Sigmund Freud, Glück
Was bedeutet für Freud Glück bzw. Unglück? Ich verstehe seinen Text leider nicht ganz, ich hoffe ihr könnt mir weiterhelfen.
In seinem Buch "Das Unbehagen in der Kultur" schreibt Freud folgendes:
Wir wenden uns darum der anspruchsloseren Frage zu, was die Menschen selbst durch ihr Verhalten als Zweck und Absicht ihres Lebens erkennen lassen, was sie vom Leben fordern, in ihm erreichen wollen. Die Antwort darauf ist kaum zu verfehlen; sie streben nach dem Glück, sie wollen glücklich werden und so bleiben. Dies Streben hat zwei Seiten, ein positives und ein negatives Ziel, es will einerseits die Abwesenheit von Schmerz und Unlust, anderseits das Erleben starker Lustgefühle. Im engeren Wortsinne wird »Glück« nur auf das letztere bezogen. Entsprechend dieser Zweiteilung der Ziele entfaltet sich die Tätigkeit der Menschen nach zwei Richtungen, je nachdem sie das eine oder das andere dieser Ziele – vorwiegend oder selbst ausschließlich – zu verwirklichen sucht. Es ist, wie man merkt, einfach das Programm des Lustprinzips, das den Lebenszweck setzt. Dies Prinzip beherrscht die Leistung des seelischen Apparates vom Anfang an; an seiner Zweckdienlichkeit kann kein Zweifel sein, und doch ist sein Programm im Hader mit der ganzen Welt, mit dem Makrokosmos ebensowohl wie mit dem Mikrokosmos. Es ist überhaupt nicht durchführbar, alle Einrichtungen des Alls widerstreben ihm; man möchte sagen, die Absicht, daß der Mensch »glücklich« sei, ist im Plan der »Schöpfung« nicht enthalten. Was man im strengsten Sinne Glück heißt, entspringt der eherplötzlichen Befriedigung hoch aufgestauter Bedürfnisse und ist seiner Natur nach nur als episodisches Phänomen möglich. Jede Fortdauer einer vom Lustprinzip ersehnten Situation ergibt nur ein Gefühl von lauem Behagen; wir sind so eingerichtet, daß wir nur den Kontrast intensiv genießen können, den Zustand nur sehr wenig.6 Somit sind unsere Glücksmöglichkeiten schon durch unsere Konstitution beschränkt. Weit weniger Schwierigkeiten hat es, Unglück zu erfahren. Von drei Seiten droht das Leiden, vom eigenen Körper her, der zu Verfall und Auflösung bestimmt sogar Schmerz und Angst als Warnungssignale nicht entbehren kann, von der Außenwelt, die mit übermächtigen, unerbittlichen, zerstörenden Kräften gegen uns wüten kann, und endlich aus den Beziehungen zu anderen Menschen. Das Leiden, das aus dieser Quelle stammt, empfinden wir vielleicht schmerzlicher als jedes andere; wir sind geneigt, es als eine gewissermaßen überflüssige Zutat anzusehen, obwohl es nicht weniger schicksalmäßig unabwendbar sein dürfte als das Leiden anderer Herkunft.
3 Antworten
Dass der Mensch nach „Glück“ strebt, ist eine Grundüberzeugung aller antiker Philosophie. Dass nicht nur der Mensch sondern alle Kreatur nach „Glück“ strebt, ist die Grundeinstellung vor allem des Epikureismus, den Freud hier indirekt zitiert. Freud setzt hier die ganzen Diskussionen voraus, die es in der Antike um die Interpretation gegeben hat, was Glück ist.
Genau genommen legt sich der Epikureismus nicht fest, was für das einzelne Individuum Lebensglück bedeutet. Gemeint ist nur die positive Gestaltung des Überlebensdrangs auf ein menschliches Dasein hin bezogen in gesellschaftlichem Umfeld. Epikur schließt die Lust körperlicher Freuden – anders als die Idealisten - per se nicht als schlecht aus. Dabei geht es im Epikureismus sehr stark um die Frage, welche Fallen sich der Mensch selbst stellen kann, um vom Pfad eines gelingenden Lebens abzuweichen.
Hier wird die Interpretation Freuds deutlicher. Das „Programm des Lustprinzips“ ist keine Naturgarantie („daß der Mensch »glücklich« sei, ist im Plan der »Schöpfung« nicht enthalten“) sondern ein Programm des Antriebs, ein Lebens-Unruheprinzip. Wie Epikur unterscheidet er drei Bewährungsbereiche, in denen ein gelingendes Leben gefährdet ist: Die körperliche Gesundheit, die Auseinandersetzung mit der Natur und, mit zunehmender Tendenz, die Gefährdung durch gesellschaftliche Fehlentwicklungen. Mit dem letzten Punkt ist er dann im Thema, denn sein Buch heißt ja: "Das Unbehagen in der Kultur".
Wie gut zu erkennen ist, interpretiert Freud das „Programm des Lustprinzips“ nicht statisch, als auf ein Glück ausgerichtet, das dann von möglichst langer Dauer sein soll, sondern dynamisch als Antriebskraft, als eine Ausprägung der Lebensdynamik überhaupt. Überleben heißt, immer wieder die befriedigende, glücklich machende Variante des Lebenswegs zu suchen. Diese ist nicht ein für alle Mal festgelegt und schon gar nicht „von Natur aus garantiert“. Erst recht gesellschaftlich und kulturell ist es eine Gestaltungsaufgabe, womit die Nähe auch zum Kernthema des Existentialismus deutlich wird.
Mehr dazu in:
http://www.gkpn.de/AuK_So14_08.pdf
Dr. Günter Gödde: "Askese als Lebensform, therapeutisches Prinzip und Axiom der Lebenskunst bei Freud" ab Seite 163 - 176
Wunderschöne Antwort, vielen Dank. Hat mir sehr geholfen, auch wenn es über das von uns in der Schule Behandelte etwas hinaus ging.
Er knüpft Glück an das Lustprinzip, was (also hier Lustbefriedigung) per definitionem aber eben nur vorübergehender Natur und nicht dauerhaft sein kann, Unglück knüpft er an das Versagen der Unlustvermeidung, weil die Welt und das Leben eben so ist, wie es ist, so dass eine dauerhafte Abwesenheit von Unlust und Schmerz nicht erreicht werden kann.
Ich glaube.... Dieser Textpassage nach ist Glueck bereits das Streben (Unterschied Glueck und Schmerz/Unlust) danach. Dieses Streben wird unterschieden zwischen dem allg. Gluecksverstaendnis was Familie, Kinder, etc beinhaltet und dem wahren Gluecksgefuehl der Beduerfnisse und Sehnsuechte die u.a./v.a.jegliche Form der Sexualitaet enthalten...
Vielen Dank für die schnelle Antwort.
Kannst du mir vielleicht die Textpassagen nennen, die zu deiner Aussage führen? Das Leiden, von dem Freud am Ende spricht, folgt das auf das Glück oder das Unglück? Was ist seine Kritik am Glücklichsein?