Warum/inwiefern ist die Parasitologie ein Beleg/Indiz für die Evolution?

2 Antworten

Parasiten sind für die Evolutionsforschung in merhfacher Hinsicht interessant.

Zum einen sind Wirt-Parasit-Beziehungen ein klassisches Beispiel für Co-Evolution, d. h. die wechselseitige Anpassungen zweier Arten, die sich gegenseitig bedingen. Während Wirte ständig gezwungen sind, neue Mechanismen der Resistenz hervorzubringen, um sich besser vor den Parasiten zu schützen, sind die Parasiten immerfort dazu gezwungen, sich an die neu auftretenden resistenteren Genotypen der Wirte anzupassen und Wege zu finden, wie deren Immunsystem umgangen werden kann. Solange beide Parteien in diesem evolutionären Wettrüsten (arms races) mithalten können, wird also eine dynamische Entwicklung einer ständigen auf beiden Seiten ablaufenden Anpassung aufrecht erhalten. Es stellt sich somit kein stabiles Gleichgewicht zwischen den beiden Parteien ein, sondern es wird ein Zustand erreicht, der Rote-Königin-Dynamik genannt wird: beide Parteien sind dazu gezwungen, sich ständig anzupassen, wobei der jeweilige status quo in diesem Rennen aufrecht erhalten bleibt. Benannt ist der Effekt nach der Herzkönigin aus Lewis Carrolls Kinderbuch-Klassiker Alice hinter den Spiegeln. Darin sagt die Herzkönigin aus dem Wunderland sinngemäß zu Alice, dass sich in ihrem Reich die Erde so schnell drehe, dass man so schnell rennen müsse wie man nur könne, um auf der Stelle treten zu bleiben. Evolution bleibt also niemals stehen und kommt dabei gleichzeitig nicht vom Fleck weg.

Gleichzeitig kann die Parasitologie für die Bestimmung von Verwandtschaftsverhältnissen, d. h. für systematische Fragestellungen hilfreich sein (die Systematik ist derjenige Teilbereich der Biologie, der sich mit der Ordnung des Lebens in ein phylogenetisches System (den Stammbaum des Lebens) beschäftigt).

Manche Parasiten sind bei der Auswahl ihrer Wirte wenig wirtsspezifisch, z. B. Flöhe (Siphonaptera). Sie befallen alles, was in ihr wenig wählerisches Beuteschema passt. Darum können Katzenflöhe (Ctenocephalides felis) nicht nur auf Katzen parasitieren, sondern beispielsweise auch auf Hunden oder Menschen. Und der Rattenfloh (Xenopsylla cheopis), der ursprünglich auf Hausratten (Rattus rattus) parasitierte, befällt auch den Menschen, was im Mittelalter und in der frühen Neuzeit bis ins 17. Jahrhundert hinein zur Ausbreitung des Schwarzen Tods führte, denn Rattenflöhe können bei ihrem Biss das Bakterium Yersinia pestis übertragen, den Erreger der Pest.

Andere Parasiten hingegen, z. B. die Tierläuse (Phthiraptera), sind hoch wirtsspezifisch. Die allermeisten Arten von Läusen befallen nur eine einzige oder nur wenige nahe miteinander verwandte Tierarten. In der Regel wird eine Tierart auch immer nur von einer einzigen Tierlausart parasitiert. Einzige Ausnahme ist der Mensch, der von zwei verschiedenen Arten von Läusen parasitiert wird: der Scham- oder Filzlaus (Pthirus pubis) und der Menschenlaus (Pediculus humanus), von der zwei Unterarten (Kleiderlaus, P. h. humanus und Kopflaus, P. h. capitis) unterschieden werden, die manche Systematiker auch als getrennte Arten betrachten. Dass diese drei verschiedenen Gruppen von Läusen auf der gleichen Wirtsart parasitieren können, liegt daran, dass alle unterschiedliche Körperregionen befallen: Filzläuse leben nur in Scham- und Achselhaaren und selten auch einmal in den Augenbrauen, während Kopfläuse ausschließlich die Kopfhaare befallen und die Kleiderlaus lebt vorzugsweise in der restlichen Körperbehaarung.

Durch einen Vergleich der Parasiten von verschiedenen Tierarten kann daher nicht nur etwas über die verwandtschaftlichen Verhältnisse der Parasiten untereinander ausgesagt werden, sondern auch über die Verwandtschaftsverhältnisse ihrer Wirte.

