Was sind die entscheidenden Unterschiede zwischen der Reichsverfassung und der Verfassung der Frankfurter Paulskirche?

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Beide Verfassungen hatten als Staatsform eine konstitutionelle Monarchie. Ich versuche, besonders wichtige Unterschiede zusammenzustellen.

Entstehung

Die Verfassung der Frankfurter Paulskirche ging aus einer Revolution gegen eine sehr weitgehende Macht der Fürsten hervor und wurde auf demokratische Weise von einer vom Volk gewählten (genauer: in ziemlich großer Annäherung allgemeines und gleiches Wahlrecht der volljährige männlichen Staatsbürger) Nationalversammlung beschlossen. Beim Zustandekommen des deutschen Kaiserreiches und der Reichsverfassung 1871 (die in starkem Ausmaß die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867 übernahm) waren die Fürsten wesentlich (siehe auch die Präambel, die vorangehende Erklärung über einen geschlossenen ewigen Bund, den Monarchen eingehen), der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck hat den Inhalt der Verfassung stark geprägt, Parlamente waren zwar auch durch Zustimmung/Ratifizierung beteiligt, haben aber inhaltlich keine maßgebliche Beeinflussung ausüben können.

Staatsgebiet

Die Verfassung der Frankfurter Paulskirche sah als Staatsgebiet das Gebiet des bisherigen Deutschen Bundes vor. Die Reichverfassung 1871 hatte ein etwas anderes Staatsgebiet, vor allem war Österreich klar nicht eingeschlossen.

Durchsetzung

Die von der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche am 28. März 1849 beschlossene Reichsverfassung konnte sich nicht durchsetzen (die Revolution 1848/1849 wurde besiegt), die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 erreichte tatsächliche Geltung bis 1918.

Vetorecht und Recht des Monarchen auf Gesetzesvorschläge

In der Verfassung der Frankfurter Paulskirche 1849 hatte die Reichsregierung (der Kaiser als Reichsoberhaupt und die Reichsminister) ein aufschiebendes (suspensives) Veto gegen Gesetze (seine Ablehnung hat nur befristet Wirkung und kann vom Reichstag nach einer gewissen Zeit durch erneuten Beschluss überstimmt werden; § 101) und der Kaiser ein Recht auf Gesetzesvorschläge (§ 80). In der Reichverfassung 1871 hatte der Kaiser kein Veto und nicht auf direkte Weise ein Recht auf Gesetzesvorschläge/Initiativrecht für Gesetze (als König von Preußen konnte er mittelbar über dessen Vertreter im Bundesrat Gesetzesvorschläge einbringen).

Aufbau der gesetzgebenden Gewalt

In der Verfassung der Frankfurter Paulskirche 1849 lag die Gesetzgebung beim Reichstag. Dieser bestand (Zweikammersystem) aus einem gewählten Volkshaus und einem Staatenhaus mit Vertretern der Länder (zur Hälfte von den Landesregierungen, zur anderen Hälfte von den Landtagen ernannt).In der Verfassung des Deutschen Kaiserreiches von 1871 gab es den gewählten Reichstag (Parlament mit einer Kammer) und als Vertretung der Länder den Bundesrat (Mitglieder von den Regierungen der einzelnen Länder bestimmt).

Aufbau der Reichsregierung/ohne oder mit Reichskanzler

In der Verfassung der Frankfurter Paulskirche 1849 gab es außer dem Kaiser von ihm ernannte verantwortliche Reichsminister (§ 73 und 74), aber keinen Reichskanzler. In der Reichsverfassung 1871 gab es einen Reichskanzler und ihm untergeordnet Staatssekretär für einzelne Reichsämter. Der Reichskanzler hatte auch den Vorsitz im Bundesrat und die Leitung seiner Geschäfte.

Kontrolle der Regierung durch das Parlament

In der Verfassung der Frankfurter Paulskirche 1849 ist nicht klar und endgültig entschieden worden, inwieweit die Reichminister dem Reichstag verantwortlich waren. Es war ein Reichsgesetz dazu vorgesehen (§ 192). Die Minister der Länder waren gegenüber den Volksvertretungen (Parlamente) verantwortlich. In der Reichsverfassung 1871 gab ganz klar keine volle parlamentarische Verantwortlichkeit des Reichskanzlers.

Grundrechte

Die Verfassung der Frankfurter Paulskirche 1849 enthielt als einen bedeutenden teil einen umfangreichen Katalog von Grundrechten. Die Reichsverfassung 1871 enthielt dagegen keine Grundrechte. Diese standen in den Verfassungen der Einzelstaaten.

oberste Judikative

Die Verfassung der Frankfurter Paulskirche 1849 sah für die Ausübung der dem Reich zustehenden Gerichtsbarkeit einschließlich einer Zuständigkeit in Verfassungsfragen ein Reichsgericht vor (§ 125 – 128). Eine Judikative gab im 1871 gegründeten Kaiserreich auf der Ebene des Reiches nur begrenzt. Die Gerichtshoheit lag bei den einzelnen Bundesstaaten des Deutschen Reiches. Die Rechtsprechung lag dort bei verschiedenen Gerichten. Eine Reichsgerichtsbarkeit gab es nur für bestimmte Bereiche mit ausschließlicher Zuständigkeit des Reiches (in Artikel 4 angegeben). Eine eigentliche Verfassungsgerichtsbarkeit des Reiches gab es nicht, für Streitigkeiten war der Bundesrat zuständig (Artikel 76). Aufgrund eines Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz 1877 nahm 1879 ein Reichsgericht in Leipzig als oberstes Straf- und Zivilgericht seine Tätigkeit auf.

Welche Reichsverfassung?
Bonn oder Weimar?

Generell haben die beiden der Verfassung der Paulskirche aber die Tatsache voraus, dass sie überhaupt "richtig" in Kraft getreten sind.