Musiker im Heresmusikkorps werden?

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Ich weiß nur, wie es in der NVA und kurz nach der Wiedervereinigung war. Üblicherweise verpflichtete man sich für 15 Jahre bei einer Fähnrich-Laufbahn. Es bestand aber auch die Möglichkeit, bei 3-jähriger Dienstzeit als Unteroffizier ins Musikkorps zu kommen. Man musste einfach nur einen Termin zu einem Vorspiel vereinbaren (in meinem Fall tat es mein Musiklehrer) und dort gut genug sein – ein Stück, das du eingeübt hast, sowie ein Stück vom Blatt. Der Chef, das heißt der Dirigent des Musikkorps sowie seine rechte Hand hören sich das Ganze an und treffen daraufhin die Entscheidung, ob sie einen haben wollen. Der Rest lief dann mehr oder weniger automatisch. Ich brauchte nichts weiter zu tun. Nach meiner Einberufung und einer auf 2 Wochen verkürzten Grundausbildung landete ich automatisch im Heeresmusikkorps. 

Die Leute in meiner Einheit für die Grundausbildung waren alles „Sonderfälle“. Das heißt: zwei Musiker und der Rest Leistungssportler, also Leute, die für die DDR bei internationalen Wettkämpfen die Medaillen einsackten. Da wollte man nicht riskieren, dass die Fitness oder die Leistung durch eine lange, vom üblichen Training abweichende Grundausbildung beeinträchtigt wird ... und wir zwei Musiker würden sowieso nie in den Kampf ziehen. 

Im Vergleich zu anderen Einheiten war das Leben als Wehrpflichtiger und Soldat auf Zeit im Musikkorps extrem entspannt. Nach meiner Verlegung zum Musikkorps war die erste Frage vom stellvertretenden Chef, als wir an der Kneipe unmittelbar vor dem Kasernentor vorbeigingen: „Hast du schon eine Ausgangskarte? – Das erledigen wir gleich nachher.“ Ansonsten sah der Tagesauflauf so aus: Vormittags proben oder auch nicht, falls der Chef oder die Musiker schon zu besoffen waren oder einfach keinen Bock hatten. Wenn nicht geprobt wurde, vertrieben wir uns die Zeit mit Skat oder Schach. Mittags ging es nach Hause bzw. für mich und den anderen Unteroffizier zur Unterkunft. An Wochenenden konnten wir Nicht-Berufssoldaten gewöhnlich nach Hause fahren (konnte man als Unteroffizier in anderen Einheiten nicht, bzw. nicht so regelmäßig). Gelegentlich gab es Auftritte wie Zapfenstreich, Wachablösungen bei irgendeinem Ehrenmal in Berlin, Beerdigungen für Offiziere oder Generäle und Goodwill-Konzerte in Dörfern oder Kleinstädten. Ich persönlich diente zur Zeit der Wende, wo es zwischen Oktober und Dezember ungewöhnlich viele Todesfälle gab – etwa 2 bis 3 pro Woche. Es waren alles Offiziere im Alter zwischen 35 und 45 Jahren, die in der Regel morgens beim Frühstück nach einem Schluck Kaffee an Herzversagen litten – so die offiziellen Gerüchte. Was hinter den Kulissen passierte ging uns nichts an. Ansonsten gab es nur 2 bis 3 Beerdigungen pro Monat, wo wir spielten. 

Wir sahen uns in erster Linie als Musiker, nicht als Soldaten. Auch politisch war es sehr entspannt. Anders als in anderen Einheiten der NVA begrüßten im Musikkorps die Mehrheit der Berufssoldaten (sowie ich selbst) die Wende und waren bei den Montagsdemonstrationen trotz Abraten der Vorgesetzten selbst unter den Demonstranten zu finden. Bereits im September 1989, als noch alles offen war, meinte der 1. Klarinettist (Berufssoldat und SED-Mitglied), dass wir schon mal die Bundesdeutsche Nationalhymne üben sollten. Es wird bestimmt bald kommen, dass wir sie regelmäßig spielen werden, woraufhin er mit gutem Beispiel voranging. Er war auch einer der ersten, der aus der SED austrat. Die meisten anderen folgten kurz darauf (lange vor der Wiedervereinigung), falls sie überhaupt jemals in die SED eingetreten waren. 

Nach der Wiedervereinigung wurde das Heeresmusikkorps, in dem ich diente, mit dem Musikkorps der Luftwaffe (in derselben Stadt) vereinigt. Unter dem neuen (ostdeutschen) Chef gab es etwas mehr Disziplin. Das heißt: Weniger saufen und mehr Proben. Nichtsdestotrotz blieb es insgesamt sehr entspannt. 

Ich weiß nicht, wie die Dinge dieser Tage sind, glaube aber, dass Fagottist im Heeresmusikkorps eine sehr gute Berufswahl wäre. 

Insgesamt mag das Niveau in Musikkorps etwas unter dem Niveau renommierter Symphonieorchester liegen; nichtsdestotrotz gibt es auch in den Musikkorps Top-Musiker, die den Besten der Besten in anderen Musikbranchen problemlos das Wasser reichen können. Ich erinnere mich ganz speziell an unseren ersten Klarinettisten, der im Blattspiel praktisch ein Gott war oder einen Fagottisten, wie ich Soldat auf Zeit, allerdings im Marine-Musikkorps Peenemünde, der Mozarts Fagott-Konzert mit absoluter Perfektion – vom Ansatz her, technisch und sonstwie – darbot. Egal, wie oft er die Sätze oder Teile davon spielte oder übte: Ich konnte nie auch nur die kleinste Unsicherheit wahrnehmen, ganz zu schweigen davon, dass er sich verspielt hätte – niemals! Man hätte es jederzeit aufnehmen und als Schallplatte veröffentlichen können. Er hatte bei einem DDR-Vergleich (bei dem ich auch dabei war) auch Gold gewonnen. 

Also nochmals: Ja, Musiker im Musikkorps ist eine sehr gute Wahl. 

Indiannajones 
Fragesteller
 28.01.2022, 20:28

Vielen, vielen Dank. Ihre Antwort ist mir sehr viel wert 🙏

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