stört ist, daß diejenigen, die damals ständig etwas von wegen "Scheißstaat" vor sich hingemurmelt haben, eben heute die DDR so abfeiern.

Das jetzige System ist auch nicht perfekt. Aber es lässt mir persönlich mehr Freiheiten.

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