Warum gibt es keinen Erhaltungssatz für Entropie?

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ich hoffe, die Frage ist nicht allzu dumm aber ich stehe hier leider gerade total auf dem Schlauch...

Das ist nicht ungewöhnlich. Selbst viele Physik- oder Chemielehrer sind bei Enthalpie und Entropie am Schwimmen und versuchen sich da gerne mal vorexakten Erklärungen zu drücken.

Jetzt wurde bei uns der Begriff der Entropie eingeführt, also für das Maß an Unordnung im System.

Die Entropie als Maß für die Unordnung zu bezeichnen, ist üblich und nicht auszurotten. Für geschlossene Systeme macht das noch Sinn, führt aber am eigentlichen Kern der Entropie vorbei und hilft daher auch nicht, das Wesen der Entropie zu verstehen.

warum es für die Entropie keinen Erhaltungssatz gibt,

Man könnte trivial antworten: weil Entropie nun mal keine Erhaltungsgröße ist, genausowenig wieTemperatur oder Druck.

Kann man Entropie erschaffen oder vernichten?

Erzeugen ja, vernichten nein.

warum ändert diese sich ständig?

Das war in der Tat lange Zeit ein großes Rätsel und dessen Lösung kennen selbst die meisten Lehrer nicht. Beantwortet hat diese Frage Ilya Progine mit der Theorie Dissipativer Strukturen, für die er 1977 den Nobelpreis in Chemie erhielt. Denmnach ist es so, dass der Zeitpfeil und die Produktion von Entropie unmittelbar zusammenhängen. Wenn die Zeit voranschreitet, entsteht zwangsläugig Entropie bzw. umgekehrt, wenn Entropie erzeugt wird, schreitet damit auch die thermodynamische Zeit voran. Um Entropie zu vernichten, müsste die Zeit rückwärts laufen.

So, nun zu deiner eigentlichen Frage:

Die Enthalpie gibt die Menge einer Energie an. Sie wird nach dem 1. Hauptsatz der Thermodynamik berechnet.

Die innere Energie ist eine reale Größe und gibt den Energiegehalt eines Systemes aufgrund seiner Temperatur an.

Die Enthalpie ist keine reale Größe mehr, sondern ein künstlicher und abstrakter Begriff, eine rein rechnerische Größe, die aber unheimlich praktisch bei der Berechnung von offenen Systemen oder stationären Fließprozessen (wie z.B. in einer Turbine oder bei chemischen Reaktionen) ist.

Man sollte sich also nicht zu viele Knoten ins Hirn machen, um diesem Begriff eine praktische Vorstellung zuordnen zu wollen.

Prozesse, bei denen sie enorm praktisch ist, sind z.B. chemische Reaktionen in einem offenen System. Das kann z.B. eine Oxydation sein, bei der Verbrennungsgase entstehen. Die freiwerdende Reaktionswärme erwärmt die Verbrennungsgase. Deren innere Energie kann man wieder wie bei einem geschlossenen System aus deren Temperatur und Masse bestimmen. Nach dem 1. HS müsste man aber auch die Volumenänderungsarbeit berücksichtigen gemäß

ΔU = Q + W = Q * pΔV

Nun ist es aber bei einem offenen System so, dass die im Volumen stark ausgedehnten Verbrennungsgase einfach so in die Umwelt entweichen, ohne dabei irgendeine Arbeit zu verrichten. Die Volumenänderungsarbeit verpufft sozusagen wirkungslos in der Umwelt. Das müssen wir rechnerisch irgendwie berücksichtigen, damit weiterhin der Energieerhaltungssatz korrekt angewendet werden kann.

Es gilt dann bei isobaren Zustandsänderungen:

dQ = dH = dU + pdV

Das kann man dann so interpretieren. Die meisten chemischen Reaktionen verlaufen bei Umgebungsdruck, also isobar.

Um nicht gegen den Energieerhaltungssatz zu verstoßen, gilt:

dQ = dH,

also die freiwerdende Reaktionswärme = Reaktionsenthalpie erhöht die Enthalpie der Verbrennungsprodukte im gleichen Maße.

Wenn ich aber nun die innere Energie der Reaktionsprodukte gemäß der Formel ausrechne:

ΔU = m * C * ΔT

und schreiben würde

Q = ΔU, wäre der 1. HS verletzt, weil die in der Umwelt verpuffte Volumenänderungsarbeit dann sozusagen eine verschwundene Energiemenge wäre. Das darf es aber nicht geben.

