Was wollte Puccini?

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Giacomo Puccini war ein erfahrener, sehr begabter Opernkomponist. Er wollte an dieser Stelle eine herausragende Arie schaffen und ihm ist klar gewesen, mit welchen musikalischen Mitteln er dies versucht. Anders als die beiden letzten Szenen der Oper, zu denen er bis zu seinem Tod (1924) nur Skizzen geschrieben hat, hat Puccini die Komposition der Arie »Nessun dorma« („Keiner schlafe“) vollendet. Der Spitzenton steht in der Partitur und Puccini hat ihn gewollt. Es handelt sich allerdings nicht um ein hohes C (c’’), sondern um ein hohes H, ein Halbton unter dem hohen C. Gesungen wird der Ton auf der vorletzten Silbe, dem „e“ von
vincerò („ich werde siegen“). Danach folgt als Ende der Arie ein hohes A.


Der Spitzenton der Arie, das hohe H, ist in der Originalpartitur kurz. Gewöhnlich wird er aber lang gehalten gesungen. Wenn der hohe Ton brillant gesungen wird, ist dies sicherlich wirkungsvoll. Eine Äußerung von Puccini selbst zu dieser Praxis konnte es nicht mehr geben (Giuseppe Verdi hat beispielsweise zu zu solch einer kleinen Umformung auch mal sein Einverständnis gegeben, wenn es ausgezeichnet vorgetragen würde). Auf die Arie folgt sofort ein Übergang, ein Zeitraum der Pause für einen Szenenapplaus ist nicht eineingebaut. Als einzelne Arie dargeboten wird die Musik ein bißchen umarrangiert, der sofortige Übergang fällt dabei weg.

Giacomo Puccini wünschte sich Sänger(innen), die klangschön sangen, gut gestalteten und die Opernfigur ausdrucksvoll und überzeugend darstellten.

Nach den Anforderungen ist Calaf eine Rolle für einen Spinto-Tenor. Puccini hat auch in anderen Opern die männliche Hauptrolle für diese Art von Stimme komponiert. Mario Cavaradossi in »Tosca«, Pinkerton in  »Madama Butterfly« und Dick Johnson alias Ramerrez in »La fanciulla del West« sind beispielsweise Rollen für einen Spinto-Tenor. Optimal ist eine kraftvolle Stimme, die dramatisch zupacken kann, aber zugleich beweglich ist und auch zu einem Diminuendo, leiseren und weichen Tönen fähig. Solche lyrischen Stellen, bei denen verführerischer Schmelz und anmutiger Zauber wünschenswert ist, gibt es vor allem in den Arien »Non piangere, Liù« („Weine nicht, Liù), 1. Akt, und »Nessun dorma« („Keiner schlafe“), 3. Akt. Die hohen Töne sollten erhebliche Strahlkraft haben. Der Spitzenton der Arie »Nessun dorma« („Keiner schlafe“) soll Siegeszuversicht und ekstatische Glückserwartung ausdrücken.

Ein leichter lyrischer Tenor hat nicht ausreichend Stimmkraft (Lautstärke, Volumen, Durchschlagskraft), um die Rolle des Prinzen Calafgut darzubieten. Versuche, sich über natürliche Grenzen der stimmlichen Mittel hinwegzusetzen, tragen in sich die Gefahr, auf die Dauer stimmliche Schäden zu erleiden. Leichte lyrische Tenöre haben teilweise brillante hohe Töne, nicht nur zarte, aber nicht zugleich das stimmliche Gewicht in mittlerer Lage. Am Ende des 1. Aktes und in der Rätselszene des 2. Aktes ist viel Stimmkraft nötig. Am Ende der Arie »In questa reggia« („In diesem Palast“) der Prinzessin Turandot im 2. Akt singen Sopran und Tenor zusammen eine musikalische Phrase, deren höchster Ton ein langes hohes C ist.

Ein Heldentenor kann die Rolle gut bewältigen, wenn sein Stimmumfang bis zu den nötigen Spitzentönen reicht. Für die vollständige Eignung kommt es darauf an, ob auch genügend Fähigkeiten zu Beweglichkeit der Stimme, dynamischer Bandbreite von leise bis laut, verführerischem Schmelz vorhanden ist. Ein grob vorgehendes Schwergewicht würde vor allem in den Arien viel an wünschenswerten Feinheiten ruinieren.

