Bedeutung von Her mit dem schönen Leben?

2 Antworten

Hey! Ich habe mir haargenau die gleiche Frage gestellt wie du... und bin als Akademikerin dann erstmal ans Bücher wälzen gegangen. Die Antwort, die ich gefunden habe, ist erstmal absurd, typisch und ironisch - sagt alles aus über die Probleme der heutigen Linken, die nur noch Hedonismus (und damit eigentlich Kapitalismus) suchen! Eine Sache vorweg - ich kann kein russisch, habe aber auch auf russisch gegoogelt und dann über deepl rück übersetzt). Ich würde also jemanden, der russisch kann, bitten auch noch mal zu suchen. Der Satz "Her mit dem schönen Leben" kommt als erstes und als einziges Mal mit Majakowski in Zusammenhang mit dem Band an Gedichten, Briefen und Fragmenten von Theaterstücken, die Thomas Brasch 1982 als Auswahl von zehn Sammelbänden von Majakowskis Werken 1980 im gleichen Verlag (Suhrkamp) veröffentlichte. Ich habe die 1982 Auswahl gelesen, die zehn Sammelbände sind noch nicht angekommen. Den Band "Her mit dem schönen Leben" zu nennen war ziemlich absurd von Thomas Brasch - die Zeile kommt nur ein einziges Mal vor, in einer Bildunterschrift!!! Das war's. Das Bild ist eine Karikatur, die Majakowski zeigt vom Karikaturisten-Trio Kukryniksy und erschien 1928 in der "Na Literaturnom postu". Brasch ist hier ungenau, aber es wirkt so als wäre das der Name den das Karikaturisten-Kollektiv der Karikatur gegeben hätte. Auf der Karikatur ist Majakowski zu sehen, komplett überbordend mit extrem albern aussehenden Fliegen umgebunden (drei Fliegen statt einer). Er macht sich über Exzess lustig. Im Hintergrund der Karikatur ist eine Kopie von "Novy LEF", der Kunstzeitschrift, die Majakowski herausgab und in der auch Kukryniksy veröffentlichten, sowie ein Bild von Lilja Brik, der menage à trois (drei....) großen Liebe von Majakowski, zu sehen. Worauf sich der Titel (? Brasch ist hier unklar) der Karikatur bezieht ist ... Achtung.... jetzt kommt's ganz dick... eine Reihe von Vorlesungen, die Majakowski 1927 in Russland, Deutschland, Polen, USA gegeben hat GEGEN den spießbürgerlichen bourgeoisen kapitalistischen Wohlstandsgedanken!!! Also das scheuen von Arbeit usw. und einen Anspruchsgedanken, der nur persönlichen Reichtum und dass es einem selbst gut geht, bedenkt. Laut Brasch hatte Majakowski seine Vorlesungsreihe selbst so spaßhaft beschrieben und beworben - dass dieser Wohlstandsgedenke, den Majakowski ablehnt, nichts wolle als "Her mit dem schönen Leben!" Also nur Anspruch ohne was zu tun. Und im gleichen Jahr (1927) hat Majakowski auch den Gegenentwurf geschrieben - also was Majakowski wirklich wollte. Nämlich ein Lobesgedicht auf die 10 Jahre seit der 1917 Oktoberrevolution, die dann auch passend "Gut" heißt (in deutschen Ausgaben oft als "Gut und schön"). Darin kommt eine solche Forderung aber nicht vor.

EidgenossinM6  29.05.2020, 02:57

Noch was vergessen: Brasch erklärt diese bizarre Auswahl als Titel in einem Klappentext - nämlich quasi dass er, Brasch, den Titel passend fand, da ironisch. Weil Majakowski sich auch ein gutes Leben vorgestellt hat, aber halt ein komplett anderes - nämlich Marx'sche Revolution. Aber Majakowskis Revolutionsverehrung wirke auf Braschs Zeitgenossen weird und voller Pathos, da der Staat nicht mehr ganz so krass offen tyrannisch sei. Er, Brasch, finde allerdings immernoch, dass man allen Staat umstürzen solle.

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EidgenossinM6  29.05.2020, 12:27

