Wie wurde Rousseaus Staatstheorie in der Französischen Revolution (Jakobiner) missbraucht/ausgelegt?

2 Antworten

Missbraucht wurde sie nicht wirklich, nur hat man die eigene Ideale veraten müssen, um die Idee der Republik umsetzen zu müssen. Schauen wir mal genauer:

Rousseau lieferte mit seiner Schrift Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes (1762) das Schlüsselwerk der aufklärerischen Prinzipien.
Er geht von der Annahme aus, dass eine Menge von Menschen, bis dato im sogenannten Naturzustand verweilend (hier orientiert sich Rousseau an den Ausführungen John Lockes in den Two Treatises of Government), schließt sich, da die Vorteile hierfür überwiegen, zu einer Gemeinschaft zusammen, indem sie ihre natürliche Freiheit, die sie bis dahin hatten, aufgeben zugunsten einer gesellschaftlichen Ordnung. Der Gesellschaftsvertrag bedeutet letztlich „die völlige Entäußerung jedes Mitglieds mit allen seinen Rechten an das Gemeinwesen als Ganzes“

Vereinfacht ausgedrückt, sollten alle Stadtbewohner sich an Regeln halten, damit eine Stadtgemeinschaft - diese bezeichnete er als öffentliche Person (Polis) - funktionieren kann. Und das Phänomen Stadt war gerade zu jener Zeit wichtig, da die Städte immer größer wurden. Es ging also gar nicht mehr ohne. Hier spielen auch wirtschaftliche Gründe eine wesentliche Rolle, die es bspw. in großen Stadtstaaten der Antike in der Form nicht gegeben hat. Das würde jetzt aber zu weit führen.

Die Jakobiner waren zu jener Zeit ein politischer Club, der sich vor allem für die Rechte des einfachen Volks (Arbeiter usw.) einsetzte. Ihr Ziel ist es gewesen, die konstitutionelle Monarchie durch eine Republik (ihr Codewort für die Idee) zu ersetzen. Die hatten also eine Idee, wie Stadt/Nation funktionieren kann. Vor allem für Menschen, die nicht so viel Besitz hatten. Eigentlich sehr sinnvoll, nur die Art und Weise war eben nicht gut. Die Republik sollte nach gewissen Regelprinzipien funktionieren, die eben jene Philosophen (u.a Rousseau) zu dieser Zeit formulierten - nicht zuletzt waren und sind diese Theorien wesentliches Kernelement unserer heutigen demokratischen Struktur. Zumindest waren sie wegbereitend.

Schlüsselfigur während der "Terreur" war hier unter anderem Robespierre (Jakobiner), ein großer Verehrer Rousseaus, der die Schreckensherrschaft (1793-1794) damit legitimierte, dass die Republik nur umgesetzt werden kann, wenn "Tugend" einzieht.

„Die Terreur ist nichts anderes als unmittelbare, strenge, unbeugsame
Gerechtigkeit; sie ist also Ausfluss der Tugend; sie ist weniger ein
besonderes Prinzip als die Konsequenz des allgemeinen Prinzips der Demokratie in seiner Anwendung auf die dringendsten Bedürfnisse des Vaterlandes.“
[Rolf Reichardt (Hrsg.), Die Französische Revolution, Ploetz, Freiburg und Würzburg 1988, S. 68 f]

Jeder, der sich dagegen gestellt hatte, wurde - gelinde gesagt - erst einmal getötet. Und hier sind wir wahrscheinlich an dem Punkt, wo Dein/und auch das Verständnis vieler anderer dafür abweicht. Wieso wird ein prinzipell guter Leitgedanke mit so blutigen Mitteln und knapp 40.000 Toten umgesetzt?

Hier zwei  Meinungen:

Albert Soboul (1914–1982) sah die Schreckensherrschaft als Instrument, um Frankreich vor den Rebellen zu schützen. Wer die Rebellen jetzt genau waren, bleibt schwierig, weil es für die Jakobiner auch die eigenen Leute waren, die sie ja dann auch getötet haben. Reiche Menschen wurden sowieso aus dem Prozess ausgeschlossen, weil sie qua Status gar nicht integrierbar gewesen sind. Letztlich führte nach Saboul die Schreckensherrschaft zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls, die nach ihm eine "Rettung Frankreichs" bedeutete.

François Furet (1927–1997) dagegen glaubt, der Terror der Jahre 1793/94 sei eine „Entgleisung“ der Revolution gewesen. Also platt ausgedrückt: Mit Vernunft nicht mehr zu begreifen. Für ihn ist die Terrorherrschaft der Jakobiner
eine Vorform der totalitären Regime des 20. Jahrhunderts gewsen.

Hoffe, dass es hilft.

Kurze Anmerkung: Dies ist eine Frageplattform. Die Antwort auf die vorhergehende Frage ist im Kontext "Schule" beantwortet, und folgt nicht dem Anspruch der absoluten Vollständigkeit nach wissenschaftlichen Prinzipien, sondern dient dem Verständnis der unterschiedlichen Zusammenhänge.

Jean-Jacques Rousseau hat eine schlimme Jugend hinter sich, ist irgendwo ein Genie, dennoch ein schwieriger Mensch, der sich mit allen damals in Frankreich lebenden Aufklärern angelegt hat. Er war philosophischer Idealist und Moralist und schon in seiner Schrift vom Gesellschaftsvertrag (stammt ursprünglich von Epikur, kam über den Franzosen Gassendi dann zu Hobbes und später Locke und Hume) ist seine Neigung zu einer moralistischen-idealistischen Diktatur arg in Widerspruch zu den demokratischen Ambitionen des Gesellschaftsvertrags. Mit den eher epikureisch geprägten Vertretern der franz. Aufklärung wie auch mit David Hume hat er sich dann total überworfen.

Anders als in England haben in Frankreich keine Politiker mit kühlem Kopf die bürgerliche Demokratiebewegung durchgesetzt sondern an den Exzessen des Adels und der hohen Geistlichkeit im Kontrast zur Verarmung des Volkes hat sich eine moralische Empörung entzündet, die mit der hohen emotionalen Aufladung den idealistisch-moralischen Jakobinern eine Plattform bot. Der nicht sehr konsequente Versuch des geeinten europäischen Adels, den franz. "Brüdern" beizuspringen, hat zusätzliche Reibung gebracht (den äußeren Feind) und Exzesse gerechtfertigt. So hat sich die emotional hochgeladene Revolution selbst verbrannt und landete in den Händen des Schein-Bourgeois und Kaisers Napoleon und die überlebenden Revolutionäre sind in seinen Schlachten gefallen. Übrig geblieben ist ein nach wie vor zentralistisch regiertes Frankreich mit hohen inneren Spannungen.