Wurde Emilia Galotti vom Prinzen schon vergewaltigt?

1 Antwort

Nach modernem Literaturverständnis hat jeder Leser das Recht auf seine Interpretation, auch gegen die Darstellungsabsicht des Verfassers.

Zwar liegt es nahe, dass eine Person, die vergewaltigt worden ist, darauf hofft, dass der Täter bestraft wird. Odoardo kommt ja mit dieser Absicht. Insofern brauchte Emilia ihn nur gewähren zu lassen. Wieso aber sollte sie ihren Vater dazu bringen, nicht den Täter, sondern sie selbst, sein eigenes Kind, zu ermorden? Weshalb sollte sie sich an ihrem Vater rächen wollen, indem sie ihn zum Mörder macht?

Reicht die Tatsache, dass jemand im Zimmer des Prinzen quiekt und kreischt, als Begründung dafür aus, dass Emilia ermordet werden will?

Wenn du das als zureichende Begründung ansiehst, dann bleib bei deiner Interpretation. Das kannst du für dich entscheiden.

Samuel823  30.03.2022, 17:52

!!!EIGENE MEINUNG!!!

Das Ende an sich passt nicht zum allgmeinen Chrarakter von Emilia als frommes und unschuldsreines Mädchen. Auch sagt Claudia: "Sie ist die Furchtsamste und Entschlossenste ihres Geschlechtes. [...] [Ist] nach der geringsten Überlegung [...] auf alles gefasst."

Man könnte hier Interpretieren, dass Emilia nicht den Prinzen tot sehen will, da sie in gewisser weise für ihn empfindet (Erste Anzeichen bereits bei dem Treffen des Prinzen in der Kirche und der Berichterstattung). Gleichzeitig sieht sie sich in ihrer Rolle als braves Mädchen als versagt und sieht nur noch den Ausweg des Todes. Sie möchte dies auch zuerst durch eigene Hand tun, wird aber von ihrem Vater gehindert.

Ob dieser Todeswunsch allerdings durch das Aufkommen von Gefühlen für den Prinzen in Emilia ausgelöst wird, oder durch eine Vergewaltigung durch den Prinzen wodurch sich Emilia wertlos fühlt lässt sich nicht beantworten.

Für mich Persönlich ist die Szene in Dolsa eine Hinweis auf eine sexuelle Interaktion.

LG

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Fontanefan  30.03.2022, 19:42
@Samuel823

Vielleicht darf ich dich noch etwas in deiner Interpretation bestärken. Nach der #metoo Diskussion auf Twitter wird 1. der Grundsatz "Nein heißt Nein" favorisiert, und dass Emilia keinen Sexualkontakt haben will, hat sie ja deutlich zu erkennen gegeben 2. gilt nach dieser Diskussion jede Handlung, die die betroffene Person als sexuellen Übergriff auffasst, als strafwürdig.

Falls Lessing zu seiner Zeit offen lassen wollte, wie strafwürdig die Handlung des Prinzen war, aus der Sicht von 2022 wird man sie so und so als strafwürdig anzusehen haben.

Aber, wie gesagt: der Literaturwissenschaftler wird zwar darauf verweisen, dass man zwischen der Darstellungsabsicht des Autors und der Interpretation des Lesers zu unterscheiden hat; aber die Darstellungsabsicht von vor über 200 Jahren braucht einen heutigen Rezipienten nicht zu interessieren. Er hat ein Recht auf seine Interpretation.

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Samuel823  30.03.2022, 20:04
@Fontanefan

Da stimme ich dir vollkommen zu, jedoch geht es hierbei nicht um eine Übertragung in die heutige Zeit, sonder ein besseres Verständnis für das einschneidende Ende des Trauerspiels. Dafür ist es wiederum essenziell den Gedankengang des Autors nachvollziehen zu können.

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