Wie lautet die korrekte Übersetzung bei der Vaterunserbitte „Und führe uns nicht in Versuchung“?

5 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Langenscheidt und der gute alte Gemoll verweisen mich unter ενεγκειν an φερω. Ενεγκειν ist der "Inf Aor II" also starker Aoristinfintiv.

Φερω, also ferre kann alles bedeuten was mit Bewegung in eine Richtung zu tuen hat. Führen ist hier nicht falsch. Είσενέγκηις ist ein Compositum - worauf die Akzente hindeuten - aus είς (hin) + φέρω bzw ενέγκηις. Ενέγκηις ließe sich ableiten (kontrahiert?) zu Ενέγκαιεις (Optativ) oder Ενέγκηεις= Ενέγκηις (Konjunktiv). Mir ist nur schleierhaft, warum hier Präsensendungen benutzt werden. Ich kenne nur den Aorist Imperativ, der gegenwärtig übersetzt wird.

Μην steht im Neugriechischen mit Konjunktiv (dass du nicht, du sollst nicht...), im Altgriechischen ist Konjunktiv auch als Möglichkeit angegeben. Da ich kein gesondertes Κοινή Wörterbuch habe, gehe ich hier mal von Konjunktiv aus.

Zusammengesetzt würde es heißen: Dass du uns nicht in die Versuchung hineinführ(e)st, du sollst uns nicht in Versuchung schicken...

Nadelwald75 
Fragesteller
 09.12.2017, 17:27

Hallo, der gute Bauer001

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Nadelwald75 
Fragesteller
 09.12.2017, 17:33

Hallo, der gute Bauer001,

das ist genau das, was ich erwartet hatte: Konjunktiv und 2. Pers. Sg.

Das würde dann auch der lateinischen Formulierung "ne inducas" entsprechen, während die Fortführung mit ῥῦσαι und im lat. mit "libera" wieder Imperativ ist.

Interessanterweise werden aber in der Einheitsübersetzung alle Formen imperativisch übersetzt .

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derguteBauer001  09.12.2017, 17:50

Ich bin kein zugegeben kein Philologe, kann aber einigermaßen Latein und bin im letzten Jahr Altgriechisch. Bibelgriechisch ist sone Sache, ich habe mich noch nicht eingehend damit beschäftigt. Freut mich aber das ich dir helfen konnte!

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https://www.bibelkommentare.de/bibel/elb_1905str/matthaeus/6

Errette uns von dem Bösen.

Schlachter: Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen

Nadelwald75 
Fragesteller
 10.12.2017, 00:06

Hallo Whitekliffs, war mir bekannt - vielen Dank. Aber mich interessierte die genaue Übersetzung und Formenbestimmung eines einzelnen griechischen Wortes.

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Insgesamt ist die gewohnte Übersetzung des griechischen Textes wohl korrekt (wenn auch nicht inhaltlich nach modernen christlichen Konzepten). Aber kann man hier so viel von kleinsten Einzelheiten ableiten?

Aus europäischen Sprachen weiß man, dass manche keineswegs so semantisch penibel nach Ort und Richtung unterscheiden, wie wir das im Deutschen machen, selbst wenn es ein sprachliches Mittel gibt, die Richtung zu kennzeichnen.

Die Form εἰσενέγκῃς (mit Spiritus lenis auf dem ersten Jota) steht in meiner Ausgabe des Neuen Testaments (1986) mit Jota subscriptum bei Lukas, bei Mätthäus ohne. Es wird auf Marcion verwiesen, bei dem die Stelle ganz anders lautet.

Trotzdem kann man sich wie der Fragesteller natürlich darauf beschränken, nur die Form analysiert zu bekommen, wenn einen die Authentizität nicht so sehr interessiert.

Nadelwald75 
Fragesteller
 15.12.2017, 11:02

Hallo Rudolffischer,

zur Schreibweise: In meiner Ausgabe steht bei beiden Evangelisten ein Jota subscriptum.

Zum Inhaltlichen: Die deutsche Formulierung ...führe uns nicht in Versuchung... bedeutet im Sprachgebrauch: In Versuchung führen = versuchen, verführen wollen. Das entspricht vom Sinn her aber nicht einer Vorstellung, bei der Gott verführen will.

Mich hatte interessiert, ob von der genauen Übersetzung her legitimiert ist, auch zu sagen:....und führe uns nicht in eine Versuchung hinein. Also in eine Entscheidungssituation, bei der die Versuchung von anderer Stelle ausgeht.

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RudolfFischer  15.12.2017, 11:35
@Nadelwald75

Ja, richtig, habe den Unterschied begriffen.

Ich habe die Vaterunserbitte immer nach deiner zweiten Version verstanden, also dass nicht Gott der Verführer ist, aber dass er einen in eine Situation FÜHRT, bei der man in Gefahr gerät, von seinen eigenen Begierden verführt zu werden. (Ich glaube nicht an den Teufel, die Verführung kommt aus dem Menschen selbst. Der Teufel ist nur ein bequemer "Sündenbock".)

Schon dass Gott einen in eine solche Situation führt, kann ich nicht glauben. In unserer Diözesanzeitung wird das aber behaupet. Gott testet sozusagen den Menschen.

