Zum Anfang solltest du folgendes tun:
Frage sie nach dem zuletzt behandelten Stoff - allzuviel darfst du dir als Antwort zwar nicht erhoffen, aber du gewinnst einen ersten Eindruck davon, wie lange es dauert, bis sie steckenbleibt.
Lass dir das Schulbuch, alle Hefte und alle sonstigen Arbeitsmaterialien zeigen. Schau dir vor allem die Hefte genau an. Guck nicht nur auf die Mathematik, sondern auch auf scheinbare Nebensächlichkeiten: Schreibt sie das Datum ins Heft? Stehen bei Aufgaben, die aus dem Buch genommen sind, die erforderlichen Angaben (Seite, Aufgabennummer)? Schreibt sie bei jeder Aufgabe ins Heft, was gegeben und was gefragt ist? Schreibt sie bei Textaufgaben Antwortsätze? Werden Ergebnisse unterstrichen? Streicht sie Fehler durch um die fehlerhafte Zeile anschließend neu zu schreiben oder "verbessert" sie mit vielen Klecksen so lange, bis fast nichts mehr lesbar ist? Führt sie immer nur einen Rechenschitt aus und schreibt sie rechts neben die Gleichung, um welchen Rechenschritt es sich handelt? Hilft sie sich bei Geometrieaufgaben mit einer Skizze? Sind Skizzen ordentlich (d.h. mit allen gegebenen und gesuchten Elementen) beschriftet? Wie fertigt sie Zeichnungen an?
Als Nachhilfelehrer hast du die Aufgabe, deiner Schülerin alle festgestellten Mängel ihrer Arbeitstechnik abzugewöhnen. Denke bitte daran, dass man eine 6 in Mathematik eigentlich nur "schaffen" kann, wenn große Wissenslücken mit einer miserablen Arbeitstechnik zusammengehen. Es wird deine Aufgabe sein, sowohl die Wissenslücken zu schliessen als auch die Arbeitstechnik zu verbessern. Wenn die Schülerin in die 8. Klasse geht, können die Wissenslücken durchaus 3 Jahre zurückreichen. Es kann überdies sein (es ist sogar wahrscheinlich), dass auch ihre Arbeitstechnik nicht altersgerecht ist. Versuche das herauszufinden.
Es ist gute Taktik, auch in einem schlampig geführten Heft nach irgend einer Kleinigkeit zu suchen, die man einleitend loben kann, um nicht gleich von den Mängeln sprechen zu müssen. Wo weiter nichts zu loben ist, wird schon mal eine leserliche Handschrift oder eine sauber angefertigte Zeichnung gelobt - oder auch ein gewissenhaft im Heft vermerktes Tagesdatum.
Frage die Schülerin direkt, warum Mathematik schwer ist. Wenn sie eine halbwegs brauchbare Antwort gibt, solltest du die Antwort so umformulieren, dass sie richtig wird. Wenn sie keine brauchbare Antwort zustande bringt, musst du antworten: Mathematik ist schwer, weil man alle Rechenregeln im Kopf haben und fehlerfrei anwenden können muss. Das Schwerste an der Mathematik ist, dahin zu kommen, dass man keine Fehler macht - oder dass man Fehler, die man doch macht, schnell erkennt und korrigiert. Nach einem Fehler die Zeit damit zu vertrödeln, weiterzurechnen ist das Schlimmste, was passieren kann.
Bestehe darauf, dass schulgerechtes Arbeitsmaterial angeschafft wird: Kariertes Papier mit Rand, gebrauchsfähige Bleistifte, Spitzer, Radiergummi u.s.w. Für Zwischenrechnungen sollte ein Block im Format DIN A 5 zur Verfügung stehen. Lass dir keine Zettelwirtschaft zumuten. Abgerissene Zettelchen taugen als Einkaufszettel, aber nicht für Mathematik.
Zur weiteren Erkebung des Kenntnisstandes solltest du deine Schülerein einige Aufgaben aus ihrem Heft erklären lassen - zuerst eine einfache, dann eine schwerere und vielleicht auch eine, die fehlerhaft im Heft steht.
Wenn die Schülerin auf einer 6 steht, muss sie viel Stoff wiederholen. Es ist daher bestimmt nicht abwegig, das Schulbuch des zu Ende gegangenen Schuljahres nochmals von Anfang an durchzuarbeiten. Wenn du dabei feststellst, dass sie auch da nichts zu Wege bringt, musst du dich um Unterrichtsmaterial zum Stoff der früheren Schuljahre kümmern - wenn du am Wohnort eine öffentliche Bibliothek hast, solltest du gleich mal gucken, was es da so an Lernhilfen gibt. Wenn die Bibiliothek nichts Brauchbares hat, wirst du geeignetes Unterrichtsmaterial kaufen müssen. Es ist sicher nicht sinnvoll, Aufgaben zum Stoff der 6. und 7. Klasse selbst zu überlegen, nur um kein Unterrichtsmaterial kaufen zu müssen.
Achte von Anfang an auf eine aufgaben- und altersgerechte Arbeitstechnik und lasse keine Verstösse gegen die Regeln der Arbeitstechnik durchgehen. Wenn du siehst, dass deine Schülerin die erforderliche Arbeitstechnik nicht drauf hat, musst du ihr eine Aufgabe in allen Einzelheiten vormachen und dann darauf bestehen, dass alle anderen Aufgaben genauso bearbeitet werden. Wenn du eine aufgabengerechte Arbeitstechnik nicht durchsetzen kannst, bleibt dir eigentlich nur, den ehrenvollen Job wegen Unbelehrbarkeit der Schülerin hinzuwerfen.
Eine Schülerin von einer 6 wegzubringen, ist schweres Stück Arbeit. Verbinde kompromisslose Strenge in Fragen der Arbeitstechnik mit der Bereitschaft, jede fehlerfrei bearbeitete Aufgabe und jeden kleine Forstschritt zu loben. Erkläre ausführlich, rechne ausführlich vor und wappne dich mit viel Geduld.
Ich wünsche dir und einer Schülerin Erfolg.