Kindheit in den 50ern?

8 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Ich erlebte in den 50ern eine strenge und autoritäre Erziehung, einerseits von meinen Eltern und andererseits von den Lehrern und dem Pastor (im Saarland sagte man - jedenfalls damals - zu den katholischen Priestern "Pastor", also nicht "Pfarrer"); Disziplin bzw. Selbstdisziplin spielte dabei eine wesentliche Rolle.

Zuhause musste ich im elterlichen Garten viel arbeiten, also Obst und Gemüse ernten, sogenanntes Unkraut jäten, Kartoffelkäfer vom Kartoffelkraut entfernen, Fallobst auflesen etc.

Dann half ich beim Einkochen bzw. Einmachen, d. h. beim Putzen wie Entkernen von Kernobst und Zerkleinern von Gemüse.

Außer zur Winterszeit suchte und sammelte ich auf den Wiesen Pflanzen-Futter für unsere Stallkaninchen, mit denen ich gern spielte (später musste ich sie verspeisen). Wenn mein Vater die Wiese gemäht hatte, wendete ich das Heu zum Trocknen von beiden Seiten und half beim Einlagern in einen Stall.

Das ganze Jahr über pflegte ich die Gräber von verstorbenen Verwandten, vor allem jeden Samstag, damit die Kirchgänger - darunter auch ich - am Sonntagmorgen, wenn sie vom Messebesuch zu den Gräbern gingen, diese gepflegt vorfinden sollten.

Jeden Sonntag ging ich dreimal zur Kirche, morgens zur Messe, mittags zur Christenlehre und abends zur Abendandacht. Wöchentlich war zweimal Schulmesse, die sehr früh (06.45 h) vor Schulbeginn begann.

Auch Einkäufe in Lebensmittelgeschäften (damals Tante-Emma-Läden) gehörten zu meinen Aufgaben. Dazu zählte auch eine außerhalb gelegene Verkaufsstelle, die über die dort gelegene Grube betrieben wurde; es war "ein Geheimtipp", weil die Lebensmittel gut und preisgünstig und normalerweise nur Grubenarbeitern und deren Familien vorbehalten waren (mein Vater gehörte jedoch nicht dazu).

Im Frühjahr sammelte ich auf den Wiesen Löwenzahn und Sauerampfer, was Mutter zu köstlichem Salat zubereitete (heute sammele ich eine Vielzahl von Wildkräutern zum kulinarischen Gebrauch).

Im Herbst ging ich mit einer Schulfreundin - sie war die Tochter des Försters und hieß wie ich auch Waltraud - in den Wald zum Pilzesammeln; der Jagdhund begleitete uns dabei wachsam, sonst hätten wir im Wald Angst gehabt.

In der Schule waren die Lehrer noch Respektspersonen. Wer den Unterricht störte, bekam von einem bestimmten Lehrer Schläge mit dem Rohrstock auf die Hände und Backpfeifen bzw. Kopfnüsse. Andere Lehrer verwiesen derartige "ungezogene Schüler" des Klassenraums; sie mussten die Lehrstunde vor der Klassentür im Flur verbringen. Bei unserem Pastor durften wir in der Religionsstunde uns noch nicht mal bücken, um ein Taschentuch zum Benutzen hervor zu holen; ansonsten mussten wir mit einer Bestrafung rechnen.

Auf dem Schulhof durften wir in der Pause nicht mit evangelischen Schülern spielen, weil wir katholisch waren. Alle Schulklassen waren religiös getrennt, obwohl die Unterrichtsfächer gleich waren (nur eben das Fach "Religion" war selbstverständlich unterschiedlich!).

Ach, ich könnte noch so vieles erwähnen; das würde aber in diesem Zusammenhang den Rahmen sprengen.

Christa251248  28.12.2011, 12:25

@katwal, mit Freude und einem gewissen Unbehagen habe ich deine Kindheit und Jugend gelesen. Wir beide haben so viele Gemeinsamkeiten. Ich stand als Kind mehr in der Ecke, in der Schule als ich am Unterricht beteilig war. Und das nur, weil ich als mal nachfragte um etwas besser erklärt zu bekommen. Auch Tatzen waren bei mir an der Tagesordnung...... Auch ich hätte in meiner Antwort noch soooo vieles hinzufügen können. Danke dir, denn du hast meine noch offenen Erinnerungen bestens weiter ausgeführt. Liebe Grüsse und ganz viele DH für deine realistische Antwort.

