Warum sind so viele Jugendliche psychisch krank?

16 Antworten

Meine Wahrnehmung:

Unheimlicher Druck von Außenstehenden, perfekt zu sein. Das wurde durch Social Media befeuert, aber das war doch vorher schon genau so und fing durch die Eltern an. Auch schon bei der „älteren“ Elternegeneration - da ging es eben nur über die Eltern, ohne Social Media.

„Die Oma kommt zu Besuch, räum auf, sonst macht sie xy (nicht mehr).“

„Du kannst dein Kuscheltier/ Spielzeug nicht mitnehmen, was soll denn die Familie denken? Der Charly ist erst drei und schafft das - willst du mit fünf noch kleiner aussehen als er?“

“Der Anton hat die und die Noten oder macht das und das - du musst genau so gut/ besser sein als der Sohn von Sabine.“

“Du musst auf das Gymnasium, weil was sollen die Leute denn denken? Sogar der Fritz hat das geschafft.“

usw.

Solche Dinge kennt ja wohl JEDER. Und das ist ein erster Grundstein. Und heute hat Social Media nur darauf aufgebaut.

Und dann musst du überall perfekt sein - damit du gut aussiehst sollst du Sport machen, dann spielst du Fußball und versemmelst ein Spiel „Warum hast du den denn nicht gehalten/ Nur den Pfosten getroffen?“ oder du wirst gar nicht eingewechselt, weil du zu Selten beim Training warst. Warum? Weil du für die Schule lernen musstest, Abgaben vorbereiten, für Klausuren/ Arbeiten o.ä. lernen. Dann isst du mal eine Pizza, weil es schnell gehen musste auch noch TK, siehst aber wieder, was andere essen/ selber kochen (Fernsehen, Social Media, auf den Straßen..) und fühlst dich schlecht. Dann schläfst du durch das Lernen erst spät ein oder weil die Gedanken noch nachhallen, hast den nächsten Tag keine super super perfekte Laune, gleich bist du launisch - unerträglich.

Und dann ist man sich zu stolz etwas zu sagen oder traut sich dank seiner Familie nicht, wenn etwas schief läuft und irgendwann kann dann keiner mehr. Und anstatt über die grundsätzlichen Probleme zu sprechen spricht man dann nur vom Resultat - psychischen Krankheiten/ Störungen, höherer Leistungsdruck etc.

Jeder Mensch braucht mindestens eine Person, die ihn uneingeschränkt und mit allen Macken und Problemen liebt - wer ist das bei Kindern, die nach wenigen Wochen bei einem Babysitter landen? Oder wo sogar direkt der Fernseher das Sitting übernimmt. Und dann merkt man, wie viel Geld der Babysitter doch kostet und entweder wird das Kind dann mit 20/30 anderen Kindern ganztags von 2/3 Betreuern betreut, die aber ca. 10 Kinder versorgen müssten. Oder, sobald es alt genug ist, kriegt es einen Schlüssel in die Hand und dann Marsch, mach doch, was du willst.

Und die Eltern sehen sie dann mit Glück vielleicht morgens ne halbe Stunde und abends 1-2, wobei dann die meiste Zeit nicht (aktiv) mit dem Kind verbracht wird.

Sind die Eltern dann da und das Kind möchte spielen oder braucht (Hausaufgaben)Hilfe „Ne, jetzt nicht, ich bin müde von der Arbeit“, dann spielt das Kind alleine „Gehst du bitte in dein Zimmer/ bist leiser? Ich brauche Ruhe.“

Natürlich rächt sich das, wenn die Eltern nachts um 2 ins Bett gehen und die Kinder um 5, weil es niemanden interessiert und die bis dahin gucken/ machen können, was sie wollen.

Ein Kind haben ist eben mehr als „am Wochenende (im Urlaub) Happy Family spielen, tolle Bilder machen und hochladen und tolle Geschenke machen, die natürlich auch fotografiert & geteilt werden“. Das ist aber den wenigsten Eltern klar und das nimmt immer weiter ab.

