Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt?! Sartre und die Freiheit

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Jean-Paul Sartre vertritt (dargelegt z. B. in seinen Werkem „Das Sein und das Nichts“/„L'Être et le néant“ „L'existentialisme est un humanisme“/„Der Existentialismus ist ein Humanismus“) als einen wichtigen Grundsatz seines Existenzialismus die Aussage: Die Existenz geht der Essenz voraus.

Die Existenz ist das Dasein. Dies wird auf das Dasein eines Menschen als Individuum mit seiner Subjektivität bezogen. Bei der üblichen Reihenfolge geht die Essenz (eine Wesensbestimmung; eine seiende Wesenheit/eine Washeit/ein Sosein von Sachen [in einem allgemein Sinn, also auch Personen eingeschlossen]).) der Existenz voraus. Nach Sartre ist die Reihenfolge umgekehrt. Die Existenz (die Tatsache, dazusein) der Menschen geht ihrer Essenz (dem Wesen; als das, was der Mensch ist) voraus. Daher müssen sie sich durch ihr Handeln in einem Entwurf immer wieder erschaffen. Es gebe kein fest bestehendes Wesen des Menschen (als Gattungswesen), keine allgemeine Natur des Menschen, sondern der Mensch ist, was er aus sich macht. Der Menschen existiere zuerst, begegne sich in seinem Dasein, trete in die Welt ein und tauche in ihr auf und definiere sich danach. Er habe einen Entwurf von sich selbst für die Zukunft. Der Mensch existiere in dem Ausmaß, in dem er sich verwirklicht und sei nichts anderes als sein Leben, die Gesamtheit aller Handlungen. Er müsse seine Existenz in einem freigewählten Entwurf wählen und sei zur Freiheit verdammt. Der Existenzialismus nimmt - in Entgegensetzung zu bestimmten metaphysischen und religiösen Ansätzen - keinen vorgegebenen Sinn des Lebens und keine festen Wesenheiten an, will aber dennoch zu einer Essenz (die nicht einfach nur subjektiv sein kann) kommen.

Das Leben hat nach Meinung Sartres an sich keinen Sinn und die Menschen sind äußeren Zufällen ausgeliefert. Aber sie tragen eine totale Verantwortung für ihre Existenz. Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt („L'homme est condamné à être libre.“). Sie besteht darin, das Gegebene auf sich zu nehmen und gleichzeitig zu überschreiten. Menschen können sich über ihre jeweilige Lage hinaus entwerfen, auch wenn sie dabei scheitern. Freiheit ist die kleine Bewegung in einem selbst ausgedachten Entwurf über die eigenen Bedingtheiten hinaus.

„Wähle dich selbst!“ hat Søren Kierkegaard, ein Vorläufer der Existenzialismus, in „Entweder-Oder“ formuliert. Sartre vertritt ebenfalls eine Selbstwahl. Sie besteht darin, daß der Mensch einen Entwurf von sich selbst in eine offene Zukunft hat. Da nach Sartres Auffassung der Mensch kein festes Wesen hat, gibt es kein vorgegebenes Selbst. Grundbedingung des menschlichen Daseins ist, mit einem Entwurf eine Wahl zu treffen. Dieser Freiheit kann sich ein Mensch nicht entziehen. Sogar eine Entscheidung, sich nicht zu entscheiden, wäre eine Entscheidung und ein Umgang mit Freiheit. Inhaltlich ist in dem Ausspruch nicht enthalten, was Menschen genau wählen sollen. Höchstens ein Ideal, authentisch zu sein, kann ihm entnommen werden.

Freiheit und Zwang sind Gegenteile. Im Begriff Freiheit sind Selbstbestimmung und die Möglichkeit einer Wahl enthalten. Sartre war in Bezug auf das Thema Freiheit kein Determinist, sondern hat den Determinismus (Standpunkt, der Wille sei in zwangsläufiger Notwendigkeit bestimmt) abgelehnt. Der Mensch ist nach seiner Auffassung in einer Situation nicht durch das Gegebene abschließend bestimmt. Er kann eine Stellungnahme dazu vollziehen und dem Faktischen auch ein Nein entgegensetzen. Dieses Freisein bedeutetet nicht, seine Wünsche und Pläne einfach verwirklichen zu können. Denn äußere Widerstände schränken die Freiheit dabei ein. Dies ändert aber nichts an der Freiheit, einen Lebenswurf zu haben, wobei immer wieder neu eine Wahl getroffen wird.

