Sind die Regeln von Albert Wunsch gut?

2 Antworten

da wird nichts zerstört, und modern in der erziehung ist immer irgendwas.

aber grundsätzlich ist vieles richtig daran. kinder sind weder ein kit für die beziehung, noch eine selbstverwirklichung. leider gibt es viele eltern, die das so sehen.

kinder wachsen, allen "modernen" ergebnissen zum trotz, in einer familie am besten auf, weil sie zwei bezugspersonen haben, deren biologischen ursprungs sie sind, und die, wenn es gut läuft, einander ausgleichen oder ein wenig abfedern können. das gilt für die situation, in der es gut läuft.

legt man sich ein auto zu, braucht man einen führerschein, den tatsächlich viele nicht schaffen, zumindest nicht auf anhieb. will man einen hund haben, wird mittlerweile ähnliches verlangt. nur wenn man kinder bekommt, kann man tun und lassen damit, was man will. dass es da nicht immer gut läuft, dürfte zu erwarten sein.

ich habe in meinem leben feststellen können, dass alles, was man sich erst einmal falsch angewöhnt, schwierig wieder rauszukriegen ist, trotz aller übung. wenn man den kindern also gleich sagt, wie es richtig geht, und entsprechend einwirkt es so zu machen, haben sie es leichter.

es wird gern argumentiert, dass dann die freie entwicklung geschädigt wird, aber ich halte ein kind, was freiheitlich vor ein auto springt für weniger gut oder gesund erzogen als eins, was weiss, dass es das nicht darf, auch wenn es noch nicht versteht, warum.

leider wird von allen, die eine idee davon haben, wie eine gesellschaft unter umständen besser funktioniert, gern mal die erziehung und pädagogik darauf abgestimmt, eine utopie zu verwirklichen, und nicht darauf, die kinder auf die realität vorzubereiten.

dabei wird auch gern mal vergessen, dass die qualität einer gesellschaft im guten zusammenleben besteht, und nicht ausschliesslich, wie es gerade mode ist, darin, jedweden individualismus bis zum exzess zu fördern. bands, die aus vier oder fünf ausnahmusikern bestehen, bestehen meist nicht lang.

leider scheint die absicht, das zu belassen, was gut funktioniert und nur das zu ändern, was nicht gut funktioniert, nur wenig verbreitet zu sein (und das auch ausserhalb der pädagogik). wichtiger ist offenbar, die eigene neue haltung möglichst spektakulär einzuführen und zur sicherheit alles althergebrachte (was bereits wie der kuchen von gestern klingt) zu zerschlagen.

hoffen wir mal, dass herr wunsch da nicht genauso unterwegs ist.

Ich gehe einfach mal davon aus, dass du das Buch nicht gelesen hast.

dass viele Eltern ihre Kinder als Projekt betrachten würden, über das sie sich selbst definieren.

Ja, das kritisierte auch der (mittlerweile verstorbene) Familientherapeut Jesper Juul - meines Erachtens zurecht.

Was du in deinem Fragetext gepostet hast, spiegelt aber nur Teile des Buches wieder. Schon im Vorwort wird betont, dass das allerwichtigste für die Erziehung eine gute Eltern-Kind-Bindung ist, die im wesentlichen in der Schwangerschaft und den 36 Monaten danach entsteht. Für eine gute Bindung braucht es vor allem: viel, viel Aufmerksamkeit für das Kind - je jünger, je mehr.

Warum ist das so? Babys kann man nicht "verwöhnen". Sie haben Grundbedürfnisse, die erfüllt werden müssen (Hunger, Durst, Nähe, Schlaf, saubere Windel). Dafür sind in erster Linie die Bezugspersonen zuständig. Ein Säugling ist komplett hilflos und würde er nicht versorgt, käme der Säbelzahntiger und holt ihn sich - heutzutage natürlich nicht mehr. Aber man muss sich klarmachen, was es heißt, wenn ein Säugling zB Hunger hat, und nicht gefüttert wird. Er weiß nicht, dass Mama vielleicht gleich kommt. Er weiß, dass er verhungert, wenn er nicht bald gefüttert wird und deshalb hat er Todesangst.

Das gleiche, wenn er sich alleine fühlt: er muss sich der Nähe seiner Bezugspersonen versichern, um zu wissen "alles gut, es ist jemand da, der sich um mich kümmert".

Das ist wichtig für eine gute Eltern-Kind-Bindung, die wiederum wichtig ist für das spätere Leben.

ABER: das ist nicht das gleiche, wie dem Kind alle Steine aus dem Weg zu räumen. Und genau das wird von Herrn Wunsch beklagt.

Wenn das Kind in die Autonomiephase ("Trotzphase") kommt, dann muss es auch lernen, dass es nicht immer alles bekommt, was es will. Es muss lernen, Frustration auszuhalten und mit negativen Gefühlen klarzukommen. Das lernt es nicht alleine oder durch ignorieren, sondern durch Begleiten.

Wutanfälle zu begleiten ist anstrengend. Und die Versuchung, den Anfällen einfach aus dem Weg zu gehen, ist hoch (ich weiß das, da ich selbst gerade einen 3-jährigen zuhause habe). Es hilft aber dem Kind nicht.

Eltern müssen halt irgendwie den Spagat schaffen, zwischen "ich bin eine Autorität für mein Kind und gebe Regeln vor" und "ich gehe auf mein Kind und seine Bedürfnisse ein".

Und in einem weiteren Punkt gebe ich dem Autor ganz recht: Kinder müssen Selbstwirksamkeit erfahren. Sie müssen ausprobieren dürfen. Jedes "ich mach das für dich" nimmt dem Kind seine Selbstständigkeit.

Das bedeutet nicht, dass man seinem Kind weniger Aufmerksamkeit schenken sollte - da ist die Formulierung, die du im Fragetext zitiert hast, eher unglücklich gewählt und spiegelt auch nicht das wieder, was der Autor eigentlich meint.