Ein guter Mercedes 190er?

6 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Dieser anthrazitgraue 190er ist viel zu teuer - jede Wette, der Händler hat den für 500 Euro verstaubt aus irgendeiner Garage gezogen. Außerdem sieht man an einigen Bereichen (u.a. vorn rechts) Nachlackierungen, bei denen der Farbton nicht ganz getroffen wurde und das an typischen Stellen, an denen die 190er bzw. alte Mercedes generell ihre Rostprobleme haben. Außerdem steht der offenbar schon jahrelang rum, da helfen auch eine neue "Inspektion" (wie auch immer die aussehen mag, wahrscheinlich nur billigstes Öl und ein Filter sowie "mal drüberschauen" und Luft in die Reifen pumpen) und TÜV frisch nichts. Solche Autos muss man in der Regel ein zweites Mal "einfahren", meist sind alle Flüssigkeiten uralt (Sprit, Bremsflüssigkeit, Kühlmittel, Wischwasser usw.) und die Reifen, die Kerzen, Filter usw. sowieso. Das ist nicht empfehlenswert - noch nicht mal für jemanden, der sich auskennt.

Ich kenne mich sehr gut mit alten Mercedes aus, fahre auch so was und mache viel dran selber. Generell ist das ein schöner Einstieg ins Oldtimer-Hobby, aber nichts für Leute, die einfach nur "fahren" wollen. Man muss dazu sagen: Der 190er ist trotz seiner Ausmaße nicht mit aktuelleren Autos vergleichbar, was das Fahren angeht. Schon die erste C-Klasse (W202) ab 1993 liegt zwei Welten über ihm und ist ein ganz anderes Niveau - der 190er wirkt aus heutiger Sicht kleinwagenmäßig, fährt sich im übertragenen Sinne wie ein langes, schmales Kajak; er hat Probleme mit dem Geradeauslauf und die Lenkung ist indirekt. Das ist typisch Mercedes, damit kann man leben, aber für Anfänger oder Leute, "die den 190er cool finden, weil er so urig aussieht" ist das nichts. Die Motoren sind laut, die Getriebe knochig zu schalten mit teils nur vier Gängen, über Sicherheit brauchen wir nicht zu reden - das ist eigentlich ein Oldtimer im reinen Sinne, wenngleich sicher einer der Alltagstauglicheren. Fahre mal einen gleichaltrigen Audi 80 im Vergleich und du wirst wissen, was meine hier geäußerten "Kritikpunkte" des 190ers sind.

1982/83 war der W201 ohne Frage ein Quantensprung, aber schon Ende der 80er hatten ihn faktisch fast alle zwischenzeitlich erneuerten Mitbewerber überrundet - sogar der Opel Vectra A war im Vergleich komfortabler, geräumiger und fahrerisch aktiver (ich kenne die alle) und ein Mitsubishi Galant E30 war zumindest nicht schlechter. Ab dem Zeitpunkt zählte - wenngleich ich Mercedes-Fan bin und seit dem 123er dabei - eigentlich nur noch der Stern vorne drauf als Kaufargument. Der Mercedes 190E 1.8 ab April/Mai 1990 war nichts anderes als der Versuch, den Kauf eines schon zu diesem Zeitpunkt überlang gebauten Autos, das in vielen Eigenschaften nicht mehr richtig mithalten konnte, voran zu treiben indem man es etwas günstiger angeboten und sparsamer ausgestattet hat.

https://www.youtube.com/watch?v=jVm36qAlGbU

Typische Problemzonen sind defekte Zündschlösser, das ölsiffende Differenzial (aber wenn es trocken ist, ist es auch nix, denn dann rostet's^^), ausgeleierte Lenkungsteile sowie Rost an allen Ecken und Enden - der 190er ist ein sehr rostfreudiges Fahrzeug. Nur ein Beispiel: Wenn die Tür gaaaaaanz leicht oberhalb der Sacco-Beplankung angegammelt ist, kann man davon ausgehen, sie wegwerfen zu können. Ansonsten hat der 190er wenig spezifische Mängel, bei so einer alten Kiste ist vieles heute rein pflege- und wartungsbedingt. Ersatzteile liefert Mercedes bis auf seltene Interieurteile noch ab Werk binnen 24 Stunden, sie sind preislich im Rahmen. Da kann man nicht meckern, Mercedes ist hier gut aufgestellt.

Für den 190er sprechen die im Normalfall recht geringen Betriebskosten. Die Wartung ist nicht teuer und recht einfach: Eine Inspektion ist alle 20.000 Kilometer fällig, ein Ölwechsel alle 10.000 Kilometer und jährlich. Beim Öl reicht mineralisches 15W-40 aus, alles andere ist unnötig. Bremsflüssigkeit wird alle zwei Jahre fällig, Kühlmittel alle drei Jahre, jeweils am besten im Frühling. Die Kfz-Steuer ist im Rahmen, das H-Kennzeichen macht beim Benziner wenig Sinn: Viele 190er mit Ottomotor haben bereits einen Kaltlaufregler nachgerüstet bekommen, durch den sie Euro 2 erfüllen.

