Bismarck-Karikatur interpretieren?

3 Antworten

1) Formalia

Die Karikatur ist am 2. April 1890 in der englischsprachigen, wöchentlich in den USA erscheinenden Satirezeitschrift „Puck“ auf der Titelseite (nicht aufgedruckte Seitenzahl 82) veröffentlicht worden (New York; Vol. XXVII.—No. 682).

Die Karikatur ist farbig, der Karikaturist ist Joseph Keppler (https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Keppler), unten links steht seine Signatur „J. Keppler“. Joseph Keppler und Adolph Schwarzmann waren damals Herausgeber der Satirezeitschrift „Puck“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Puck_(Magazin), links oberhalb der Karikatur sind „Keppler & Schwarzmann“ als „publishers“ angegeben.

Die Zeitschrift „Puck“ darf nicht mit der in London erscheinenden englischsprachigen Satirezeitschrift „Punch“ verwechselt werden, in der am 23. März 1890 in der auf den 29. März datierten Ausgabe zu dem gleichen Thema die Karikatur Dropping the Pilot (gängige deutsche Wiedergabe „Der Lotse geht von Bord“) von John Tenniel veröffentlicht worden ist.

2) Beschreibung

zu ergänzen ist:

Die Bildunterschrift ist „BISMARCK'S EXIT“. „Bismarck's exit“ bedeutet „Bismarcks Abgang“/„Bismarcks Abtritt“, /„Bismarcks Ende".

Bismarck steht links (für Betrachtende) im Vordergrund. Der auf den Thron und seinen Inhaber gerichtetet Blick ist ernst und besorgt.

Die im Hintergrund zwischen Säulen sitzende Frau hat einen stattliche, walkürenhafte Figur, trägt einen Brustpanzer und darauf abgebildet einen stilisierten Adler, einen Umhang über den Schultern, einen Armrief an nackten rechten Arm und ein Schärpenband mit der Aufschrift „GERMANIA“. Ihr Blick ist besorgt, auch der halbhoch gehaltene Arm zeigt Anspannung/Nervosität.

Rechts im Vordergrund befindet ein junger Mann mit hoch gezwirbeltem Schnurrbart. Er ist ziemlich klein und trägt eine Uniform (schwarze Stiefel, weiße Hose, dunkle Uniformjacke mit Schulterklappen, weiße Handschuhe) und eine sehr große Krone. Bei seinen Schultern fällt ein Krönungsmantel (rot und scharz-weißer Hermelinpelz) bis zum Boden herab. Der junge Mann spielt mit einer Puppe, die er mit beden Händen umfasst, als ob er sie hätscheln will. Die Puppe hat an Kopf, Armen und Benen eine Aufschrift „DYNAMITE“ („Dynamit“) und ihr Rumpf ist in rotes Tuch mit einer Aufschrift „SOCIALISM“ („Sozialismus“) gehüllt. Die Sitzfläche ist wie ein Thron (Stufenerhebung, ausgebreiter Teppich führt dort hoch, hinten Säulen und Wand), aber voller Waffen (Kanonenrohre, Kanonenkugeln, eine Lunte). Der junge Mann sitzt hingelümmelt, als ob er sich auf einer Bank räkelt, sein linker Fuß auf dem Boden, sein rechter Fuß halbhoch weit zur Seite bewegt. Hinten befinden sich viele Fechtwaffen an einer hufeisenförmigen Halterung.

3) historischer Kontext

Otto von Bismarck ist am 20. März 1890 aus einen politischen Ämter entlassen worden. Er war Ministerpräsident von Preußen seit 1862 (mit kurzer Unterbrechung von 1. Januar 1873 bis 9. November 1873, als Albrecht von Roon das Amt hatte), preußischer Außenminister seit 1862 und Reichskanzler des Deutschen Reiches seit 1871.

Mit Wilhelm II., seit 1888 König von Preußen und Deutscher Kaiser, war es bald zu Meinungsverschiedenheiten gekommen. Sie waren im Alter (Otto von Bismarck war 1890 75 Jahre alt, Wilhlem II. 31 Jahre), Charakter und und in manchen Auffassungen unähnlich. Bismarck hielt Wilhelm II. für unstetig und unzuverlässig, Wilhelm II. hielt Bismarck für verbohrt und seinen neuen Gedanken im Weg stehend.

