Leserlenkung von Caesar?

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Guten Morgen!

Dazu habe ich mir neulich erst Folgendes überlegt, wobei ich mir allerdings nicht sicher bin, ob dies eine Leserlenkung darstellt):

Direkt am Anfang des Bellum Gallicum (Liber primus, Abschnitt 2) berichtet Caesar erstmal über die Umstände. Er erklärt, wer die Helvetier sind und wie die so leben. Und: Er erklärt in diesem Buch im weiteren Verlauf, wie es zum Krieg kam. In diesem bestimmten Abschnitt stellt er die Helvetier jedoch auf eine ganz bestimmte Art und Weise dar und sagt ihnen unbewusst, was sie von den Helvetiern halten sollen.

Ganz generell ist es so, dass Caesar jetzt kein Meister der stilistisch ausgefeilten Texte ist (bzw es in seinen Texten nicht sonderlich zur Schau stellte wie bspw die Dichter). Natürlich verwendet er stilistische Besonderheiten, um Dinge zu dramatisieren oder hervorzuheben, aber jetzt in jedem Abschnitt nach stilistischen Merkmalen zu suchen, halte ich bei Caesar fast für übertrieben :D

In diesem Abschnitt sagt Caesar Folgendes (Deutsche Übersetzung von www.gottwein.de/Lat/caes/bg001.php):

(1) Im Volk der Helvetier war Orgetorix durch edle Abkunft und Reichtum der bei weitem bedeutendste Mann. Aus Begierde nach Alleinherrschaft brachte er unter dem Konsulat des M. Messala und P. M. Piso (61 v.Chr.) eine Verschwörung unter dem Adel zustande und führte seine Mitbürger zu dem Entschluss, mit allen Streitkräften die Heimat zu verlassen,
(2) indem er ihnen vorstellte, für sie, die an Tapferkeit alle überträfen, werde es sehr leicht sein, sich zu Herren über das ganze Keltenland zu machen.
(3) Dazu konnte er sie um so leichter überreden, da die Helvetier durch die natürliche Beschaffenheit ihres Landes auf allen Seiten beengt sind: auf der einen Seite durch den Rheinstrom, der sehr breit und tief ist, und das helvetische Gebiet von Germanien trennt; auf der anderen Seite durch das sehr hohe Juragebirge, das sich zwischen den Sequanern und Helvetiern hinzieht; auf der dritten Seite durch den Genfer See und die Rhône, die die Grenze zwischen der Römischen Provinz und Helvetien bildet.
(4) Deshalb konnten die Helvetier keine weiten Streifzüge unternehmen, auch ihre Nachbarn nicht leicht bekriegen; ein Umstand, der diesen kampflustigen Leuten viel Missvergnügen verursachte. Sie glaubten nämlich,
(5) für ihre Bevölkerung sowie für ihren Kriegsruhm und ihre Tapferkeit sei das Gebiet zu beschränkt, indem es in der Länge 240 Meilen, in der Breite 180 Meilen betrug.

  • Prinzipiell geht es hier erstmal um das Volk der Helvetier. Caesar stellt den Lesern quasi kurz und knapp vor: Wer ist die bedeutendste Persönlichkeit, wo liegt das Gebiet der Helvetier, wie sind die so drauf?
  • Wenn du dir diesen Abschnitt mal genauer durchliest, wird dir mit Sicherheit auffallen, dass Caesars Sicht gegenüber den Helvetiern recht negativ ist. Das kann man an Folgendem belegen:

=> regni cupiditate: In diesen zwei Worten sagt Caesar übertragen, dass Orgetorix die Alleinherrschaft erlangen will. Caesar sagt im weiteren Textverlauf, dass er dafür eine Verschwörung plante und die Herrschaft über das gesamte Gallien erlangen möchte. Orgetorix überredet in seiner Gier nach Macht die Bürger, ihre Tapferkeit unter Beweis zu stellen (was Caesar natürlich in der indirekten Rede formuliert, um zu zeigen, dass er selbst davon Abstand nimmt und dies etwas anders sieht).

=> homines bellandi cupidi: Hier sagt Caesar eigentlich wortwörtlich, dass die Helvetier ein kampflustiges Volk seien. Im Weiteren sagt Caesar, dass die Tatsache, dass die Helvetier quasi auf allen Seiten durch Flüsse und Gebirge eingeschlossen sind, zu dieser Kampflust beitrage, da dieser Umstand ihnen Schmerzen bereite bzw sie dies mehr als bedauern.

Zusammenfassend nimmt er quasi voraus (Prolepse), dass die Helvetier den Krieg beginnen. Um diese Sicht gegenüber den Helvetiern konkret begründen zu können, muss man den weiteren Verlauf des Buches kennen. Hier begründet Caesar diese Aussage wie bereits gesagt damit, dass ihr Herrscher die Herrschaft über ganz Gallien erlangen möchte und die Helvetier durch ihre Lage eh schon eher kampfbereit sind als die anderen Völker. Caesar sagt zwar im weiteren Verlauf des ersten Buches nicht konkret, dass die Helvetier den Krieg anfangen, aber er stellt die Helvetier durchgängig schlecht dar, sie waren ja schließlich die, die aus ihrer Kampfbereitschaft heraus ihr Gebiet verließen und durch Caesars Gebiet marschieren wollten - was soll er denn machen, als Truppen zu stellen und sein Gebiet zu verteidigen? Also Caesar stellt das eben so dar, als hätten sie selbst sich nur den Helvetiern gegenüber verteidigt, da es gemäß der römischen Sitte nicht gestattet war, fremde Völker durch das Land ziehen zu lassen. Die Helvetier versuchten also damit offensichtlich, sich dieser Sitte gewaltsam zu widersetzen und Caesar hat damit nur aus dem Motiv der Sittenbewahrung heraus (mores maiorum!) gehandelt. Dieses negative Bild der Helvetier findet man bereits ganz zu Beginn des Buches.

Caesar selbst rückt sich damit selbst in ein sehr positives Licht. Denn wie wir wissen, wollte auch Caesar die Alleinherrschaft und hat nicht nur einen Krieg geführt. Da Caesar hier aber mit der Sittenbewahrung argumentiert, wirkt er wie ein Herrscher, der selbst auch an diesen mores maiorum festhält. Damit lenkt er unbewusst die Leser, die Caesar damit noch mehr Vertrauen schenken, da er ja im Sinne des Volkes und ihrer Sitten zu handeln scheint.

Ich hoffe, ich konnte dir mit diesem Beispiel etwas weiterhelfen. Ich weiß nicht, ob die Interpretation meinerseits so stimmt, aber ich fand das eine relativ interessante Beobachtung, die sicherlich erwähnenswert ist.

LG

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Masterabschluss Chemie + Latein Lehramt
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