Also wird die "verlorene" Volumenänderungsarbeit mit dem Term pΔV bzw. pdV berücksichtigt, um sie sozusagen wenigstens rechnerisch wieder zurückzuholen.

Wie gesagt, es soll die ganze Rechnerei durch den Trick mit der Enthalpie vereinfacht werden. Man spart sich vor allem die Berücksichtigung und die Berechnung der Volumenänderung der Reaktionsprodukte, die ziemlich lästig werden kann und sowieso fast nie interessiert. Das wäre viel Aufwand um nichts und den will man sich mit der Enthalpie ersparen.

Die Entropie macht keine Angaben zur Menge von Energie, sondern zu deren Qualität.

Entropie ist einer der abstraktesten Begriffe, die es in der Physik gibt, und daher gar nicht mal so einfach zu erklären. Entropie kann man nicht anfassen, sehen oder direkt messen. Auch viele Physiker, Chemiker und auch Physiklehrer haben mit diesem Begriff größte Schwierigkeiten und können kaum erklären, was Entropie eigentlich sein soll. Selbst bekannte Physiker wie Einstein oder Hawking hatten damit so ihre Probleme und teils sogar bezweifelt, ob es Entropie wirklich gibt oder ob das nicht bloß ein künstlicher menschgemachter Begriff sei. Inzwischen ist aber nachgewiesen, dass Entropie tatsächlich existiert und einen naturgesetzlichen Charakter hat. Insofern darfst du dich nicht ärgern, wenn auch du damit Schwierigkeiten hast, mit dem Begriff „Entropie“ etwas sinnvolles zu verbinden oder sie gar wirklich zu verstehen. Die diversen Zitate aus Lexikas dürften dir da auch kaum weiterhelfen. Daher versuche ich es mal etwas anders, Entropie zu erklären.

Was dir bekannt sein dürfte ist der Energieerhaltungssatz (1. Hauptsatz der Thermodynamik). Dieser Energieerhaltungssatz macht aber nur Aussagen über die Energiemenge, z.B. die Enthalpie.

Nun hat man aber im Laufe der Zeit festgestellt, dass Energie nicht nur nach ihrer Menge beurteilt werden kann, sondern dass Energie auch eine Qualität besitzt. Die Qualität der Energie bemisst sich danach, wie leicht man sie in andere Energieformen umwandeln kann. Die höchste Qualität besitzt dabei die Gravitationsenergie. Sie lässt sich mit Abstand am allerleichtesten in eine andere Energieform umwandeln, z.B. in kinetische Energie. Dazu braucht man einen Gegenstand nur loszulassen und er fällt von alleine nach unten, nimmt also Geschwindigkeit auf. Die geringste Qualität hat Wärmeenergie bei Umgebungstemperatur. So besitzt die Luft der Atmosphäre durch ihre Temperatur jede Menge innere Energie, aber mit dieser Energie z.B. eine Maschine zu betreiben oder einen Körper zu beschleunigen, ist praktisch unmöglich. Um die Qualität der Energie zu beschreiben, wurde der Begriff der Entropie eingeführt. Die Qualität der Energie bemisst sich also nach ihrer Umwandelbarkeit oder anders gesagt, nach ihrer Arbeitsfähigkeit. Denn das ist das wesentliche Merkmal von Energie: sie kann Arbeit leisten. Das kann sie aber nur solange, wie ihre Entropie gering ist.

Jetzt kommt noch eine Schwierigkeit beim Verständnis dazu, weil man sozusagen falschrum denken muss. Umso höher die Entropie, umso höher ist nicht die Qualität der Energie, sondern es ist genau umgekehrt. Je mieser die Qualität, umso höher ist die Entropie. Insofern kann man sich Entropie eher als ein Maß für „Energieabfall“ vorstellen, weil man mit Abfall nichts mehr anfangen kann.

Will das mal an einem Beispiel verdeutlichen. Wenn du irgendwo ein Kilo Äpfel kaufst, reicht nicht nur die Kenntnis der Menge, also 1 kg, denn musst du entsprechend der Qualität dieser Äpfel unterschiedliche Preise bezahlen.

Die teuersten Äpfel haben Handelsklasse A. Sie besitzen noch keine Entropie. Die sind makellos und die kann man unbeschränkt in andere Apfelprodukte umwandeln, sei es ein Apfel zum essen, in Apfelkuchen, Apfelsaft oder was immer du willst.

