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Wilhelm I. war seit 1861 König von Preußen und seit 1871 Deutscher Kaiser.

Otto von Bismarck war Ministerpräsident von Preußen seit 1862 (mit kurzer Unterbrechung von 1. Januar 1873 bis 9. November 1873, als Albrecht von Roon das Amt hatte), preußischer Außenminister seit 1862 und Reichskanzler des Deutschen Reiches seit 1871.

Wilhelm I. war ihm als Herrscher übergeordnet, Bismarck sein wichtigster Mann für die Regierungspolitik, der die Aufgabe seiner politischen Beratung hat. 1879 bestand zwischen ihnen eine lange und erfolgreiche Zusammenarbeit.

Im Schreiben Bismarck vom 31. Augst 1879 geht es um die Außenpolitik.

Er weist auf die Gefahren für Deutschland, das durch Koalitionen (Zusammenschlüsse zu Zweckbündnissen) anderer Großmächte bedroht werden könnte.

Ein Isolierung Deutschlands darf nach Bismarck Einschätzung nicht geschehen. Dazu verweist er besonders auf eine durch Kriege Preußens hervorgerufene Neigung anderer Länder, an Deutschland Revanche (Vergeltung für eine Niederlage) zu nehmen, und die Lage in der Mitte Europas.

Die Kriege sind: Deutsch-Dänischer Krieg 1864, Deutscher Krieg 1866 (Preußen und Verbündete gegen Österreich und Verbündete), Deutsch-Französischer Krieg von 1870 – 1871.

Bei dem Wunsch nach Revanche ist vor allem an Frankreich zu denken.

Bismarcks Vorschlag, für den er Wilhelm I. zu überzeugen versucht, ist: Verteidigungsbündnis (Defensivalliance) mit Österreich-Ungarn.

Als Ziel wird Sicherheit angegeben.

Kaiser Alexander II. von Russland hatte am 15. August 1879 einen Brief an Kaiser Wilhelm I. geschrieben. Darin standen (bei Versicherung persönlicher Freundschaft mit dem Kaiser) Vorwürfe gegen Bismarcks Regierungspolitik, russische Interessen nicht ausreichend zu berücksichtigen und eine persönliche Feindseligkeit gegenüber dem russischen Kanzler und Außenminister Fürst Alexander Gortschakow zu pflegen. Wankelmut und Undankbarkeit (Russland war in den genannten Kriegen neutral geblieben) dürften nicht sein. Erwartet wurde eine klare Erklärung der außenpolitischen Orientierung und ein Eingehen auf russische Interessen. Sonst könnte dies ernste Folgen haben.

In Geschichtsdarstellungen wird dieses Schreiben als »Ohrfeigenbrief« bezeichnet. https://de.wikipedia.org/wiki/Ohrfeigenbrief

Der amtliche deutsche Botschafter in Sankt Petersburg war Hans Lothar von Schweinitz. Die drohenden Äußerungen des Kaisers Alexander II. von Russland ihm gegenüber am 6. und 7. August 1879 waren, für eine Fortsetzung guter Beziehungen sei eine Verhaltensänderung nötig. Sonst kämen ernste Folgen,

Russland war mit den Ergebnissen des Berliner Kongresses 1878 unzufrieden. Bulgarien sollte ein autonomes Fürstentum unter Oberhoheit des Osmanischen Reiches sein. Es gab Streitigkeiten über die genauen Gebietsgrenzen und das Ausmaß des russischen Einflusses. Bismarck stellt sie als unbedeutende Kleinigkeiten („bulgarische Lappalien“) dar. Deutsche Schutzzollpolitik (ein protektionistisches [auf Schutz der inländischen Wirtschaft durch Abschirmung vor ausländischer Konkurrenz ausgerichtetes] Gesetz zu einem Zolltarif wurde am vom 15. Juli 1879 beschlossen) steigerte die schlechte Stimmung.

Bismarck beurteilt Kaiser Alexander II. von Russland als keine zuverlässige Stütze für die Sicherheit des Deutschen Reiches, auch wenn es Verwandtschaftsbeziehungen der Herrscherfamilien Romanow und Hohenzollern und persönliche Freundschaft der Monarchen („den nächsten Blutsverwandten und ältesten Freund“) gibt.

Der russische Kaiser könne leicht dazu gebracht werden, durch einen Befehl militärische Truppen an der preußischen Grenze anzusammeln und Krieg zu führen.

Bismarck versucht, Wilhelm I. ein Bündnisangebot an Österreich-Ungarn schmackhaft zu machen. Dabei muss er sich viel Mühe geben, weil Wilhelm I. zu einem Entgegenkommen und einer Anlehnung an Russland neigte (aus einem Gefühl persönlicher Freundschaft mit Alexander II. einer konservativen Grundhaltung, bei der Russland als konservative Vormacht galt und der Erinnerung an preußisch-russische Verbundenheit in seiner Jugendzeit im Kampf gegen Napoleon und in der »Heiligen Allianz«. Bismarck gibt Gründe für ein Defensivbündnis mit Österreich-Ungarn und bemüht sich, einen Widerstand bei Wilhelm I. dagegen zu überwinden.

Dazu verweist er auf eine tausendjährige Gemeinsamkeit der gesamtdeutschen Geschichte (gemeint ist vor allem das Heilige Römische Reich als politischer Organisationsrahmen Deutschlands bis 1806) und die 1866 zerstörte Verbindung (gemeint ist der Deutsche Bund 1815 – 1866), für die mit ihren Sicherheitsgarantien ein Ersatz zu beschaffen sei.

Es gab ein Dreikaiserabkommen von 1873 zwischen Deutschland , Russland, Österreich-Ungarn (wohlwollende Neutralität; Bismarcks Ziel: Isolierung Frankreichs), das 1878/1879 zerfallen war.

Es kam schließlich zu einem Zweibund 1879 zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn (im Wortlaut geheimer Defensivertrag, 1888 veröffentlicht).

Bismarck war nicht grundsätzlich gegen Bündnisse mit Russland. Er befürchtete damals eine starke Abhängigkeit von Russland, das zu einer Entfremdung mit Österreich-Ungarn führt, Misstrauen anderer Großmächte hervorruft und dem Deutschen Reich kaum außenpolitischen Spielraum gibt. Er erwartete, Russland werde nach einiger Zeit einlenken und es sei unter besseren Bedingungen eine Vereinbarung mit ihm möglich (1881 wurde der Dreikaiserbund zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland abgeschlossen, ein geheimes Neutralitätsabkommen).