Und da bleibt schon wenig vom Kind übrig, sobald es älter ist - dann kommen die Nachrichten. Klimawandel, Krieg, Krisen, Aufstände, Welthunger dazu. Wie soll ein solches Kind, das nie Liebe & Sicherheit erfahren hat damit umgehen?

LoveinChrist  12.08.2023, 08:53
Solche Dinge kennt ja wohl JEDER.

Nein, zum Glück kenne ich das nicht.

Aber sonst stimme ich dir vollkommen zu, weil ich das auch beobachte. Eltern schieben ihre Kinder sehr früh und sehr lange in Institutionen, die man auch als unmenschlich bezeichnen könnte. Die wenigsten Erzieher würden ihre eigenen Kinder gern in eine Krippe geben.

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holjan  12.08.2023, 11:41

Als in der DDR aufgewachsener Mensch, kann ich so viel sagen, dass vieles von dem, was du da als potenzielle Gründe anmerkst, auch schon in meiner Kindheit gegeben war.

In der DDR waren Frauen grundsätzlich berufstätig. Zudem waren Krippenplätze garantiert. Entsprechend sah der Verlauf idR folgendermaßen aus:

-ab Vollendung des 1. Lebensjahres Krippe

-zw. dem 3. und 6. Lebensjahr Kindergarten

-Schulkinder, die nicht zufällig ne schon berentete Oma hatten, zu der sie nach Schulschluss gehen konnten, gingen in den Hort, bis mind. ein Elternteil Feierabend hatte und es abholen konnte.

Leistungsdruck in der Schule war ebenfalls gegeben. Ich hatte in den ersten 4 Schuljahren sogar noch Samstags Schule und es wurde selbstredend ab Klasse 1 ganz normal benotet. Auch wurden von Anfang an Hausaufgaben aufgegeben.

Zusätzlich war es üblich, zumindest als Grundschulkind an mindestens einer AG teilzunehmen. Das waren Vereinsähnliche Aktivitäten, die im Anschluss an den Schulunterricht stattfanden.

Ich war z.b. in der Sport AG und im Chor. Das bedeutete 3 Nachmittage pro Woche nicht vor 16-17 Uhr zu Hause.

Alle 2 Wochen kam noch der obligatorische Pioniernachmittag hinzu, dessen Teilnahme verpflichtend war.

Das man zu Hause im Haushalt hilft (Geschirr spülen, abtrocknen, Müll rausbringen, Tisch decken und das eigene Zimmer sauber halten) war zumindest bei uns vollkommen normal.

Ebenfalls gab es dann noch random Aktionen wie Altpapiersammlung oder Kastanien- oder Eicheln sammeln. Das konnte man bei Sammelstellen abgeben und bekam etwas Taschengeld und einen Nachweis dafür, den man in der Schule abgeben konnte und woraus dann die fleißigsten Sammler ermittelt wurden. Also auch hier wieder Erwartungen, die man natürlich erfüllen wollte. Man wollte eben nicht das Kind sein, dass nichts gemacht hat, sondern zu denen gehören, die gelobt und ausgezeichnet wurden.

Unter’m Strich, sehe ich da also nicht weniger Stress, Erwartungsdruck und Belastung als es heutige Kinder- und Jugendliche erleben und wie man sieht, hatten Eltern zumindest in der DDR auch nicht wahnsinnig viel Zeit für und mit den Kindern. Dennoch wäre mir nicht bekannt, dass Kinder und Jugendliche seinerzeit psychisch auffällig gewesen wären.

Aus persönlicher Sicht, kann ich jetzt auch nicht sagen, dass mir der Bezug zu den Eltern gefehlt hätte o.ä..

Klar hätte ich mir mehr Zeit mit meinen Eltern gewünscht, aber die Bindung zu den Eltern stand dennoch nie in Frage.

Sprich - ich hatte nie das Gefühl nicht uneingeschränkt von ihnen geliebt zu werden oder mich nicht zu 100% auf sie verlassen zu können.

