Warum waren die Menschen vom 1. Weltkrieg vorher so begeistert?

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Nach Jahrhunderten der Zersplitterung in viele unabhängige Fürsten- und Herzogtümer sowie freie Stadtstaaten, erfolgte nach dem Sieg über Frankreich 1871 endlich die langersehnte Vereinigung aller Deutschen unter einem gemeinsamen Dach und dieses Dach hieß Deutsches Kaiserreich. Das zuvor in viele Landesteile zersplitterte Deutschland und hier besonders die süddeutschen Staaten, waren seit Ludwig XIV. bis Napoleon ständigen französischen Raubkriegen und Annektionen hilflos ausgeliefert.

Das geeinte deutsche Reich hatte nun endlich die Macht und Wehrfähigkeit gegen französische- und andere Angriffgelüste! Eine Begeisterung für den Krieg, sofern sie denn nicht nur für Propagandazwecke konstruiert wurde, mag aus dem glorreichen Sieg über Frankreich 1870-71 resultieren. Das Vertrauen in die Stärke der eigenen Armee war derart groß daß man wohl glaubte, ein relativ leichtes Spiel mit den Gegnern zu haben? Besonders die leichtfertige Ausblutungsstrategie des Oberbefehlshabers an der Westfront "General von Falkenhain" sprach anfänglich für die Selbstüberschätzung führender deutscher Militärführer!

MuffinCupcake 
Fragesteller
 11.04.2012, 19:54

Wow! Vielen vielen lieben Dank! hat mir sehr geholfen!

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Die Menschen weniger, die Deutschen schon. Die Deutschen waren siegesgewohnt und Bismarck hatte ihnen solche Verträge gemacht, dass sie 1871 den letzten Krieg hatten, den sie gewonnen hatten. Auch wirtschaftlich ging es steil bergauf. Berlin war eine Hauptstadt voller Prunk und auch die Kaiserfamilie war eine Familie voller Prunk.

Als dann Kaiser Wilhelm II. an die Macht kam, der es liebte, sich und seine Söhne in Uniformen zu kleiden und das Krieg spielen liebte, hat dieser die Bismarckverträge aufgelöst und einen Grund zum Krieg führen gesucht. Der Anschlag in Sarajewo war ein willkommener Anlass.

Hinzu kommt, dass Bismarck auch das Beamtentum eingeführt hat. Er zahlte zwar wenig, aber jeder Beamte hatte seine Uniform und eine Versorgung auf Lebenszeit. In Uniform war man einfach etwas Besonderes. Hit.ler schreibt in seinem Buch "Mein Kampf", wie stolz sein Vater auf seine Uniform war.

Und nun bekamen die Männer des deutschen Volkes eine Uniform - eine richtige Uniform - und durften auf dem Feld der Ehre Heldentaten vollbringen. Ans Sterben dachte ja keiner. Man glaubte, das ginge so schnell, wie der Krieg 70/71 gegen Frankreich. Ja, Wilhelm II. war der eigenliche Verursacher des Untergangs der Monarchien in Europa. Ohne den deutschen Einfluss, die das Zarenreich damit unterminieren wollten, wäre auch der Kommunismus niemals an die Macht gekommen.

jessasnamoi  24.03.2012, 14:38

Das würde ich so nicht unterschreiben:

  1. Waren auch die anderen Nationen völlig von der Begeisterung fürs Krieg führen erfasst. (Revanchistische Franzosen lechtzten nur so nach einem erneuten "grande ciècle", die Briten hatten ein völlig überzogenes Weltmachtdenken - vor allem durch ihre Hegemonialmachtstellung im Marinewesen, die Italiener waren schon damals -nicht erst unter Mussolini- vom Gedanken beflügelt, eine neue Großmacht am Mittelmeer zu werden und die Russen waren sich schon damals der (psychologischen) Wirkung ihrer Armee die "einer Dampfwalze gleich" war. Der 1. Weltkrieg ist also -im Gegensatz zum 2. Weltkrieg- kein Krieg in dem man "hier gut, da böse" sagen kann. Keiner war besser als der andere.

