Woran erkennt man einen typischen " Spießer "?

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Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Hallo!

Das ist eine ganz tolle Frage.. die ich sehr gern beantworte :)

Früher - bis ca. in die 90er - waren "Spießer" ältliche Typen, die immer Bundfaltenhosen und einfarbige Hemden trugen, gern eine Herrenhandtasche mit sich trugen, im Supermarkt durch besonders preissensibles Einkaufen und zuhause durch eine Doppelhaushälfte mit praktischer Fliesenfassade zum Abspritzen mit Wasser aus dem Gartenschlauch plus Zisterne und sowie einem späten Ford-Taunus, VW-Santana oder Opel-Omega A in "Altpapierbeige" in der Hofeinfahrt auffielen.. zwischen Regentonnen, Blumenkästen und Gartenzwergen^^ das Klischee war in der Gegend, in der ich wohne (Raum Frankfurt/Main) bis Ende 90er in jeder Vorstadtstraße in voller Blüte zu sehen & ist noch heute vereinzelt anzutreffen bei der Generation, die in den 90ern in Rente gegangen ist. Im Prinzip jemand, der ähnlich wie "Heinz Becker" aus dem Fernsehen auftritt.

Das war ein böses Klischee, klar.. aber wenn man sich mal umschaut, sieht man das mitunter sogar heute noch ----> unweit von meiner Wohnung befindet sich etwa eine Sackgasse mit ca. 30 kleinen Reihenhäusern. Da hat auch mein 1932 geborener Großonkel von 1966 bis zu seinem Tod 2016 gewohnt & das ausschließlich unter Leuten, die so drauf waren wie er und die dort ebenfalls spätestens Anfang der 70er ihr Reihenhaus bezogen haben. Die meisten leben dort noch & da lebt diese 70er/80er-Glorie nochmal so richtig auf, dass man denkt der Kalender sei über Nacht auf spätestens 1996 zurückgekommen^^ inklusive dem letzten Ford Granada hier im Stadtteil, natürlich mit altem DIN Kennzeichen.

In der heutigen Zeit sind die meisten "Spießer" übrigens m.E. optisch nicht mehr zu erkennen, da sie wie die Mehrheit ausgewaschene und bearbeitete Jeans sowie Sportschuhe tragen.. deren Spießigkeitsfaktor merkt man eher wenn man sich mit denen unterhält. Es traut sich von vielen Leuten in meinem Alter (bin ein 1990er) keiner mehr optisch so offensichtlich "uncool" zu sein ------> aber die Gesellschaft ist gerade in meiner Generation viel verklemmter als es diese alten Leute mit der Fliesenfassade und dem Gartenzwerg je gewesen sind nur zeigt sie es nicht und übertüncht es mit lässigen Klamotten & Besäufnispartys am Wochenende. Man merkt das erst, wenn man mit denen redet ... und wenn man ihr privates Leben kennt ist man entsetzt: Zwar gibt's moderne Ikeamöbel statt Opas Eichenschränkchen und Namika oder Tim Bendzko im Radio statt Hermann Prey und Bert Kaempfert & draußen steht der finanzierte kompakte 2014er VW-TDI statt 'nem wuchtigen offensichtlich schon total ältlich aussehenden altpapierbeigen Omega mit Plüschinterieur ... aber was die denken und wie sie leben, das ist erschreckend & tut echt weh. So nach dem Motto "hey, ich bin 22 & mit der Lehre fertig & MUSS jetzt spießig werden"... schlimm!

Aber man muss die auch zum Stückweit mal verstehen: Die meisten in meinem Alter sind bei "coolen", lockeren Eltern aufgewachsen, die nicht alt werden wollen & deren Kinder, die eben so meine Generation sind, wollen daher gaaaanz anders sein als die Eltern, die sich mit 55 noch auf Partys gehen, den Jeansrock über die Leggings und ein "YOLO"-T-Shirt über weißen Langarm anziehen oder stündlich Fotos bei Instagram posten (was durchaus sogar cool rüberkommen kann, wenn es denn authenthisch ist!).

Ich bin bei meinem Opa aufgewachsen in einem solchen "Milieu" wie oben beschrieben, wenngleich da er Jugoslawe war & von der Mentalität her lockerer als viele "urdeutsche" seiner Altersklasse und habe das für mich leicht modernisiert, aber das meiste befand ich für gut & mache auch so weiter. Trotzdem meine ich fortschrittlicher & offener zu denken als viele aus meiner Altersklasse.. wenn ich mir etwa meine Abschlussklasse der Realschule (Abschluss 2007) ansehe, sind das geistig im Grunde ganz uralte trutschige, gedanklich total unflexible, eingerostete und überhaupt nicht an Fortschritt und Leben interessierte, träge Leute geworden, die emotional nur noch drauf zu warten scheinen bis man Erbarmen hat und sie ENDLICH in Rente schickt.. nur zeigen sie es mit sportlicher, modischer Kleidung, flotten Autos und ihrem Partyleben nicht nach außen sondern geben da die jungen, flippigen, frechen Mittzwanziger. 

Ich weiß, dass es Leute gibt die mich ernsthaft für spießig halten, aber das berührt mich nicht :) Eine Frau von ca. 40 Jahren sagte mir vor einigen MOnaten etwas, über das ich damals sehr intensiv nachdachte -----> sie meine es nicht persönlich, aber ich würde sie so sehr an ihren Vater und ihren Onkel erinnern mit denen sie nie klarkam sowie an den Umgangston der 90er und ihren spießigen Ausbilder, dass sie mit mir einfach nicht kann. An mir würde soooo viel an die 90er erinnern, dass es beinahe wieder wehtun würde -----> sie sagte im O-Ton, ich hätte so einen "dezenten Altherren-Mitleids-Danke-und-Bitte-Tonfall" drauf wie der späte "Derrick" um 1990 und dass ich dann auch noch so einen alten Benz fahre & musikalisch in dieser Zeit lebe (aber hey, ich wurde in der Zeit eben musikalisch sozialisiert), setze dem die Krone auf... ich habe mal ganz locker zugehört und mir gedacht -----> ich lass' die mal babbeln, mein restliches Umfeld gibt mir wiederum weitestgehend Recht und es gibt viele, die genau diese Art an mir sehr gern haben, was mir auch gelegentlich zugetragen wird.

Habe hier jedenfalls sehr gern geantwortet :)

Torrnado 
Fragesteller
 08.04.2017, 22:21

....und Deine sehr ausführliche und informative Antwort hat mich wieder mal sehr beeindruckt !  :)  VG

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rotesand  08.04.2017, 22:22
@Torrnado

Danke, das freut mich :)

Mit meiner "Kindergartenfreundin" habe ich vor Jahren mal im Witz 'ne Liste mit "spießigen" Dingen aufgestellt^^ da kamen so Sachen drinne vor wie Jägerzäune, Schrebergärten, Diskriminierung von Ausländern ohne Grund oder so etwas, das kann man auch noch mit rein nehmen!

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Der sich stets an Gesetze hält:).

Als Spießbürger, Spießer oder Philister werden in abwertender Weise engstirnige Personen bezeichnet, die sich durch geistige Unbeweglichkeit, ausgeprägte Konformität mit gesellschaftlichen Normen und Abneigung gegen Veränderungen der gewohnten Lebensumgebung auszeichnen.