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Venus13  29.12.2011, 23:51

hallo Katwal, wie ich lese, hattest Du eine streng durchstrukturierte Kindheit (den Eltern helfen, im Garten helfen, essbare Pflanzen sammeln etc.) Hinzu kam noch der verlangte Religions-Unterricht und die 'fast' erzwungenen Gottesdienst-Besuche und das Schlimmste meiner Ansicht war, dass Deine Eltern wenig Verständnis für Dich hatten. Als Kind hattest Du wohl keine Zeit, Dich ungezwungen zu bewegen. Das tut mir sehr leid. Ich glücklicherweise mußte derartige Arbeiten nicht machen. Wir hatten keinen Garten. Meine Mutter ging nicht Beeren oder Pflanzen sammeln.....jedenfalls war ich nicht dabei. Als evangelisches Kind hatte ich mit dem Religions-Unterricht kein Problem. Ich habe ihn besucht wie andere evangelische Kinder auch und in die Kirche wurde ich nicht gezwungen zu gehen. Autoritär waren meine Lehrer auch und Disziplin herrschte ebenfalls zu Hause und in der Schule. Meine Eltern waren immer darauf bedacht, dass ich zu allererst alle Aufgaben für die Schule gut erledige, dann durfte ich spielen gehen. Beide hatten Verständnis für mich. Ich kann mich über meine Eltern oder die Lehrer nicht beschweren, da es mir nicht schwer fiel, mich an die gegebenen Regeln zu halten. Ich war kein widerspenstiges Kind. Dass es Heute keine Tabus mehr gibt und daher keine Regeln für die Heranwachsenden finde ich wirklich schlimm. Die Verbote zu unserer Zeit haben eine bessere Jugend hervorgebracht als es sie in dieser neuen Zeit gibt. Von kriminellen Jugendlichen hatte ich selten etwas gehört.

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katwal  30.12.2011, 07:43
@Venus13

Venus13: Vielen Dank für Deine interessanten Ergänzungen. Obwohl Deine Erziehung anders war als meine, habe ich doch als wesentlich daraus entnommen, dass Disziplin herrschte, die mit Regeln verbunden war.

Heutzutage denken Jugendliche oft, dass sie machen können, was sie wollen und vor Erwachsenen keinen Respekt mehr haben. Wen wundert es dann, wenn sie sich nicht mehr anpassen (und unterordnen!) können und beruflich scheitern.

Das kann zur Folge haben, dass solche Jugendliche keine Perspektive mehr im Leben haben, u. a. "saufend auf der Straße herumhängen" (Komasaufen!) und vor Frust Sachbeschädigng betreiben bzw. zerstörerisch tätig sind.

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teamjordan 
Fragesteller
 06.01.2012, 22:17
@katwal

Ich denke nicht das es so streng sein sollte wie damals.. ich möchte mir nicht vorstellen wie meine Lehrer mich nonverbal versuchen zu ,, erziehen''. Es gibt zwar viele Jugendliche die saufend auf der Strasse rumhängen .. vielleicht sogar der Großteil .. aber es gibt auch den Teil Jugendliche wie ich :D die darauf gerne verzichten.. und ich muss sagen dafür dass meine Erziehung nicht so streng war habe ich es irgentwie doch geschafft disziplin und selbstdisziplin zu lernen. Ich muss aber auch erlich sagen wenn ich in den 50ern aufgewachsen wär würde ich bestimmt auch denken die Jugendlichen haben keine disziplin ..