  2. Weiß man heute ziemlich sicher, dass Wilhelm II. zwar ein leidenschaftlicher Militarist war, aber mit Sicherheit kein Bellizist (das eine schließt das andere ja nicht automatisch mit ein). Er hatte faktisch Verwandtschaft in allen Herrscherhäusern der großen Mächte Europas - von Briefen an Nikolaus II. ("lieber Niki") weiß man, dass es ihm vor dem Gedanken eines im Krieg versunkenen Europas graute. Weiters hatte der Reisekaiser politisch längst keine Macht mehr -man wusste schon längst, dass er in Sachen Außenpolitik eine Nuss war und hielt ihn gut von wichtigen Entscheidungen fern-. Auch Kaiser Franz Joseph war schon ein altes Männlein - in Wien gab es ein sehr kriegstreiberisches Grüppchen von Adeligen, welche ihn ohne Mühe von der Sache überzeugen konnten.

  3. Der eigentliche Verursacher des Untergangs der Monarchien war zu allererst die frz. Revolution (konstitutionelle/aufgeklärte Monarchien/Absolutismen) sowie die 48er Revolutionen (Verfassungen etc.). Für Europa hatte Wilhelm II. im Grunde überhaupt keine Bedeutung - er wurde nach zig Skandalen, Fettnapftretereien und Ungeschicktheiten schlichtweg nicht ganz ernst genommen. Durch seine Patschertheit fiel es den Deutschen bloß um einiges Leichter, von der Monarchie Abschied zu nehmen.

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Enki40  24.03.2012, 15:36
@jessasnamoi

Danke für diesen Kommentar. Mir zeigt dies wieder nur einmal mehr, wie wichtig ein objektiver Geschichtsunterricht wäre. Ich weiß nicht, wie das heute ist, aber meiner war sehr einseitig und einen Stolz auf meine Abstammung und ein Beschäftigen mit der Geschichte, bekam ich erst auf meinen Asienreisen, wo ich eine allgemeine Contra Stimmung gegen die so von uns verehrten USA kennenlernen konnte und eine allgemeine prodeutsche. Dort lernte ich Geschichte neu kennen.

Deinen Kommentar halte ich für richtig. Einen mir bekannten Auszug aus einem Buch des Ex-Kaisers habe ich vergessen, weil mir seine andere Handlungsweise im Vordergrund stand.

Wenn ich die Menschen in Deutschland sehe, wie sie auf die Straße treten, dann glaube ich, dass Geschichtsunterricht in Deutschland immer noch sehr einseitig ist. Ich denke, dass ein neuer, aufgeklärter, Unterricht für ein neues Nationalbewusstsein sehr wichtig ist. Und wie wichtig dieses ist wurde mir erst während meiner Asiensreisen richtig bewusst. Obwohl ich in einem meiner Romane schreibe, Deutsch zu sein ist keine Frage der Nationalität, sondern des Charakters.

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jessasnamoi  28.03.2012, 19:00
@Enki40

Da sind wir uns wohl ganz einer Meinung. Ich bin zwar kein Deutscher, aber ich weiß gut um euer Verhältnis zu Patriotismus bescheid -etwa, dass man sofort verdächtigt wird ein Rechter zu sein, wenn man die Fahne außerhalb von Fußballländerspielen zeigt; etwas das mir zu keinem anderen Land einfallen würde-.

Dabei beneidet euch die halbe Welt um eure erdrückende Wirtschaftsmacht und euren Wohlstand, auch um die vielfältige Kultur. (Das kommt wohl auch daher, dass man woanders annimmt, es gäbe da DEN Deutschen und der läuft in Lederhosen herum und trinkt fleißig Bier, während er sogar noch arbeitet wie eine Maschine und Philosophien ausbrütet).

