Wieso kam es zu der Goldhagen Debatte?

2 Antworten

Indem Goldhagen den gesamtgesellschaftlichen deutschen Antisemitismus als zentrale Triebkraft des Holocaust ausmacht, widerspricht er den vorherrschenden populären und wissenschaftlichen Erklärungsversuchen.

Warum fand Hitler für sein Ziel – die Vernichtung der Juden – so viele Unterstützer und warum traf er auf so wenig Widerstand? Wie konnten die Deutschen so beispiellose Verbrechen verüben bzw. zulassen?

So lautete die Frage, und die bisherigen Antworten sind für Goldhagen nicht überzeugend: Der angebliche Befehlszwang war eine bloße Schutzbehauptung der Täter; von der angeblichen Staatshörigkeit der Deutschen war zwischen 1918 und 1933 wenig zu spüren; der angebliche Gruppenzwang erklärt das Verhalten einzelner, aber nicht das der Gruppe als ganzer; das angebliche Unwissen über die mörderischen Folgen seiner Taten konnte niemanden befallen, der seine Opfer von Angesicht zu Angesicht quälte und erschoss.

Goldhagen vertritt die These, dass die Taten der Deutschen nicht von solchen äußeren Zwängen oder Anreizen herrührten, sondern von inneren Überzeugungen. Die Deutschen wurden nicht gezwungen, Juden zu töten; sie taten es freiwillig, sie waren willige Vollstrecker.

Er kommt zu dem Ergebnis, dass das scheinbar Undenkbare in Wahrheit das einzig Naheliegende ist: „Eine Gesellschaft, die sich [wie Deutschland zwischen 1933 und 1945] mit Herz und Seele zum Antisemitismus bekennt, wird wohl auch antisemitisch sein.“

Den Thesen, in Goldhagens Buch "Hitlers willige Vollstrecker", waren nicht alle "Fachleute" zugetan und widersprachen Goldhagen.

Ungefähr im üblich bekannten Tenor: viele Deutsche wussten tatsächlich nicht, was geschah, es gab Gruppenzwang, der Druck der Gruppe sei enorm gewesen, viele "trauten" sich nicht, Befehle zu verweigern (- angeblich aus Angst, selbst ins KZ gesperrt zu werden oder an Ort und Stelle erschossen zu werden - was aber nie geschehen ist in der Realität und wovor eigentlich auch kein Deutscher damals Angst haben musste, auch nicht bei Befehlsverweigerung - Knast ja, aber alles andere nicht...) - usw. All das wollen auch deutsche Historiker bis heute nicht wahrhaben, dass z. B. fast jeder in der damaligen Bevölkerung ab einem gewissen Punkt (Termin, Jahr) Bescheid wusste, was in den KZ passierte, was mit den Juden passierte, die abgeholt wurden, nicht wiederkamen etc. pp.

Das ist die übliche Diskussion - und Goldhagen hat in vielem Recht, wenn nicht sogar in allen Punkten.
Goldhagen wies darauf hin, dass nicht nur Hitle rund seine engsten Verteauten die Vollstrecker waren, die Täter waren nicht nur SS- und SA-Männer, nicht nur KZ-Wächter, sondern auch Beamte und Angestellte der öffentlichen Verwaltung und des Transportwesens, Polizisten und Soldaten. Der gesamte Täter-Kreis war also viel größer, als es manche Gegner der "Kollektivschuld"-These wahrhaben wollen; und sie meinten deshalb: aber auch wenn die Zahl der direkt am Massenmord Beteiligten in die Hunderttausende ging, so rechtfertigte dies aber doch nicht - die These, dass wohl (fast) alle Deutschen Täter gewesen seien, zumidnest Mitwisser und Stillschweiger. Goldhagens Buch ist überaus gut recherchiert und hält sich an Fakten.

Besonders schwer fällt diese Wahrheit ja Deutschen, denn, damit sind die eigenen Vorfahren - Großeltern, Eltern usw. gemeint.

https://www.fes.de/fulltext/historiker/00144.htm#E9E1

earnest  13.04.2020, 13:11

Das Fazit deiner kenntnisreichen Darstellung überrascht mich. Ohne dass ich nun die Goldhagen-Debatte erneut lostreten möchte, aber es stimmt einfach nicht, dass "nicht alle Fachleute" (Fachleute in Gänsefüßchen) dem Buch "nicht zugetan" gewesen wären. Die überwältigende Mehrheit der Rezensenten hierzulande hat das (dicke und schlecht lektorierte) Buch mit in meinen Augen guten Argumenten kritisiert.

Ich stimme auch nicht deinem Urteil zu, Goldhagen habe vielleicht sogar "in allen Punkten Recht". Da greife ich nur einen Punkt heraus: Die These, (nur) den Deutschen sei der eliminatorische Antisemitismus inhärent gewesen, halte ich, bei allem Respekt, für unhaltbar.

Der Tod war ein Meister aus Deutschland, keine Frage. Und in Deutschland gab es leider viel zu viele "willige Vollstrecker", da hat Goldhagen völlig Recht. Das haben aber auch unzählige Historiker, auch und gerade deutsche Historiker, vor ihm festgestellt.

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Der wesentliche Grund für die Debatte liegt darin, dass Goldhagen im Gegensatz zu den bislang anerkannten Erklärungsansätzen die Ursache der Massenvernichtung der Juden hauptsächlich darin sah, dass die gesamte deutsche Gesellschaft judenfeindlich eingestellt war.