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teamjordan 
Fragesteller
 06.01.2012, 21:47

Vielen Dank für deine Mühe :)

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Der früh verstorbene Vater meiner älteren Geschwister war Viehhändler. Als Rest hatten wir bei seiner Mutter noch ein paar Kühe, Schweine und Hühner. Mein Vater, ein Eisenbahner, kannte keinen Urlaub und kümmerte sich um Acker und Wiesenheu. - mit geliehenen Pferden - Hand- und Spanndienst nannte man solch ein Geschäft mit einem Gutsbesitzer....Als ich 1950 zur Schule kam, gab es noch CARE-Pakete mit Käse und Schokolade und Nescafé. Die Lehrerin - wir hatten sie von Klasse 1-4 war eine ehrwürdige Dame, die uns 43 Schülern eine "Heilige" war. Nur EIN Mal wurde ich zum "Nachsitzen" befohlen, als ABC-Schütze noch - zum Schul-Neubau. Sooo schlimm war es nicht, denn ich bekam dort ein Büchlein überreicht "Von Sonne, Regen, Schnee und Wind", das ich noch am Abend auf der Wohnzimmercouch durchlas.... 1951 verstarb die behütende Stief-Oma und hinterließ Alpträume. 1952 bekam ich ein kleines Fahrrad, das ich sehr pflegte. Doch im Herbst war es aus . und ich konnte bis 1955 nicht laufen. Die Liebe meiner Klasse und die Lehrerin "trugen" mich, manchmal auch wörtlich. Da ein Gymnasium körperlich nicht erreichbar war, machte ich 1960 den Mittelschulabschluß ind pendelte dann bis 1963 nach Hamburg zur Wirtschaftsoberschüle - Unser Lehrer ist heute  ---2015 --- 84 und putzmunter bei Klassentreffen dabei....

Alles war sehr viel strukturierter und behüteter, u.a. wurden die Mahlzeiten immer gemeinsam eingenommen und der Fernsehabend am Samstag (inklusive das Bad davor!) waren die Highlights der Woche. Ich habe "nur" 60er Jahre-Kindheit erlebt, habe aber einen älteren Bruder. Es war die Zeit des Aufschwungs und der Sorglosigkeit, der Cocktailparties und Tanztees. Das "Einmaleins des guten Tons" war Pflichtlektüre!

Einen schönen Eindruck aus dieser Zeit bekommst du, wenn du dir das Lied von Reinhard Mey "Sommer 52" (CD "Bunter Hund") anhörst. Viel Vergnügen und alles Gute für 2012!

teamjordan 
Fragesteller
 06.01.2012, 22:21

Vielen Dank :)

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Vieles war einfacher als heute, so hatten wir kein Bad und ein "Plumpsklo" mit Zeitungspapier - heute unvorstellbar. Natürlich gab es auch keinen Kühlschrank. Meine Eltern hatten relativ früh einen Fernseher, schon 1961. Vorher konnte man allenfalls in Gaststätten fernsehen. Das Schweizer Fernsehen sendete damals unter der Woche etwa von 20-22 Uhr, bis Anfangs 1965 war der Dienstag ein sendefreier Tag.

Schlappohr2  27.12.2011, 23:15

...und es war natürlich ein Schwarz-weiß-Fernseher! Wo du das sagst, fällt mir ein, daß meine Eltern vorher ins Kino gingen, um die Nachrichten (Wochenschau) zu sehen. Sie durften den Kühlschrank meiner Großeltern mitbenutzen. Ganz anders waren auch die Eßgewohnheiten: Man hatte selbstverständlich einen Garten und baute darin Obst und Gemüse an und konservierte das dann für den Winter. Pommes, Pizza und Spaghetti gab es auch mal, aber in der Hauptsache eher Salat, Gemüse und Kartoffeln aus eigenem Anbau. Und eingemachtes Obst zum Nachtisch. Unsere Mütter waren überwiegend Hausfrauen, das Gehalt unserer Väter war ausreichend, Arbeitslosigkeit eher selten, ich kenne niemand, den das damals betraf. Die Kinder hatten Zeit zum Spielen, natürlich draußen bzw. in elterlicher Obhut. Wenn man so zurückdenkt, gerät man fast ins Schwärmen...

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Giovanni47  28.12.2011, 11:27
@Schlappohr2

Genau so ist es. Fleisch gab es äusserst selten, ich erinnere mich noch gut, als es zum ersten Mal ein Poulet (Hähnchen) gab. Ein Festessen.

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