Sollte eine Doku nah am Geschehen sein oder Distanz bewahre?

3 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

eine Doku sollte ein neutral abgefasster Bericht sein, der sich an belegbare Tatsachen hält

wenn von zeitlicher Nähe die Rede ist, verstehe ich darunter, was ich bei a) vermerkt habe:

a) kurz nach dem Ereignis selbst - das ist ein Bericht - evtl. TV-Nachrichten oder Nachrichten der Presse, wobei ggfs. noch nicht klar ist, welche Auswirkungen das Geschehen haben wird - ein Bericht von einem Erdbeben/Flutkatastrophe/Krieg zeigt nur den Teil der Schäden, die momentan sichtbar sind - was er noch nicht zeigen kann, das sind die langzeitlichen Auswirkungen auf den Ort des Geschehens und dessen Bewohner. Man sucht nach Ursachen und Schuldigen, ein Ergebnis liegt noch nicht vor. Die Politiker machen ihren "Pflichtbesuch" zeigen sich erschüttert, erklären ihre Solidarität mit den Opfern und versprechen hoch und heilig schnelle und unbürokratische Hilfe

b) einige Jahre später - am gleichen Ort wie unter a) kann man sehen, was z.B. mit der Natur, der Industrie, der Infrastruktur und den früheren Bewohnern seit dem Ereignis passiert ist - ggfs. leben nur noch ein paar der früheren Einwohner dort - der Rest ist weggezogen, weil alle im Stich gelassen wurden, das mit der schnellen und unbürokratischen Hilfe hat wohl nicht geklappt. Industrie und Infrastruktur sind verschwunden, weil das Geld zum Wiederaufbau fehlt. Die Ursachen hat man inzwischen ermittelt, die Schuldigen ziehen sich aus der Affäre. Um die Bürger zu beruhigen, findet man einen Lückenbüßer, meist in ziemlich untergeordneter Stellung, der vergessen hat, irgendwo eine Schraube anzuziehen - zumindest wird ihm das zur Last gelegt - von ihm ist allerdings nichts zu erwarten - Schadensersatzklage hat zwar Aussicht auf Erfolg, Geld ist aber von dem armen Kerl nicht zu holen, weil er keins hat. Außerdem ist die Katastrophe schon fast in Vergessenheit geraten.

c) dreißig Jahre später - am gleichen Ort wie unter a) es wohnt niemand mehr dort - außer ein paar Steinhaufen und verrosteten Metallteilen ist nichts mehr zu sehen - Nachforschungen haben ergeben, dass die von mitleidigen Mitmenschen gespendeten Gelder in undurchsichtigen Kanälen verschwunden und nie bei den Bedürftigen angekommen sind - Unterlagen gibt es keine mehr. Die ehemaligen Einwohner haben sich in alle Winde verstreut, der eine oder andere hatte Erfolg in seinem neuen Leben, die anderen nicht - erst jetzt!!!! stellt sich heraus, dass ein Unternehmen aufgrund grober Fahrlässigkeit für die Katastrophe verantwortlich war - das Unternehmen existiert seit zwei Jahren nicht mehr, die Chefs haben das Geld für ein neues Leben in die jetzige Zeit "hinübergerettet" - tagsüber liegen sie am Strand von Hawaii, die Nacht lang vertreiben sie ihre gepflegte Langeweile in Bars und teuren, exklusiven Clubs - das können sie ungeniert tun, weil inzwischen die Verjährung eingetreten ist. Zu Interviews ist natürlich keiner bereit. An das Ereignis selbst kann sich schon fast keiner mehr erinnern.

Wenn alle Verjährungen eingetreten sind, die Persönlichkeitsrechte aller Betroffenen abgelaufen sind, erst dann kannst du mit der Erstellung einer Doku beginnen, erst jetzt kann davon ausgegangen werden, dass diese ohne Druck von außen, also wirklich völlig neutral erstellt werden kann und vielleicht hat der eine oder andere seine Sünden und Missetaten auf dem Sterbebett gestanden.

Im Endeffekt muss eine gute Doku beides sein bzw, haben:

  • Distanz vom Geschehen um weitesgehend objektiv berichten zu können
  • "Nahe" am Geschehen sein, damit die Doku so ausfällt, dass sie auch tatsächlich geschaut - und nicht mittendrin beendet wird.

Dabei gibt es meinem Dafürhalten nach Grenzen, welche nicht überschritten werden dürfen:

  • Embedded Journalismus gilt es zu ächten. Niemand muss in seinem Leben live miterleben, wie einer der Soldaten auf eine Mine tritt uns seine Gliedmaßen verliert.
  • Verletzte und Tote Menschen sind nicht abzulichten.
  • Keine einseitige Berichterstattung

Im Gegenteil - eine gute Doku berichtet:

  • spannend - aber aus der Distanz.
  • neutral - und beleuchtet ALLE Seiten, auch wenn diese unangenehm sind.
  • unter Berücksichtigung der Menschenwürde.
  • niemals gegen das Einverständnis von Menschen.
Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Menschlichkeit ist mein persönlicher Grundsatz!

Ich finde, Dokumentationen sollten möglichst sachlich und neutral bleiben und den Zuschauer nicht emotional manipulieren. Sonst kann man sich ja gleich einen Spielfilm "nach einer wahren Begebenheit" anschauen.

GrosseKarotte 
Fragesteller
 14.02.2023, 18:25

Nein, ich meine auch nicht manipulieren, aber halt sehr nahe am Geschehen sein. Siehe Dokus von VICE oder StrgF (manche von denen)

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