Lasst ihr euch oft von "anekdotischer Evidenz" überzeugen/beeinflussen?

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Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Im Alltag spielt anekdotische Evidenz eine wesentlich grössere Rolle für die meisten unserer Entscheidungen als statistisch abgesicherte. Als Beispiel können wir die Frage nehmen, in welchem Restaurant wir (z. B. eine Gruppe von Freunden) essen wollen. Werden wir überhaupt noch eine irgendeine Quelle von Besprechungen konsultieren (aus denen wir dann statistische Evidenz ableiten könnten), falls auch nur einer aus der Gruppe schon einmal in einem der in Frage kommenden Restaurants gegessen hat und ein gutes Urteil abgibt? Mit ziemlicher Sicherheit nicht. Warum? Wir vertrauen dem einzelnen Urteil, weil es von einer vertrauenswürdigen Person kommt.

Letztlich ist aber für den philosophischen Hintergrund der Frage das uralte philosophische Problem des "Individuum est ineffabile" wichtig: Der "Haecceitas" des Ess-erlebnisses kommt die anekdotische Evidenz unseres Freundes viel näher als eine Auswertung aller Reviews, die wir auf dem Internet finden (einmal abgesehen davon, dass wir im Alltag dafür meist nicht die Zeit haben).

Denker23 
Fragesteller
 18.06.2023, 16:17

Ich würde zustimmen, dass im Alltag anekdotische Evidenz einen größeren Einfluss auf die meisten Menschen hat, als Statistiken. Wie sieht es deiner Meinung nach in einer Debatte aus?

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linguista  18.06.2023, 16:42
@Denker23

In einer wissenschaftlichen Diskussion hätte man allein mit anekdotischer Evidenz einen schweren Stand (zumindest sofern eine statistisch besser abgestützte Gegenposition existiert). Würde man aus einer Anekdote eine allgemeine Aussage ableiten, würde dies zu Recht als unzulässige Verallgemeinerung angesehen.

Aber selbst in der Wissenschaft ist anekdotische Evidenz von grosser Bedeutung, in erster Linie zur Generierung von Hypothesen. Diese fallen ja nicht "vom Himmel", im besten Fall werden sie aus einer konkreten Erfahrung (anekdotischer Evidenz) abgeleitet (in vielen anderen Fällen ist leider "der Wunsch der Vater des Gedankens").

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