Zwischen Mythologie, Religion und Geschichte unterscheiden?
Es kommt sehr oft vor, dass sich die offizielle Geschichtsschreibung von Mythologien bzw. Religionen ableitet. Daraus ergeben sich natürlich zahlreiche Fragen: Wie glaubwürdig ist die offizielle Geschichtsschreibung, wenn sie sehr oft auf Mythologie und Religion basiert. Ist es überhaupt möglich, zwischen Mythologie / Religion und Geschichtsschreibung zu unterscheiden? Ich beziehe mich dabei in erster Linie auf die Geschichtsschreibung über die Antike und führe mal zwei Beispiele auf, wo Geschichtsschreibung und Mythologie / Religion nicht voneinander zu trennen sind:
https://www.mythologie-antike.com/t1067-tyrrhenos-mythologie-stammvater-der-etrusker
https://www.mythologie-antike.com/t1253-ninos-mythologie-grunder-der-stadt-ninive
2 Antworten
Glaubwürdige historische Geschichtsschreibung sollte immer die Quellen nennen. Gerade die Gründungsväter von antiken Städten und Völkern sind in der Regel mythologische Figuren und keine wirklich historisch überprüfbare Persönlichkeiten.
So sind Romulus und Remus eben auch in erster Linie mythologische Namen. Die Zeit der Gründung von Rom passt relativ gut mit den Ausgrabungen überein, doch schriftliche Quellen aus der Gründungszeit gibt es nicht. Somit sind Einzelheiten eben nicht als historische Fakten zu betrachten.
In mythologischen Erzählungen steckt immer auch eine historische Erinnerung. Diese wurde mündlich, in veränderter Form, weiter getragen. Es ist wie stille Post, es wird ursprünglich etwas erzählt und nachher kommt etwas heraus, was sehr ähnlich dem Ursprung sein kann, jedoch auch stark verändert. Durch Ausgrabungen, weiteren historischen Fakten etc. kann man sich dem historischen Ursprung nähern und daraus eine historische Geschichte entwickeln.
Gläubige glauben an das geschriebene Wort, egal ob Bibel, Koran oder Thora.
Geschichtswissenschaftler sollten historische Erzählungen grundsätzlich hinterfragen und das Ergebnis ihrer Untersuchungen sollte eine Annäherung an das wirkliche historische Geschehen sein.
"Ist es überhaupt möglich, zwischen Mythologie / Religion und Geschichtsschreibung zu unterscheiden? "
Ja. Keine Sorge. So ziemlich das erste, was man im Geschichtsstudium lernt, ist Quellenkritik.
Ob und inwieweit irgendwelche Gründungsmythen einen realen Kern haben könnten - das wird selbstverständlich sehr genau untersucht und abgewogen.
Leider geht es in populärwissenschaftlichen Publikationen und Fernsehdokumentationen oft mehr um eine einfache und klare Geschichte. Da wird dann lieber die Mythologie mit ihrem hübschen Narrativ zitiert, als der wissenschaftlichen Sachstand mit all seinen Lücken, Vermutungen und komplexen Verknüpfungen.
Aber wenn du die Fachliteratur liest, wirst du feststellen, dass dort zwischen Fakten und Vermutungen klar unterschieden wird, und dass die Inhalte von Mythen nicht einfach übernommen werden.
Was die Gründung von Rom betrifft, gibt es einige Erklärungsmodelle. Plausibel erscheint, dass ab ca. 1000 vor unserer Zeitrechnung in der Region Latium Siedlungen gebaut wurden und sich daraus Rom sukzessive entwickelte.
Die Gründungslegende ist natürlich viel spannender. Heute geht man davon aus, dass Vergils Aeneis eine Huldigung an Kaiser Augustus war (der in diesem Epos aber nicht namentlich genannt wird) -> https://www.mythologie-antike.com/t671-aineias-mythologie-trojanischer-kampfer-und-stammvater-der-romer