Das will mir nicht in den Kopf. Würde sowas ein menschlicher Vater tun? Absichtlich ein Bier in der Küche stehen lassen, um zu testen, ob sich sein 15jähriger Sohn (trotz aller Verbote) daran vergreift? Bei einem Kind, das eine strenge Diät einhalten soll, überall Naschwerk rumliegen lassen? usw.

Mit völliger Berechtigung verzichtet doch eine Freundesrunde bei einem feuchtfröhlichen Treffen auf Alkohol, wenn sie weiß, dass ein "Trockener" unter ihnen ist. Hoffentlich! Zumindest macht den Trockenen keiner mit "na, einen wirst du dir doch wohl leisten können" an.

Wenn Menschen schon so gut sein können, um wie viel mehr unser himmlischer Vater! Der wird uns nicht in Versuchung führen, sondern eher raushauen, uns vor uns selbst retten, wenn wir damit einverstanden sind. Und um Letzteres zu signalisieren, beten wir das Vaterunser.

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RudolfFischer  15.12.2017, 11:41
@Nadelwald75

(Mein erster Kommentar ist irgendwie verschwunden. Ich komme mit der neuen Technik hier anscheinend nicht klar.)

Ich hatte geschrieben, dass ich den Unterschied verstanden habe und immer nach deiner zweiten Fassung gebetet habe. Also, dass nicht Gott uns verführt.

Ich kann aber auch nicht glauben, dass er uns in eine solche Situation hineinführt. Kein menschlicher Vater würde seine Kidner so "testen".

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Die Bitte "Führe uns nicht in Versuchung" wäre nur gerechtfertigt, wenn Gott der Versucher wäre. 

In der Rückübersetzung aus der Muttersprache Jesu, dem Aramäischen lautet es nach Günther Schwarz: "... und rette uns aus unserer Versuchung" oder "Lass uns retten aus unserer Versuchung."

Nadelwald75 
Fragesteller
 09.12.2017, 17:07

Hallo oldoldmusicteacher,

vielen Dank für die Antwort. Ich weiß, dass Jesus aramäisch gesprochen hat und man daher nicht an die Originalaussage herankommt. Da bleibt nur der griechische Text.

Die Formulierungen von Schwarz sind für meine Begriffe Interpretationen, bestimmt hilfreich für den persönlichen Umgang mit dem Gebet.

Mich hatte allerdings die genaue Übersetzung des griechischen Verbs interessiert.

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derguteBauer001  09.12.2017, 18:11

Hallo, intreressante Idee, hast du evtl Quellen dafür? Die Struktur des Satzes klingt doch sehr semitisch (lerne Hebräisch)

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Nadelwald75 
Fragesteller
 10.12.2017, 00:04
@derguteBauer001

Hallo derguteBauer001, Quellen habe ich keine dafür, war mir aber einfach so bekannt. Hebräisch war zur Zeit Jesu schon eine Sprache der Schriftgelehrten, praktisch als tote Sprache. Wurde erst mit der gründung des Staates Israel offiziell (lebendig) wieder eingeführt.

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Nadelwald75 
Fragesteller
 10.12.2017, 18:00
@oldmusicteacher

Hallo oldmusicteacher,

dein erster Link ließ sich leider bei mir nicht öffnen.

Zum zweiten Link: Er enthält den Hinweis:

…..benutzen wir die Form des Gebets, die in den aramäisch
sprechenden Kirchen der Welt, einschließlich der assyrischen und
syrisch-orthodoxen, benutzt wird.

Daraus darf ich schließen, dass dies also nicht ein von Christus überlieferter Text ist, sondern eine Übersetzung des griechischen Textes in die aramäische Sprache, also der umgekehrte Weg. Denn soweit mir bekannt ist, gibt es keine aramäischen Evangelientexte.

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Deine Frage hat der kath. Dekan Andreé Hermany beantwortet: (NN heute):

Die Stelle ist mißverständlich übersetzt: im Original heißt es: "führe uns IN DER VERSUCHUNG" also: bewahre uns vor selbiger Versuchung.

Ein Kaktus sticht/Dich ins Gesicht/Mag Neugier/und so Fragen nicht!

Nadelwald75 
Fragesteller
 09.12.2017, 17:19

Hallo kaktusjens44,
vielen Dank für die Antwort. Dekan Andreé Hermany ist sicher ein ehrenwerter Mann. Bestimmt hilfreich für den persönlichen Umgang mit dem Gebet. Aber er scheint nicht zu übersetzen, sondern zu interpretieren
…in der Versuchung müsste dann ja im Griechischen heißen: …εν πειρασμω (Der Spiritus lenis und die Akzente fehlen mir hier).

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derguteBauer001  09.12.2017, 17:55

Dann würde die Konstruktion mit μην aber wenig Sinn ergeben, da es eigentlich verneinen sollte "Du sollst nicht führen in ..." und εις + Akk sollte auch auf etwas hindeuten. Sollte es dann nicht auch heißen: ενφέρω statt ειςφέρω?

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derguteBauer001  09.12.2017, 18:12

Oder meinst du aus dem Aramäischen übersetzt?

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Nadelwald75 
Fragesteller
 10.12.2017, 00:07
@derguteBauer001

Hallo derguteBauer001, die Schriften des NT wurden direkt in Griechisch geschrieben. Aramäische Texte gibt es, soviel ich weiß, überhaupt nicht. Da konnte man also auch nichts übersetzen.

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