Äpfel der Handelsklasse B haben schon kleine Qualitätsmängel. Die bietet man nicht mehr unbedingt auf einer Obstschale zum Essen an, aber Apfelkuchen oder Apfelsaft kann man noch gut daraus machen.

Billig sind sogenannte Saftäpfel. Die kommen gar nicht mehr in den Handel, sondern werden nur noch zu Apfelsaft gemacht.

Die schlechteste Qualität haben völlig verfaulte Äpfel, denn aus denen kann man gar nichts mehr machen. Diese verfaulten Äpfel haben damit die maximale Entropie, sie bestehen nur noch aus Abfall.

Nun sagt der 2. Hauptsatz der Thermodynamik aus, dass in einem geschlossenen System die Entropie immer nur zunehmen, aber niemals abnehmen kann. Dieser Grundsatz gilt im gesamten Universum sowohl für die Energie als auch für die Äpfel.

Wenn du eine Kiste mit Äpfeln der Handelsklasse A hast, musst du nichts tun, damit die Entropie zunimmt. Die Äpfel faulen im Laufe der Zeit ganz von alleine. Es ist aber noch niemals beobachtet worden, dass aus einer Kiste mit fauligen Äpfeln im Laufe der Zeit von alleine Äpfel der Handelsklasse A wurden.

Energie verfault nicht, da spricht man von Entwertung oder Dissipation. Alle Energie strebt danach, entwertet zu werten und das geht auch von alleine. Alle Energie strebt dazu, sich letztlich in Wärme umzuwandeln. Bei allen praktischen Prozessen, bei denen Energie umgewandelt wird, entsteht meistens durch Reibung auch Abwärme, mit der man nichts mehr anfangen kann. In dieser Abwärme steckt die entstandenen Entropie. Diese Abwärme verringert immer auch den Anteil der Energie, der umwandelbar bzw. arbeitsfähig bleibt.

Um die Entropie in einem geschlossenen System zu verringern, also die Qualität anzuheben, muss immer Energie zugeführt werden, von alleine passiert das niemals. Hättest du also eine Kiste mit Äpfeln der mittleren Entropie, sprich die sind nur halbe verfault, könntest du Energie aufwenden, indem du überall das faulige wegschneidest und wegwirfst und aus dem Rest könntest du immerhin noch Saft machen. Genauso wäre das auch mit Energie. Um die Entropie in einem geschlossenen System zu verringern, musst du von außen hochwertige Energie zuführen. Der Energieabfall, also die Entropie, würde dann in der Umwelt landen und deren Entropie entsprechend erhöhen.

Häufig wird Entropie zu Beginn des Unterrichtes auch als ein Maß für die Unordnung bezeichnet. Bei geschlossenen Systemen ist das auch noch in Ordnung, bei komplexen Systemen führt diese Vorstellung aber in die Irre. Hohe Ordnung bedeutet dabei hohe Qualität, also niedrige Entropie, während eine maximale Unordnung eine niedrige Qualität also maximale Entropie bedeutet.

Meist wird als Vergleich ein Zimmer angeführt. Ein frisch renoviertes, neu eingerichtetes, sauberes und aufgeräumtes Zimmer hat die höchste Wohnqualität, also die minimale Entropie. Wohnt man darin und macht ansonsten nichts, nimmt die Unordnung, die Verschmutzung, die Vermüllung konstant zu. Die Wohnqualität wird immer geringer, die Entropie nimmt ständig und ganz von alleine zu. Nur wenn man Energie aufwendet, kann man die Entropie wieder verringern. Dazu muss man putzen und aufräumen und den Schmutz und Abfall aus dem Zimmer hinausbefördern.

So könnte z.B. deine Mutter sagen: "Jetzt räume endlich mal dein Zimmer auf", während dein Vater, wenn er Physiker ist, zu dir sagen könnte: "Du solltest mal wieder die Entropie deines Zimmers verringern."

Beim Zerstören von irgendetwas wird Ordnung zerstört bzw. hochwertige Energie in Wärme umgewandelt. Das geht leicht oder fast von alleine, weil dabei Entropie erzeugt wird. Umgekehrt muss man, um etwas aufzubauen, hochwertige Energie investieren. Und da das entgegen der natürlichen Richtung der Entropieerzeugung erfolgt, ist das wesentlich aufwendiger bzw. anstrengender.