Puccini selbst scheint mehrere Tenöre in Betracht gezogen zu haben. Nach einem Pressegespräch in Seattle 1967 hat der Tenor Giovanni Martinelli ihn Ende 1921 besucht, einige komponierte Stellen vorgetragen und so als erster Tenor die Arie »Nessun dorma« („Keiner schlafe“) gesungen. Puccini habe ihn für eine 1923 erhoffte Uraufführung gewünscht. 1926 gab Giulio Gatti-Casazza, Generalmanager der Metropolitan Opera, New York, Martinelli nicht für die Uraufführung von Turandot in Mailand frei. Giovanni Martinelli hatte reichlich Spinto-Qualität, eine große, besonders für dramatische Rollen geeignete Stimme, eher konzentriert als breit geführt, viel Strahlkaft in weit hinaufgehnden Höhe. Giovanni Martinelli sang Calaf erst 1937 in London, wovon es Auschnitte gibt (Aufführungsmitschnitt). Von der Arie »Nessun dorma« („Keiner schlafe“) gibt es eine Aufnahme aus dem Jahr 1950, als er seine stimmlichen Zenit schon deutlich überschritten hatte (für sein Alter ist er aber gut).

Es gibt einerseits Aussagen (vor allem auf den Librettisten Giuseppe Adami zurückgehend), Puccini habe Calaf mit der Stimme des Tenors Giacomo Lauri-Volpi im Ohr komponiert und ihn als Sänger der Uraufführung gewünscht, andererseits hat Giacomo Puccini im September 1924 dem Tenor Beniamino Gigli ein Telegramm geschickt, ihn als ersten Interpreten des Prinzen Calaf zu wünschen (Carteggi Pucciniani. A cura di Eugenio Gara. Il carteggio Illica-(Giacomo) Puccini-Ricordi è stato curato da Mario Morini e la discografia da Raffaele Végeto. Milano : Ricordi, 1958 (Le Vite), S. 556). Beide hatten vertragliche Bindungen mit Metropolitan Opera, New York, und Giulio Gatti-Casazza, der ein Zerwürfnis mit dem Dirigenten Arturo Toscanin, künstlerischer Leiter des Teatro alla Scala a Milano, gab sie nicht frei. Zwischen Giacomo Lauri-Volpi und Arturo Toscanini hat es, so wird erzählt, auch zeitweise Streitigkeiten gegeben. In der Uraufführung 1926 sang Miguel Fleta die Rolle des Calaf. Miguel Fleta sang sowohl lyrische als auch (ermöglicht durch eine kraftvolle Höhe) dramatische Rollen. Er hatte eine gewisse Spinto-Eigenschaft, aber keine sehr stark ausgeprägte. Nach Berichten ist er ziemlich gut gewesen, hatte aber in der Rätselszene Mühe.

Giacomo Lauri-Volpi konnte sowohl lyrische als auch dramatische Rollen singen und hatte eine sehr bewegliche Stimme. Seine Mittellage war nicht die klangschönste, dafür hatte er eine phantastische Höhe mit großer Durchschlagskraft. Giacomo Lauri-Volpi sang Calaf ab 1926 sehr erfolgreich. Seine früheste Aufnahme der Arie ist anscheinend erst 1942 entstanden.

Beniamino Gigli war kein leichter lyrischer Tenor, aber tendenziell eher lyrisch. Er hatte eine klangschöne Mittellage und konnte sehr weich mit der Halbstimme (Mezza voce) singen. In Richtung Spinto-Tenor entwickelte er sich später etwas mehr. Erst 1949 ist von ihm eine Aufnahme der Arie entstanden und in Opernaufführungen hat er Calaf anscheinend nicht gesungen.

Ein früher Sänger des Calaf war Francesco Merli, der ein Spinto-Tenor war. Es gibt von ihm eine Aufnahme der Arie aus dem Jahr 1927 und er sang die Rolle bei der ersten Studio-Gesamtaufnahme 1938.

Ja, das sollte wohl so sein!