Kaiser Wilhelm II. wollte ein „soziales Kaisertum“ mit verbessertem Verhältnis zur Arbeiterschaft. Bismarck versuchte - auch mit taktischen Gedanken, sich für Wilhelm II. als zur Aufrechterhaltung von Stabilität als unentbehrlich zu zeigen, und in einer Lage mit zunehmender innenpolitischer Ablehnung von verschiedenen Seiten - das »Sozialistengesetz« („Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“, zuerst vom 21. Oktober 1871, später mehrfach befristet verlängert) in einer ziemlich scharfen Fassung zu verlängern, während Kaiser Wilhelm II. dagegen war. Am 25. Januar 1890 scheiterten Verhandlungen mit dem Reichstag, das »Sozialistengesetz« weiter zu verlängern. Bismarck wurde im März zum Rücktritt aufgefodert und Kaiser Wilhelm II. entließ ihn nach einem auf den 18. März 1890 datierten Abschiedgesuch.

Die Entlassung eines langjährigen führenden Politikers wurde als Einschnitt empfunden.

4) Interpretation

einige Anregungen:

Die Redewendung „seinen Hut nehmen“ bedeutet übertragen „zurücktreten“, „seine Stellung aufgeben“, „sich verabschieden“/„seinen Abschied nehmen“.

Germania ist eine allegorische Figur, die in nationaler Personifikation für Deutschland steht.

Ein Adler ist als Reichsadler Wappentier des Deutschen Reiches gewesen.

Wilhelm II. ist auffallend klein dargestellt. Krone und Mantel sind im Grunde zu groß für ihn. Die Karikatur stellt ihn als jung und unreif dar, wie ein spielendes Kind.

Es wird eine Sorge betont, Wilhelm fehle (noch) das Format zu einem sichter leitenden, verantwortungsbewussten und weitsichtigen Staatsmann. Es wird eine Gefahr eines Unglücks mit Waffengewalt, einer politischen Explosion gezeigt. Einerseits kann dabei an ein Erstarken eines Sozialismus gedacht werden, andererseits an Aufrüstung und militaristische Großmachtpolitik.

Sowohl innnenpolitisch als auch außenpolitisch werden Sorgen und Ängste angedeutet.

Auf der folgenden Seite (S. 82) steht ein Gedicht, das eine anerkennende Würdigung Bismarcks und Besorgnis über einen allzu verwegenen Kaiser Wilhem II. enthält.

https://archive.org/details/sim_puck_1890-04-02_27_682/page/n1/mode/2up

 „BISMARCK'S EXIT“

Strange ending of it all! The Iron Hand

That swept up states into an Empire, held

The hammer of unchallenged power, to weld

Disunion into strength, make weakness grand,

And forge the war-sword of a Fatherland –

This mighty hand whose lightest sign compelled

The will of Europe; hand that smote and felled,

Made or unmade, as the stern spirit planned –

This hand at last is loosed, nor more shall hold

Its guiding grasp upon a nation's arm,

Or mark for her the path of peace again.

Let him go - an Emperor is come too bold

To need him, or to heed the land's alarm -

A boy who plays at making over Men!“

 5) Fazit

Mir ist nicht ganz klar, was als Inhalt dafür gedacht ist. Es könnte eine Zusammenfassung oder eine Beurteilung sein.

Anregungen zu einer Beurteilung:

Die Karikatur zeigt eindringlich eine Besorgnis nach der Entlassung Bismarcks, womit eine langjährige Ära endet.

Es wird Gefahr betont, wie im Einzelnen die Gefahr eintreten könnte, ist weniger deutlich in der Karikatur nachvollziehbar, nur eine grobe Richtung.

Den Gedanken eines „soziales Kaisertum“ als leichtfertiges Spiel mit einem gefährlichen Sozialismus zu verstehen, der wie eine Dynamitexplosion zum Ausbruch kommt, ist eine übertriebene Vorstellung, die nicht gut die Realität in Deutschland trifft, nur heraufbeschworene Ängste bei manchen Leuten.

Wenn ich das richtig lese, steht auf dem roten Gewand der Puppe "Socialism".

Meine Kurzinterpretation: Der "kleine" Wilhelm II hat nicht die Statur eines Staatsmannes, Bismarck lässt den Kaiser mit einer Bombe, d. h. mit einem ungelösten Problem zurück.

Guck doch erstmal nach was 1890 alles passiert ist. Welche Auswirkungen hatte es, dass Bismarck gegangen ist? Gerade die Außenpolitik ist hier wichtig

Guck dir nochmal den Tron genau an, was fällt hier noch besonders auf.