Sartre ist Materialist. Einen Freiheitsbegriff wie bei Kant oder dem Idealismus, der sich aus der Sphäre des Geistigen speist, kann man bei ihm nicht erwarten. Er vertritt eher einen Freiheitsbegriff wie er bei Epikur zu finden ist: Die Welt ist nicht deterministisch in sich abgeschlossen sondern in die Zukunft hin offen. In die Zukunft hin haben wir immer Handlungsalternativen, offene Denkmodelle, ja, selbst wenn wir sie nicht haben möchten, wir können uns dem Zwang zur Entscheidung nicht entziehen. Selbst wenn wir eine Entscheidung verweigern, entscheiden wir. Aus dieser Einstellung heraus in eine offene Zukunft sieht Sartre unsere Persönlichkeit nicht ausschließlich in der Vergangenheit und Erbanlagen endgültig festgelegt, sondern wie Nietzsche ist er der Meinung, dass wir in die Zukunft hinein unsere Persönlichkeit entweder selbst gestalten oder doch zumindest als Entscheidungsverweigerung von anderen (Religion, Clique, Mainstream, Werbung) entscheiden lassen. Für Sartre ist die Möglichkeit, sich in die Zukunft hinein selbst zu gestalten (natürlich im Rahmen der Naturgesetze und gesellschaftlicher Strukturen), das speziell Menschliche und Grund der Würde des Menschen. Ihn durch Zwang dieser Freiheit zu berauben, bedeutet, dem Menschen sein Menschsein einzuengen, ihn seiner Würde zu berauben.

Ich kann natürlich nicht sagen, was Sartre damit sagen wollte, aber "wähle dich selbst!" ist eine doppeldeutige Aufforderung, die eigene Freiheit selbst zu erkennen. Einmal der Appell als Ganzes gesehen und desweiteren sagt "wähle" allein schon aus, dass man eine gewisse Freiheit besitzt. "Wähle!" als Aufforderung sagt aus, dass jemanden anderen die Freiheit zugestanden wird, sich etwas auszusuchen.
Ansonsten müsste man den Zusammenhang kennen. Wenn man zum Beispiel die Wahl hat, sich den Regeln anderer zu unterwerfen oder seinen eigenen Weg zu gehen, könnte es als Ansporn gedacht sein, sein Selbst nicht zu verlieren.

"Freiheit verträgt keinen Zwang": Ganz eindeutig: Der Zwang ist der Feind der Freiheit. Wer zu etwas gezwungen wird, ist in dieser Hinsicht unfrei.
Dieser Spruch ist etwas kurzsichtig, denn es kann zum Beispiel ein Zwang notwendig sein, um die Freiheit anderer gewähren zu können.
Beispiel: Es gibt keine Gesetze. Es herrscht Mord und Totschlag. Keiner traut sich mehr aus dem Haus. Sehr viele fühlen sich gezwungen, im Haus zu bleiben, weil sonst jemand, der sie nicht mag, sie einfach ohne Konsequenzen töten könnte. Zwingt man die Menschen über Gesetze zu einem verantwortungsvolleren Umgang miteinander, können sie sich wieder vor die Tür trauen und haben somit sogar an Freiheit gewonnen.

Noch eine Ergänzung zu „Freiheit verträgt keinen Zwang“ (zu „wähle dich selbst“ ist alles schon gesagt worden): Sartre meint hier wohl den Zwang, der von den „en-soi“ ausgeht; das sind die Dinge der Umwelt, die einen „vereinnahmen“ wollen, die eine geradezu „klebrige“ Wirkung ausüben, u.a. auch die Blicke der anderen, die einen „beurteilen“, abschätzen (Parallelbegriff dazu ist das „Man“ bei Heidegger). Von diesen „en-soi“ muss man sich frei machen, indem man sie „nichtet“, sozusagen ein Nichts zwischen sich und den „en-soi“ legt; dann erst wird man zu einem „pour-soi“ und ist wahrhaft frei und selbstbestimmt (bei Heidegger heißt „pour-soi“ soviel wie „Eigentlichkeit des Daseins“). Bei dem freien Selbstentwurf des Menschen (siehe hierzu das von anderen bereits Gesagte) stören immer wieder die „klebrigen“ en-soi’s“, sie wollen den freien Selbstentwurf unterbinden und einen in die Unfreiheit, in die Welt der leblosen Dinge herabziehen. Am deutlichsten hat Sartre dieses philosophische Konzept in dem Film „Das Spiel ist aus“ dargestellt. Der freie Selbstentwurf der bedingungslosen Liebe (zwischen dem Arbeiterführer und der reichen Gesellschaftsdame) wird von beiden versucht. Schon werden sie von den „Gesellschaftsfreunden“ der Frau lächerlich gemacht (Tanz auf einer Caféterrasse), d.h. die Blicke und die darin liegenden Urteile der anderen greifen sie an, versuchen sie von ihrem freien Entwurf wegzuziehen. Am Ende geben beide diesem Sog der gesellschaftlichen Zwänge nach und sind fortan dazu verurteilt, leblos und indolent im Jenseits umherzuwandeln; sie sind jetzt wahrhaft Tote.

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Freiheit definiert jeder anders. Was für den Einen Zwang ist, bedeutet für den Anderen Halt.