Weiterer Nachsatz: in Deutschland wurde der Spruch, mit dem Majakowski also das Gegenteil (!) aussagen wollte wie der Zusammenhang, in dem er heute gebraucht wird, einer breiteren Masse nicht bekannt durch Braschs Auswahl von Majakowskis Werken von 1982, sondern durch ein monumentales Graffito an der Kaimauer von Prora auf Rügen. Dieses Monumentalgraffito bestand schon 1992, also muss es direkt nach der Wende entstanden sein. Es existiert inzwischen nicht mehr, weil es übermalt wurde. Das Graffito hatte noch den gleichen, also von Majakowski intendierten Bezug der Kritik: Prora war ja ein durch die Nazis erbautes "Kraft durch Freude" Bad, dass Arbeiter statt an die Kommunisten an die NSDAP binden sollte durch geschenkte Urlaubsreisen und auch Hedonismus. Das Bad wurde wegen Krieg nicht fertig. Stattdessen wurden hier Nazi-Polizeibattalione ausgebildet, die dann in besatzten Ländern mit der SS zur Unterdrückung von Freiheitskampf eingesetzt wurden (einige der Prora Regimenter haben ganze Dörfer abgebrannt und alle Einwohner eines griechischen Dorfes ermordet). Danach wurde das ganze Sowjetmilitärsperrgebiet (nach 1945). Dann NVA, also DDR-Armee-Stützpunkt (immernoch Sperrgebiet). Dann wurden hier DDR-Kriegsdienstverweigerer, sogenannte Bausoldaten, eingesetzt, die aufgrund ihrer Anti-Waffendienst-Haltung vom Studium in der DDR an Unis aufgrund von quasi "Asozialität" ausgenommen wurden. Sie wurden stattdessen zu einem Bau-Ersatzdienst benutzt. Das heißt das "schöne Leben" kam nie - weder mit den Nazis, die durch Hedonismus Arbeiter an ihr Folterregime binden wollten und quasi betäuben, noch durch den "Realexistierenden Kommunismus" der DDR. Das Graffito, dass sich auf Braschs Auswahl von Majakowski bezog, war also genauso kritisch. Und ironisch - im Sinne von "wann kommt es denn jetzt endlich?! Alles, was ihr uns bisher mit 'schönem Leben' angekündigt habt, war Folter und Grauen und Unterdrückung. Ihr habt uns immernur mundtot durch Brot und Spiele machen wollen!"

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EidgenossinM6  29.05.2020, 14:28

Last but not least (in einem Kommentar wäre dieser Online-Artikel auch sehr lang geworden): aufgrund des bereits kurz nach der Wende auf die Kaimauer gemalten Graffitos und ohne die Aussage Majakowskis auch nur im Ansatz zu verstehen (quasi das Gegenteil!), wurden dann Anfang der 2000 unter diesem Motto Strandparties vor der Mauer organisiert. Die Techno-Strandparties, die von 2004 bis 2014 abgehalten wurden, hiessen dann also "Her mit dem schönen Leben". Daraus entwickelte sich die Techno-und Festival-Webseite "dasschoeneleben" (gibt's noch) und schließlich das Festival "Her mit dem schönen Leben" (2014) und dann der Ableger "Her damit" (2015, 2016). 2017 fand "Her damit" dann aufgrund von Gentrifizierung (Verlauf der Blöcke und Umwandlung in Luxusferienwohnungen) "im Exil" statt (also nicht mehr Prora). Das Festival hat Insolvenz anmelden müssen, weil ....eine weitere Ironie dieser ganzen aberwitzigen Geschichte und sowas von passend... weil die Organisatorin das Geld eingesackt hat und die Künstler und ihre Partner nicht bezahlt. Daher auch Abspaltung der Festivals - weil die anderen Organisatoren vom "Her mit dem schönen Leben" ihr Geld wieder wollten. Die noch kapitalistischere Umbenennung "Her Damit" passt aufgrund des Klaus natürlich perfekt (was ist kapitalistischer als die Ausbeute?!) Nachzulesen online hinter paywall in einem sehr guten und ausführlichen Recherche- und Investigationsartikel des aktuell selbst aufgrund von Corona kurz vor Pleite stehenden Groove-Magazins. Sehr empfehlenswert! Die Blöcke von Prora sind inzwischen alle in Luxusvillen für reiche Berliner und Wessis verwandelt worden mit überall "Privat! Betreten verboten" Schildern.

UND SO WIRD MAJAKOWSKI PERFEKTES SYMBOL FÜR DAS SCHEITERN DER AKTUELL HEDONISTISCHEN JUGEND DURCH KAPITALISMUS. ;) Und wir Linken sollten jetzt aufhören den Spruch falsch zu benutzen, sondern so wie von Majakowski intendiert.

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RichardDritte  10.11.2021, 07:44

Herzlichen Dank für Deine großartigen Texte - sorgfältig recherchiert und sprachmächtig gedeutet. Es ist wunderbar, dass ein Text so viele Bedeutungen tragen kann. Es war eine Freude Deine Gedanken zu lesen.

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Das kommt soweit ich weiß vom russischen Dichter Wladimir Majakowski.

Der Spruch wird heute meistens so benutzt, dass man eben das "schöne Leben" haben möchte, was das bedeutet kann grundsätzlich jede*r indivuell bestimmen, da es aber wie gesagt eher in der politischen Linken benutzt wird stellt man sich natürlich ein Welt ohne Kapitalismus, Leistungsdruck, Armut etc. vor.

Toni0708 
Fragesteller
 26.09.2016, 16:45

Also wird der Spruch einfach nur genutzt, weil er schön ist? Theoretisch könnten ihn dann ja auch rechtsextreme benutzen wenn da keine weitere Bedeutung hinter steht 

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MrHilfestellung  26.09.2016, 16:47
@Toni0708

Theoretisch ja. 

Es ist halt zum größten Teil einfach eine schöne Parole, wobei Majakowski Kommunist war.

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EidgenossinM6  29.05.2020, 14:46
@Toni0708

Schau dir mal meine Antworten an - das hatte schon Sinn! Nur meinte Majakowski das absolute Gegenteil von dem, wie der Spruch heute verwendet wird!

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Toni0708 
Fragesteller
 26.09.2016, 17:07

Achsooooo na dann macht das ganze ja doch ein wenig

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Toni0708 
Fragesteller
 26.09.2016, 17:07

Sinn

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