Der 190E braucht etwa neun bis zehn Liter Sprit auf 100 Kilometer (Super E5), mit der alten Viergang-Automatik einen guten Liter mehr. Die Reparaturen sind ein Fall für sich: Der 190er ist technisch zuverlässig, aber mindestens 28 Jahre alt - und da kann immer mal wieder was Unvorhergesehenes passieren. Die Ersatzteile sind bei Mercedes zwar nicht besonders teuer, aber das läppert sich auch, je mehr dass da fällig wird.

Das teurere Auto ist bei solchen Oldies nicht automatisch besser, es wird viel Schrott zu Höchstpreisen inseriert, um ahnungsloser Hipster abzuzocken, die einen "kultigen alten Benzer" haben wollen. Kleiner Tipp: Sobald Formulierungen wie "Liebhaberstück", "Sammlerzustand", "es gibt nicht mehr viele" oder "einer der Letzten in diesem Zustand" usw. verwendet werden oder das Wort "Kenner" in irgendeinem Zusammenhang verwendet wird, sollte man einen weiten Bogen drum machen, dann ist es in der Regel überteuerter Mist. Wenn bestimmte Farben als "sehr sehr selten" usw. bezeichnet werden, zeichnen sie sich dadurch aus, dass es sie sehr häufig gegeben hat - wirklich rare Farben wie Beryll-Metallic, Nutria-Metallic, Rosenholz-Metallic oder freakige frühe Töne wie Weizengelb oder Hellocker fallen optisch schon genug aus der Reihe und echte "Kenner" (!) wissen genau, was es damit auf sich hat.

An sich würde ich dir vom Kauf eines 190ers eher abraten und einen frühen C180 W202 suchen. Der ist in jeder Hinsicht besser, hat aber noch sehr viel uriges Mercedes-Flair der 70er und 80er in sich, dafür mindestens einen Airbag und ABS; er ist sparsamer, eher zu finden und man bekommt überwiegend ehrliche Autos, weil der W202 kein "Klassiker" ist bzw. kein Auto, mit dem die Leute meinen, Kiddies abzocken zu können. Und der 202 taugt als Alltagsauto immer noch, ich fahre ja täglich damit rum und sehe häufig alte C-Klassen verschiedener Motorisierungen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
Dennis02072002 
Fragesteller
 01.03.2022, 19:55

Vielen Dank für deine ausführliche Antwort

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Wenn du keine Ahnung von Autos, insbesondere Youngtimer und Oldtimer hast, solltest du beim Kauf unbedingt jemanden mitnehmen der Erfahrung auf diesem Gebiet hat.

Du solltest mit dem Objekt deiner Begierde eine Probefahrt zum TÜV machen und dort das Fahrzeug begutachten lassen.

Lucy2121  01.03.2022, 05:34

So umständlich? Einen Mechaniker mitnehmen oder von ihm das Auto kaufen lassen ist viel einfacher. So mache ich es immer.

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communicator9  01.03.2022, 05:47
@Lucy2121

Naja bei Youngtimer und Oldtimer gibt es halt so einiges zu beachten, auch was z.B. die H-Zulassung betrifft, da ist ein TÜV Gutachten fast Pflicht.

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Lucy2121  01.03.2022, 05:54
@communicator9

Ach so deswegen. Aber bei normalen Autos kann man das vom Mechaniker erledigen lassen.

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Dennis02072002 
Fragesteller
 01.03.2022, 05:35

Vielen Dank. Sind mit der TÜV-Begutachtung Kosten verbunden? Bzw. in welcher Höhe? LG

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Solche Karren (Für dein Budget bekommst du nur noch den schrottreifen Kram) sollte man NUR kaufen, wenn man selber schrauben kann. Wenn du jeden Kleinkram, und davon wirst du viel bekommen/haben, in der Werkstatt machen lässt, wirst du arm.

Wie du schon erkannt hast, Rost an allen enden. Ölfeuchte stellen an Motor, Getriebe, Hinterachse. Ausgeschlagenen Hardyscheiben der Kardanwelle, Achsgelenke ausgeschlagen.

Die Ersatzteilversorgung nimmt bei dem Modell mittlerweile ziemlich ab, darüber musst du dir im klaren sein, das es sein kann das gewisse Teile kaum noch lieferbar sind

rotesand  01.03.2022, 09:37

Lieferbar ist eigentlich alles immer noch - wenngleich man wissen sollte, dass es Engpässe bei Innenraumverkleidungen und Stoffen gibt. Vor allem seltene Farben wie Grün oder Mittelrot sind kaum mehr zu bekommen bzw. nur noch gebraucht.

Der Rest ist bei Mercedes zu bekommen, die Teileversorgung ist stabil - und weitaus besser als bei BMW.

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Schön dass sich jemand um das Kulturgut kümmern will. 5000 ist zu viel. Da muss er schon vom Blech io sein. Die werden aber viele Wehwehchen überraschen. Das wird im Nachhinein teuer. Und wie schon DerBayer80 richtig schrieb auch sehr umfangreich. Deshalb mit frischen TÜV kaufen und keine Ausschlüsse auf dem Kaufvertrag. Ansonsten Preis herunter.