Zusammenfassung:

Entropie ist ein Maß für die Qualität von Energie. Je höher die Entropie, umso mehr wurde die Energie bereits Richtung Abwärme entwertet und umso geringer ist ihre Fähigkeit, Arbeit zu leisten. Alle Energie im Universum hat aber das natürliche Bestreben, sich entwerten zu wollen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Habe Thermodynamik im Hauptfach studiert.
ChemieMaus765 
Fragesteller
 22.12.2021, 11:45

Wow, vielen herzlichen Dank für die ausführliche und anschauliche Antwort. Das hat mir sehr geholfen!

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ThomasJNewton  26.06.2022, 20:17

"vorexakt" - das Wort muss ich mir merken.

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Die Frage ist nicht ,,dumm". Der Entropiebegriff ist sehr undurchsichtig und schwer verständlich.

Entropie nimmt in geschlossenen Systemen bei nicht-reversiblen Abläufen immer zu. Ein Beispiel ist die Vermischung von 2 Tassen Wasser; die eine mit 50°C; die andere mit 20°C. Beim Mischen entsteht ein Gemisch von 35°C; in Uebereinstimmung mit dem Energie-Erhaltungsgesetz.

Die Entropie ist definiert als (S2--S1) = Integral dQ / T

wobei T in Kelvin.

Dabei ist es also klar ersichtlich, dass (Integral dQ) für die beiden Massen gleich ist, aber die Entropie-Abnahme von der ,,heißen" Tasse weniger ist als die Entropie-zunahme der ,,kalten" Tasse.

Deshalb nimmt die Entropie immer zu und gibt es keinen Erhaltungsgesetz.

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(und damit auch für Enthalpie)

Die Bemerkung ist leider falsch. Bei Zufuihr mechanischer Arbeit àndert sich die Summe der Enthalpie.

Ja, Entropie kann man aus dem Nichts erzeugen (bzw. vorhandene Entropie ver­mehren). Dein Körper macht das z.B., und zwar so lange Du lebst. Umgekehrt kann man sie jedoch nicht verringern — man kann zwar in einem Teil eines Systems die En­tro­pie ab­senken, aber dafür muß sie anderswo noch mehr ansteigen.

Das ist irgendwie komisch, weil die Entropie ja eine Zustandsfunktion ist, also ein ge­ge­be­ner Zustand immer eine fixe Entropie hat. Daraus folgt, daß wenn man von ei­nem An­fangszustand aus die Entropie erhöht, man nie mehr zu diesem Anfangs­zustand zu­rück­kehren kann. Daher nennt man Prozesse, die die Entropie erhöhen, oft ir­reversibel (nicht umkehrbar), und solche, die die Entropie erhalten, heißen rever­si­bel (oder auch isentropisch).

Daß die Entropie normalerweise nicht erhalten ist, folgt aus ihrer Definition als Wahr­schein­lich­keits­größe, und natürlich auch daraus, daß es keine Lie-Symmetrie gibt, die die Entropie als Generator hat (Noether-Theorem).

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Chemiestudium mit Diss über Quanten­chemie und Thermodynamik

Entropie kann man erschaffen, indem man Die Pferde aus den Boxen lässt. Sie haben jetzt mehr Freiheiten als zuvor.
Natürlich können sie zufällig alle gleichzeitig in diese Boxen zurücklaufen und man macht dann zu. Damit würde man Entropie vernichten, wenn man dabei keine Energie weiter braucht.
Bei ganz vielen Pferden wird das aber kaum passieren.

Somit hat Entropie auch irgendwie mit Statistik zu tun.
Wenn es statt Pferde eine Kiste mit Milliarden Flöhen ist, kannst Du bis zum Ende der Zeit warten, bis alle zufällig wieder drin wären. Vorher sind sie alle tot.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Traktorist mit Zertifikat von Bill Gates

Die Frage ist nicht dumm, aber die Antwort ist trotzdem ziemlich einfach: Wie du schon sagtest, ist die Entropie ein Maß für die Unordnung. Um "Aufzuräumen", mußt du Energie aufwenden, aber weil es keinen Wirkungsgrad von 100% gibt und der Energieerhaltungssatz gilt, muß die Entropie (im übergeordneten Gesamtsystem betrachtet) ständig zunehmen und kann nie kleiner werden.