Ich denke Vieles bezogen auf die heute auffällig gehäuften psych. Probleme bei Kindern - und Jugendlichen geht auf die mangelnde Vorbereitung mit Druck etc. umzugehen zurück.

Da wird in meinen Augen halt sehr lange geschont und verhätschelt und wenn dann plötzlich Anforderungen gestellt werden bzw. Druck aufkommt, sind die Kinder halt überfordert und wissen damit nicht umzugehen.

Eventuell spielt da heutzutage auch der Mangel an analogem sozialem Miteinander mit rein.

Wenn ich mal zurückdenke an meine Kindheit. Da war die ganze Nachbarschaft täglich auf’m Spielplatz - ohne Eltern. Bei uns klingelte täglich irgendein Kind an der Türe und fragte, ob ich oder meine Schwester rauskommen zum Spielen.

Da war also ständig was los, 20-30 Kinder, verschiedener Altersgruppen, die nahezu täglich zusammenkamen. Da gab es natürlich auch Konflikte, aber man stritt sich und vertrug sich wieder und das im Regelfall ohne Einwirken von Eltern oder sonstigen Erwachsenen.

Den Spielplatz gibt es heute noch, sogar komplett modernisiert, also von feinster Güte. Nur Kinder sieht man da seit mindestens 20 Jahren kaum noch. Wenn überhaupt, hält mal ne Mutti oder ne Omi an und lässt ein Kleinkind 5 Minuten im Sandkasten spielen - das war’s dann aber auch schon. 

Die 5-10jährigen hocken idr zu Hause, vor Tablet, Handy, PC oder vor der Glotze, scrollen durch Insta oder TikTok und lassen sich berieseln und versuchen ihren Idolen nachzueifern und grämen sich, wenn sie merken, dass sie mit dem ganzen Schein der da vermittelt wird nicht mithalten können oder überlegen sich stundenlag, ob sie nun bi, schwul, lesbisch, trans oder was weiß ich was sind.

Eventuell liegt es daran, dass die heutige Generation junger Eltern eben selbst schon im Multimediazeitalter groß wurde und es selbst schon nicht mehr anders kennt als sich größtenteils online zu beschäftigen.

Nicht die Belastung ist gestiegen, sondern die Belastbarkeit gesunken. Bei Erwachsenen wie auch bei Kindern/Jugendlichen.

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Es geht schon damit los, dass sich viele Eltern gar nicht bewußt sind was es bedeutet ein Kind zu haben. Was alles damit zusammen hängt. Frauen wollen/müssen heutzutage arbeiten, überlegen schon frühzeitig wann/wo das Kind in die Kita kommt etc. Keine oder nur wenige Frauen wollen sich um ihr Kind kümmern. Es wird einfach abgeschoben. Ist das Kind größer, wird es meist sich selber überlassen. Kommt es von er Schule, ist niemand da. Kein Essen etc. Eine schlimme Entwicklung, die wir da haben. Die Quittung haben wir jetzt. Man muss sich nur unsere Gesellschaft ansehen. Einfach nur gruselig.

Marsreisender  12.08.2023, 11:02

Ich sehe das nichts so. Das überkümmern ist ein grosser Faktor. Alles wird abgenommen und vorgeschrieben. Ich bin in der DDr aufgewachsen. Dort waren die meisten Frauen berufstätig, auch in Schichten. Dort gab es viel weniger erschöpfungszustände als heute. Die meisten meiner Mitschüler kamen nach der Schule in eine leere Wohnung. Man ist ja auch mal mitgegangen zu dem einen oder anderen. In der Regel gab es so ab 10 Jahren kleine Aufgaben, die zu erledigen waren und diverse Anweisungen. Es war ein gesundes mass an Fürsorglichkeit und steigender Selbstüberlassung mit Kontrolle.

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euleella  12.08.2023, 11:40
@Marsreisender

Entwickelt sich ein Kind ... ich sage mal in den ersten 6 Jahren ... nicht so, wie es sein sollte, sind Schäden kaum reparabel. Die Erziehung und das "Kümmern" in der damaligen DDR war sicher eine andere wie heute bei uns. Ab 10 Jahren sollte schon eine gewisse Selbstständigeit bei Kindern vorhanden sein. Schau dir doch die Kinder an (ab 12 Jahren, z.B. hier im Forum) Was haben die für Interessen?! Sicher nicht die wie damals 12 jährige in der DDR hatten.