Dass ein Meister-Komponist ein solch brillantes Werk abliefert und am Ende ein solcher Ton zufällig den Abschluss bildet, wäre absurd.

"Die Tonlage eines echten Tenors reicht bis zum hohen C"
daran wird ein Sänger gerne bemessen. Schafft er diesen Ton nicht, dann ist er wohl kein "echter" Tenor.... hm, wenn Leute meinen...
Ich persönlich würde es nicht so beurteilen.

Wenn Du gerne solche Werke hörst, ein Tipp:

La fille du régiment - ah mes amis: ein Muss für Freunde des hohen C.

Zähl mal mit, wie viele hohe C´s  in diesem Stück vorkommen!
Ein Wahnsinn.

Pavarotti konnte seine Arie in den ersten Aufführungen des Werkes (übrigens von Donizetti) nicht zu Ende singen, weil de Applausstürme des Publikums so gewaltig waren.

Grüße, ----->

hapeen 
Fragesteller
 30.08.2016, 13:18

Ich habe mich missverständlich ausgedrückt, daher bitte ich um Entschuldigung.

Worum es ging war, was wollte Puccini, einen leichten lyrischen Tenor für die Rolle oder einen Spinto, oder gar einen Heldentenor?

Übrigens, Florez singt den Toni auch großartig, wenn ich persönlich auch Pav bevorzuge.

Brownlee ist auch gut.

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PoisonArrow  30.08.2016, 14:13
@hapeen

Puccini ist bekannter "Lieferant" des spinto.

Nessun dorma ist nach meiner Auffassung geprägt von diesem Stil. Die weichen Passagen, nahezu gesäuselt, dann wieder mit mehr Ausdruck und Tragik. Also sanft und doch sprunghaft.

So wie La Bohème oder Tosca würde ich auch Turandot dieser Unterart zuordnen.

Der lyrische T. ist zwar auch weich, aber in den hohen Tönen mit weniger Kraft / Ausdruck als der spinto, welcher auch "beweglicher" gesungen wird als der lyrische.

Heldentenöre sind sehr "schwere" Gesänge, mehr Richtung Wagner, mit sehr hohem Kraftgehalt in der Stimme. Würde den Zauber von Nessun dorma eher zerstören...

Die Version der "drei Tenöre" kennst Du sicherlich. Da ist dann schon ein Großteil des Körpers mit Gänsehaut bedeckt...

Gibt so viele Interpreten, da kann man stundenlang vor you.tube sitzen und genießen.

Grüße, ----->

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Ganz einfach. Jede Tonart steht für eine bestimmte Stimmung. Hoffnung = D - Dur. Siehe da! Deshalb D, die Phrase am Schluss steht in der Kadenz eigentlich ein Plagiatschluss. Also 4 Stufe, 1. Stufe, dann wird abkadenziert. Und der Spitzenton h ist damit die Terz der 4. Stufe. Auch das deutet darauf hin, dass es noch nicht der Schluss ist. In der abschließenden Chorphrase endet übrigens der Sopran auf der Quint, was wiederum keinen ganze Schluss darstellt.

Gegenfrage: hätte Puccini es so geschrieben, wenn er es nicht gewollt hätte? 

So steht es in der Partitur, also sollte es gefälligst auch so gesungen werden! Abgesehen davon, wird diesen Spitzentönen viel zu viel Bedeutung zugemessen. Natürlich  ist es schön, wenn ein Sänger herrlich singt und dann auch noch einen Spitzenton draufsetzen kann. Allerdings ist das nur befriedigend, wenn auch alles andere gepasst hat. Was hab ich davon, wenn sich (und mich) ein Sänger hörbar durch zwei, drei Stunden Oper quält, um dann einen einzigen exponierten Ton brillant hervorzubringen? Im Zweifelsfall ist es mir dann lieber, er singt die ganze Oper ordentlich und umschifft den Spitzenton nicht ganz so meisterhaft.

Aber um auf Puccini zurückzukommen: dieser Meisterkomponist wusste selbstverständlich genau, was er tat und wenn er eine Arie mit einem exponierten Ton beendet, hat er das sehr bewusst getan, meistens, um damit einen besonders dramatischen Effekt zu erreichen, was ihm ja auch genial gelungen ist!