Unendlich ist ein künstliches mathematisches Konzept. Dieses (wie in deinem Auto-Beispiel) auf den realen Alltag zu übertragen, geht in der Regel schief.
Um das Konzept verschiedener Unendlichkeiten zu verstehen, sollten wir uns Unendlich nicht als Zahl, sondern besser als Anzahl vorstellen.
Der Begriff der Anzahl ist natürlich eng mit der Mengenlehre verbunden: Wir verstehen eine Anzahl als Anzahl der Elemente einer Menge. Im Folgenden werden wir diese Idee formal präzisieren.
Alles beginnt mit der Menge der natürlichen Zahlen IN, die "vom Himmel fällt" (präziser: axiomatisch postuliert wird) und in der die Zahlen 1, 2, 3, 4, 5, usw. enthalten sind. Alles Weitere wird auf Basis der natürlichen Zahlen formal präzise aufgezogen.
Wir gehen in zwei vor:
- Definition: Was ist eine endliche Menge und was eine unendliche Menge?
- Definition: Wann sind zwei Mengen gleich groß?
Unendlichkeit: Was ist eine endliche und was eine unendliche Menge?
Ich werde das an dieser Stelle nicht streng formalisieren, denn die Intuition genügt: Eine Menge ist endlich, wenn wir alle Elemente nacheinander aufschreiben können und irgendwann fertig werden. Eine Menge ist unendlich, wenn sie nicht endlich ist.
Eine unendliche Menge ist also einfach eine nicht-endliche Menge. Das trennt die Mengen bezüglich der Anzahl schon mal in zwei Gruppen auf. Wir werden sehen, dass wir die Gruppe der unendlichen Mengen in noch feinere Teilgruppen auftrennen können.
Mächtigkeit: Wann sind zwei Mengen gleich groß?
Zunächst wollen wir definieren, wann zwei Mengen als gleichmächtig (sozusagen gleich groß) gelten sollten und zwar wie folgt: Zwei Mengen seien gleichmächtig, wenn jedem Element der einen Menge eindeutig ein Element der anderen Menge zugeordnet werden kann, sodass (und das ist der wesentliche Punkt) jedes Element beider Mengen genau einen Partner in der anderen Menge hat, d.h. diese Zuordnung umfasst alle Elemente beider Mengen.
Formal: Zwei Mengen sind gleichmächtig, wenn eine sog. Bijektion zwischen beiden Mengen existiert.
Damit sind die Menge der ungeraden Zahlen und die Menge der geraden Zahlen gleichmächtig - wir können einfach jeder ungeraden Zahl ihren Nachfolger (dieser ist gerade) zuordnen, d.h. der 1 die 2, der 3 die 4, der 5 die 6, usw. An dieser Stelle sollte man kurz innehalten und sich klar machen, dass diese Zuordnung tatsächlich die oben genannten Bedingungen (hier in umgekehrter Reihenfolge aufgelistet)
- Jedes Element beider Mengen hat einen Partner.
- Dieser Partner ist eindeutig.
genügt.
Genauso sind die Menge aller natürlichen Zahlen und die Menge der geraden Zahlen gleichmächtig. Das mag erstmal kontraintuitiv erscheinen, da die Menge der geraden Zahlen offensichtlich eine echte Teilmenge der natürlichen Zahlen ist und damit rein intuitiv "kleiner" sein sollte. Per Definition sind die beiden Mengen aber gleichmächtig (auch das sollte man sich kurz klarmachen) und es wird gleich Schritt für Schritt klar werden, warum diese Definition von "gleichmächtig" für die Idee von "gleichgroß" die einzig sinnvolle ist.
Allerdings sind die natürlichen Zahlen nicht gleichmächtig zur Menge der reellen Zahlen. Der Beweis hierfür ist etwas komplizierter, sodass ich ihn hier nicht ausführen werde, aber man kann zeigen, dass eine Zuordnung zwischen IN und IR nie beide oben genannten Eigenschaften gleichzeitig erfüllen kann - ist eine der beiden Eigenschaften erfüllt, kann die andere nicht mehr erfüllt sein.
Das zeigt, dass zwei unendliche Mengen nicht zwingend gleichmächtig sein müssen. Es gibt also verschieden große unendliche Mengen...
Und genau daher rührt der Begriff verschiedener Unendlichkeiten. Unendlich ist der Oberbegriff und bedeutet schlicht nicht-endlich, aber nicht jede Unendlichkeit ist vergleichbar (im Sinne einer Elementanzahl einer Menge bzw. der Mächtigkeit). Das erlaubt, die Gruppe der unendlichen Mengen in Teilgruppen einzuteilen, wobei jede Teilgruppe aus allen gleichmächtigen unendlichen Mengen besteht. Die Teilgruppen nennt man Kardinalzahlen (wobei die Bezeichnung "Zahl" hier irreführend ist, denn es handelt sich bei einer Kardinalzahl um eine Menge von Mengen).
Für Kardinalzahlen verwendet man in der Mathematik üblicherweise hebräische Buchstaben. Die Gruppe der zu IN gleichmächtigen Mengen bezeichnet man beispielsweise als Aleph-0 (mit dem hebräischen Buchstaben Aleph), die Gruppe der zu IR gleichmächtigen Mengen mit Aleph-1.
Man kann sich nun noch weitere Dinge überlegen, die an dieser Stelle allerdings zu weit führen würden. Zum Beispiel, ob es eine Kardinalzahl zwischen Aleph-0 und Aleph-1 gibt (also eine Menge, deren Mächtigkeit größer als die von IN, aber kleiner als die von IR ist). Wer interessiert ist, kann sich mal die Kontinuumshypothese anschauen, diese beschäftigt sich genau mit dieser Frage.
Zusammengefasst:
- Unendlich bedeutet nicht-endlich.
- Gleichmächtig (= "gleich groß") bedeutet elementweise gegenseitig eindeutig und vollständig zuordenbar.
- Es gibt unendliche Mengen, die nicht gleichmächtig sind.
- Gruppen gleichmächtiger Mengen bezeichnet man als Kardinalzahlen.
- Die Kardinalzahlen unendlicher Mengen beschreiben genau die "verschieden großen Unendlichkeiten".
- Eine Übertragung dieses Unendlichkeitskonzepts auf den Alltag ist in der Regel nicht möglich.
Liebe Grüße.