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Marsreisender  12.08.2023, 12:28
@euleella

Aber das ist auch ein schwieriges Thema. So richtige Antworten hat da auch niemand. Es gibt trotzdem viele Jugendliche, die vollkommen normal sind, ohne Probleme, obwohl das gleiche Pensum vorliegt und beide Eltern Arbeiten. Also ich geb zu einem großteils dem permanent reflektierenden Ego eine Mitschuld. Das ist einfach noch nicht fertig ausgebildet und wird jeden Tag unreflektiert befeuert durch Medien und vermeintlichen Zwängen. Dazu permanente Negativnachrichten.

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Seit dem Jahr 2010 hat sich die Zahl der in Behandlung befindlichen Jugendlichen (bis 24 Jahre) mehr als verdoppelt. Corona hat da nochmal viele Neupatienten beschert. Weit mehr als 800.000 Fälle sind in Deutschland in Behandlung.

Man muss auch nicht, wie andere Antwortende hier, spekulieren, sondern es gibt konkrete Auswertungen:

Die häufigsten Störung im Kinder- und Jugendalter sind:

  • Angststörungen
  • Depression
  • hyperkinetische Störungen
  • dissoziale Störungen

Aufgegliedert nach Alter ergeben sich nochmal spezifischere Krankheitsbilder:

  • Kleinkinder (bis 4): Entwicklungsstörungen (70 %)
  • Schulkinder: Ängste und Depressionen
  • Jugendliche (15-18): Depression und Sucht

Beim Blick auf die Geschlechter:

  • Jungs sind bis 15 häufiger krank - danach Mädchen
  • Jungs eher ADHS und dissoziale Probleme
  • Mädchen eher Essstörungen und psychosomatische Leiden

Risikofaktoren/Gründe:

  • niedriger oder mittlerer Bildungsabschluss und niedriges Einkommen der Eltern
  • in solchen Familien gibt es höhere psychische Belastungen, enge Wohnsituation, mehr Konflikte
  • Jugendliche mit Einwanderungshintergrund nicht häufiger auffällig
  • Erkrankungen der Eltern erhöhen das Risiko auch für Kinder und Jugendliche - sowohl schwere oder chronische Krankheiten, als auch psychische. (3 Mio. Kinder leben in einer solchen Situation)
  • Kinder mit chronischen Krankheiten haben auch oft psychische Beschwerden
  • wer psychisch erkrankt, erkrankt meist an mehreren Störungen: z.B. Angststörung UND Depression
  • traumatische Erlebnisse in der Kindheit führen oft zu psychischen Erkrankungen (wenigstens ein Trauma haben bis zu 70 % aller Kinder und Jugendlichen bis zum 16. Geburtstag, 15 % sogar zwei oder mehr Traumata)
  • fast die Hälfte der Jugendlichen ü-14 haben ein belastendes Kindheitserlebnis hinter sich, z.B. Scheidung der Eltern; 10 % können von mehr als vier solchen belastenden Ereignissen berichten
Woher ich das weiß:Recherche

Wenn ich mich als Teenie den ganzen Tag mit Weltuntergang, Klimakatastrophe und Angst vor Krieg beschäftige, befeuert von bekloppten Internet-Deppen, komme ich auch nicht auf positive Gedanken.

Laut Ärzten haben in den letzten 10 Jahren Angststörungen, Essstörungen und Depressionen bei Jugendlichen um 30 Prozent zugenommen, das geht durch sämtliche soziale Schichten.

Vielleicht hat selbstauferlegter Druck damit etwas zu tun. Soziale Medien mit unrealistischen Botschaften von Schönheit, Erfolg und Reichtum, wo wildfremde Menschen einem auch noch beleidigende Nachrichten in anonymisierter Form hinterlassen können.