Besonders hilfreich können Untersuchungen an den Parasiten verschiedener Wirtsarten dann sein, wenn man bei der Verwandtschaftsanalyse der Wirte mit den herkömmlichen Methoden nicht weiter kommt. Wenn z. B. in einer Gruppe mehrere Artbildungsprozesse hintereinander oder auch gleichzeitig stattfinden, sodass aus einer Ursprungsart innerhalb kürzester Zeit eine ganze Reihe verschiedener Arten hervorgehen (man spricht dann von einer adaptiven Radiation), können mit den herkömmlichen Analysemethoden (z. B. dem Vergleich von DNA-Sequenzen) die einzelnen Artbildungsschritte nicht hinreichend voneinander unterschieden werden. Man kann dann nicht sagen, welche Art des Komplexes mit welcher anderen am nächsten verwandt ist und wie die einzelnen Aufzweigungen (Dichotomien) aussehen. Man erkennt das daran, dass von einem einzelnen Knoten dann mehr als abgehen und man spricht dann oft davon, dass der Stammbaum an dieser Stelle nicht aufgelöst, d. h. in seine eizelnen Dichotomien aufgetrennt, werden kann.

In solchen Fällen ist es dann aber u. U. möglich, die Parasiten miteinander zu vergleichen und so doch noch eine Auflösung des nicht eindeutigen Stammbaums zu erreichen. Wenn eine Parasitenart eine Wirtsart A und B gefällt, aber nicht eine Art C, dann bedeutet dass, dass die Arten A und B untereinander näher miteinander verwandt sein könnten. Beide hätten den sie befallenden Parasiten dann quasi von ihrem gemeinsamen Vorfahren geerbt, der seinerseits schon von diesem Parasiten befallen wurde.

Parasiten können aber auch einiges über die Evolutionsgeschichte einer einzelnen Wirtsart aussagen. Die nächstlebende Verwandte der Filzlaus ist z. B. die Art Pthirus gorillae, die ausschließlich Gorillas befällt. Man nimmt heute an, dass "unsere" Filzlaus sich entwickelt hat, als während der Jagd der ersten Menschen auf andere Primatenarten, nämlich auf Gorillas, der Vorfahr der beiden Lausarten auch auf den Menschen übergesprungen ist, sich dort an ihn angepasst hat und zur Filzlaus wurde, während die anderen Läuse, die auf den Gorillas blieben, zur Schwesterart P. gorillae wurden.
Ein Vergleich von Bandwurmarten (Cestoda) ergab, dass die Bandwürmer des Menschen nahe verwandt sind mit Bandwürmern, die Löwen (Panthera leo) und Hyänen (Crocuta crocuta) befallen. Nicht, weil Menschen mit Löwen und Hyänen näher verwandt wären, sondern höchstwahrscheinlich, weil die ersten Menschen vorwiegend Aasfresser gewesen sind, die sich zu großen Teilen von dem ernährt haben, was Löwen und Hyänen übrig gelassen hatten. Dabei haben sich die Menschen beim Aas-Verzehr wahrscheinlich mit den Parasiten der Raubtiere infiziert. Wenn man nun mit Hilfe der so genannten molekularen Uhr durch den DNA-Vergleich der verschiedenen Bandwurmarten den Zeitpunkt bestimmen kann, zu dem sich die Bandwürmer von Menschen und Löwen bzw. Hyänen voneinander getrennt haben, ist es möglich, einzugrenzen, ab wann Menschen dazu übergingen, ihren Speiseplan wesentlich durch Fleisch zu erweitern.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Moin,

die Parasitologie für sich ist kein Indiz für Evolution, aber bestimmte Parasiten können zu einem Indiz werden.

Wie passt das zusammen? - Nun, ein Parasit braucht bestimmte Anpassungen, um seine parasitische Lebensweise führen zu können. Dabei gibt es allgemeine Anpassungen, aber manchmal auch sehr spezielle.

Die allgemeinen Anpassungen sind in der Regel wenig hilfreich, um damit Verwandtschaft zu zeigen. Aber spezielle Anpassungen können sehr wohl solche Indizien liefern.

Stell dir vor, du hättest einen Federling (einen Parasiten im Gefieder einer Vogelart), der so spezialisiert ist, dass er nur an ganz bestimmten Federn im Halsbereich einer Entenart leben kann.
Und nun stell dir weiterhin vor, dass du drei Entenarten A, B und C hast, die näher miteinander verwandt sein sollen, aber du weißt nicht, ob A & B gegenüber C oder A gegenüber B & C oder A & C gegenüber B näher verwandt sind.

Von der Morphologie oder Anatomie her gibt es keine Indizien, die für die eine oder die andere nähere Verwandtschaft sprechen. Auch molekulargenetisch wäre alles drei möglich.

Aber jetzt entdeckst du, dass dein Federling nur auf der Art A und der Art C leben kann, aber nicht auf der Art B vorkommt. Dann kann eine solche Verteilung dafür sprechen, dass Art A und C näher miteinander verwandt sein könnten, weil sie die gleichen Parasiten haben. Sie gingen wahrscheinlich aus einer Stammart hervor, die ebenfalls bereits diesen Federling zum Parasiten hatte. Die beiden Tochterarten A und C teilen sich dann diesen Parasiten (immer noch).

Hier wäre dann die Verteilung des Parasiten ein Indiz, mit dem man die Verwandtschaft klären konnte...

LG von der Waterkant