Die Aufarbeitung eurer negativen Vergangenheit betreibt ihr eigentlich vorbildlich, da können sich (soweit ich informiert bin) ALLE anderen Länder eine dicke Scheibe abschneiden. Von den ehemaligen Siegermächten fiele mir zu jeder einzelnen auf Anhieb eine Gräueltat ein (nicht nur im 2. WK) die bisher völlig von der Öffentlichkeit ignoriert wurde - Gerechtigkeit sieht für mich anders aus.

Das Hervorheben eurer Glanzzeiten in der Geschichte Europas dagegen wird großzügig ausgelassen. Tja, da wäre wirklich vieles zu tun, an euren Schulen. Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein würde gerade jetzt in der EU nicht schaden. Nun könntest du zwar argumentieren, dass Deutschland zusammen mit Frankreich ohnehin schon den Ton angibt - wenn es aber noch nichteinmal angedacht wird, Deutsch zu einer Sprache des EU-Parlaments zu machen, obwohl ihr neben der gößten Nation auch noch die größte Marktwirtschaft der EU stellt, so spricht das für mich schon eine eindeutige Sprache.

Ich bedanke mich für den gegenseitigen Austausch, es war sehr interessant für mich!

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Waren sie das? Das muss man sehr differenziert betrachten. Vieles ist einfach einem Mythos zuzurechnen.

Die meisten waren überhaupt nicht begeistert. Jedenfalls nicht die einfachen Leute. Das Parlament hatte auch dagegen gestimmt. Nur der Kaiser war "begeistert", denn der hat das Parlament überstimmt und die einfachen Leute durften es wie immer, ausbaden.

In erster Linie lag es wohl an der allgemeinen Situation ( Inflation, hohe Arbeitslosigkeit usw.) . Dazu kam dann Propaganda ( alles wird besser, Sündenböcke ( Juden) müssen beseitigt werden usw.) Solcherart hochgeputscht und manipuliert, war es ein leichtes, die Menschen für einen krieg zu begeistern. Sorry, das war der2. Weltkrieg, aber im ersten war es ähnlich. Obrigkeitstreue und Machtgelüste. Sich beweisen können, als Kämpfer und Soldat......ein männlicher krieg eben.

Aphaiton  24.03.2012, 13:26

Deutsche Juden kämpften sogar im Deutschen Heer von 1914 bis 1918 mit. Die Stimmung als die Menschen vom Beginn des Krieges 1939 hörten, war übrigens nicht enthusiastisch wie bei dem 1. Weltkrieg. Allenfalls ein paar verblendete Parteispinner freuten sich über den Krieg. In der deutschen Bevölkerung saß allerdings immer noch der Schrecken des Ersten..

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jessasnamoi  24.03.2012, 15:24

Bloß weil es auch "Weltkrieg" heißt und du offenbar nicht viel Ahnung vom 1. WK hast, brauchst du noch lange keine aus der Luft gegriffenen Parallelen ziehen.

Die Wirtschaft vor dem 1. WK war nämlich am Boomen! Damals vollzog sich etwas, das wir heute in noch stärkerer Form in China beobachten: Die billigen Arbeiter der Fabriken schufteten ihren Nachfolgegenerationen einen enormen Wohlstand an - vom Entwicklungsland mit einer breiten Masse an Proletariern zu einer Mittelstandsgesellschaft! Das Leben wurde immer Lebenswerter, die Menschen blieben länger als je zuvor von Krieg verschont (natürlich mit Ausnahme von Frankreich, aber auch da waren die Zivilisten nicht in gewohnt inhumanem Ausmaß involviert). Deutschland alleine hatte in den Jahren vor dem 1. WK ein doppelt so hohes Wirtschaftswachstum als alle anderen Großmächte -und war schon um die Jahrhundertwende extrem industrialisiert!-.

Wir merken: In kaum einer Phase der Geschichte Europas war die wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderung so rasant, tiefgreifend und umfassend wie in den Jahren vor dem 1. WK!

Weiters: Die Propaganda hatte im 1. Weltkrieg BEI WEITEM nicht die Durchsatzkraft wie im 2.. Und damit meine ich, dass Welten dazwischen lagen! Auch war der Inhalt ein völlig anderer! Im 1. WK hatte man wenn überhaupt, dann nur vereinzelt (etwa die paar, an zwei Händen abzählbaren LFZ über London) die Möglichkeit, das feindliche Volk mit Flugblättern zu bewerfen. Auch wollte man das zumeist gar nicht, da schließlich sogar Offiziere etc. glaubten, dass der Gegner eine (überspitzt gesagt) "Auslese des Satans" ist. Im 2. WK hatte man in manchen Bereichen dazugelernt. Abgesehen von Fronten an denen Deutschland gegen Nationen aus Hitlers Kategorie "Untermensch" kämpfte, ging man nun schon von der Annahme aus, dass das Volk des Gegners vernunftbegabt ist, ergo für die eigenen Ansichten gewonnen werden kann. Das Volk des Gegners lief also kaum Gefahr, von der Propaganda verteufelt zu werden. Bestes Beispiel: Frankreich-Deutschland. Bis hierher also alles einmal unabhängig von der Kriegspartei betrachtet. Ein, aus der Sicht Nazi-Deutschlands, ungültiges Gegenargument: Slawen, Juden. Diese wurden von den Nazis bekanntlich als Parasiten eingestuft, und auch so behandelt. (Es hat etwas zynisches, wenn man bedenkt, dass Tierrechte im 3. Reich hochgehalten wurden.) Man dachte also gar nicht daran, diese mit Propaganda zu belegen.

Alle Aussagen zu diesem, für manche Menschen sehr sensiblen Thema natürlich unter Einhaltung politischer Objektivität - darauf lege ich großen Wert.

Ach ja: Bitte erkläre mir was du unter einem "weiblichen Krieg" verstehst. Und komm' mir bitte nicht mit Kabinettskriegen oder etwa Blumenkriegen. ;)

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Kaputtnik  24.03.2012, 18:02
@jessasnamoi

Danke für die ausführliche Aufklärung. Was ein "weiblicherKrieg" ist, weiss ich nicht. Bisher gingen Kriege und Zerstörung immer von Männern aus; soweit mir das bekannt ist. L.G.

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jessasnamoi  28.03.2012, 20:11
@Kaputtnik

Nachdem ich nocheinmal darüber nachgedacht habe, bin ich zum Entschluss gekommen, dass dieser "weibliche Krieg" am ehesten noch eine klassische Ritterschlacht unter Einhaltung der höfischen Regeln wäre. Bei so etwas starben i.d.R. keine Zivilisten, in manchen Fällen sogar nichteinmal zwangsbewaffnete Knechte im Wehrdienst, Felder wurden so gut es ging nicht verwüstet und alles lief in einem relativ geregelten Rahmen ab.

Ich muss zwar beteuern, dass so etwas das ganze Mittelalter hindurch kaum zu finden ist - eine Schlacht, rein zwischen gut ausgerüsteten Adeligen. Wann immer es aber so zur Sache ging, war die Zahl der Todesopfer unverhältnismäßig gering. Auch wurde vereinbart, dass man die Kämpfe auf ein Signal hin unterbrach um die Toten und Verletzten zu bergen - bloß um dann gleich wieder weiterzukämpfen. Als Beispiel fallen mir da vor allem einige Schlachten aus den Kriegen zwischen Bayern, Österreichern und Eidgenossen ein.

Ein Krieg, rein zwischen Frauen würde wohl nicht anders aussehen als einer zwischen Männern. Wenn man die gesamte Geschichte betrachtet, so gab es zu allen Epochen immer wieder kämpfende Frauen. Und verstehe mich bitte nicht falsch, aber dass diese humaner waren konnte ich noch nirgends nachlesen.

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