Kann man wegen Kinderlosigkeit schwere Depressionen bekommen?

2 Antworten

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Da geht es dir wie meiner Kollegin, die hat aufgrund von Karriere und Depressionen den Kinderwunsch nach hinten geschoben, jetzt bekommt sie Stress, weil ihre Ärztin sagt, dass es langsam kritisch wird.
Sie sucht noch nach dem richtigen, obwohl sie nicht lange nach jemandem suchen müsste, der mit ihren Eigenheiten klarkommt und ihren Wunsch erfüllen kann (und ihr auch optisch zusagt).

Aber: Versteif dich nicht zu sehr darauf, ist nicht gesund.

verreisterNutzer  02.10.2022, 09:37

Ich halte es auch für ein ganz großes Problem, dass ich bis 25 bis 30 nur auf die Karriere fixiert war. Das wurde mir so eingetrichtert in der Familie und Gefühle, eigene Kinder, das waren alles tabu-Themen und von meinen Eltern nicht erwünscht. Ich wurde nur auf Leistung getrimmt und habe es lange für eine Schwäche gehalten, Familie und Kinder haben zu wollen. Bin somit vermutlich ein Opfer einer gewissen gesellschaftlichen Einstellung geworden. Habe es lange nicht begriffen. MIttlerweile habe ich auch meinen Beruf verloren wegen schwerer Depressionen und habe die letzten Jahre viel aufgearbeitet, weil ich durch die emotionale Vernachlässigung in der Familie stark psychisch beeinträchtigt wurde.

Dadurch, dass ich das alles freigeschaufelt habe (pychisch einiges aufgearbeitet habe, aber auch diesen Erwartungspanzer der Gesellschaft abgeschüttelt habe) ist erst der Raum freigeworden für den Kinderwunsch. Das Gefühl ist für mich einerseits unglaublich schön, sehr natürlich und es fühlt sich einfach richtig an. Mich sticht es wirklich ins Herz, wenn ich mir überlege, dass andere dieses Gefühl wahrscheinlich schon mit 15 haben und sich dann auf Partnersuche machen, ein Nest gründen und dann ganz selbstverständlich Familie haben (und davon sind ja auch nicht alles Muster-Familien). Ich aber war fast 20 Jahre wie hinter einem Vorhang und jetzt wache ich daraus auf. Habe gleichzeitig das schöne Gefühl, irgendwie bei mir angekommen zu sein, wofür ich extrem dankbar bin. Ich möchte niemals im Leben dieses Gefühl nicht kennen, den Wunsch nach einer Beziehung und ein Kind versorgen zu wollen (vorher kannte ich das Gefühl einfach nicht), aber nun bin ich gleichzeitig damit konfrontiert, dass ich es so lange nicht hatte und wenn der Wunsch jetzt nicht mehr realisierbar ist, ist es quasi wirklich, als würde man mich bei lebendigem Leib begraben. Ich bin so dermaßen verzweifelt. Das kann man mit keinem anderen Schmerz vergleichen. Vor allem das Bedauern, so lange Zeit so entfremdet von sich gelebt zu haben und die tiefe Trauer, falls es jetzt zu spät wäre. Ich hätte mein Leben komplett verfehlt. Ich weiß, dann wird gesagt, ein Kind ist nicht alles, man soll sich auch auf was anderes konzentrieren, aber ich glaube, jede Frau, die das einmal empfunden hat, weiß vermutlich, was ich meine. Es ist ein ganz natürliches Gefühl, das man verwirklichen will, auch wenn die Gesellschaft das ab den 90ern schlecht machen wollte und Frauen schlecht machen wollte, die 'nur' Mutter sind usw.

Nein, du hast Recht, versteifen darf man sich nicht drauf. Aber mich überrollen diese Gefühle momentan einfach. Ich wünsche es mir so sehr. Bis vor einem Jahr war das überhaupt kein Thema für mich. Es ist einfach sehr erstaunlich, dass sich so ein Wunsch freikämpft und was das mit einem macht. So schön es auch ist, dass ich aus dieser Selbstentfremdung rausgekommen bin, jetzt stellt mich auch das wieder vor extreme Herausforderungen.

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sa652ma  02.10.2022, 09:50
@verreisterNutzer

Familie und Gesellschaft können einen psychisch viel antun, auch durch Nichtstun. Gut, dass du das hast therapieren lassen, es geht bergauf. 😊

Ich (als Mann) hab den Wunsch schon seit ein paar Jahren, bei mir ist’s aber (logischerweise) nicht so stressig. Die Depressionen waren „weg“ und der Wunsch nach einer funktionierenden Beziehung und Kindern da.
Es ist schön, dass du dich gefunden hast. Wirklich. Und selbst wenn’s so nicht klappt, zur Not kannst du ein Kind adoptieren.

Das Leben ist voller Herausforderungen. Kinder sind wohl so ziemlich die schwierigste, der Weg bis man sie bekommt und die Zeit bis zu deren Selbstständigkeit. Aber wenn man die Entscheidung mal getroffen hat, sollte man dabei bleiben.

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verreisterNutzer  02.10.2022, 10:15
@sa652ma

"Familie und Gesellschaft können einen psychisch viel antun, auch durch Nichtstun. Gut, dass du das hast therapieren lassen, es geht bergauf. 😊"

Da hast du sehr recht. Ich dachte immer, es wäre normal, so selbstentfremdet von sich zu leben. Nur die Anforderungen der Gesellschaft und Familie als Richtschnur zu kennen, und immer nach mehr zu streben, besserer Job usw. Dachte auch lange, es wäre normal, wie ich aufgewachsen bin, in einer Familie ohne Trost, ohne emotionale Zuwendung, wo man ausgelacht wurde, wenn man geweint hat oder schlicht ignoriert wurde. Durch die Therapien habe ich wirklich vieles gelernt, vor allem habe ich jetzt viel mehr Bezug zu meinem Innersten.

Aber durch diese Weiterentwicklung werden mir dadurch trotzdem viele Dinge auch schmerzlich bewusst und beim Thema Kinderwunsch tut es so unfassbar weh, wieviele Jahre mir eigentlich geraubt wurden, weil ich es nicht früher geschafft habe, mich aus dieser Entfremdung rauszukämpfen. Das ist ja auch eher zufällig passiert, weil ich nach meinem Umzug schwere Depressionen bekam und da kam das alles zu Tage und ich habe mich intensiv damit beschäftigt.

Dass sich bei dir nach einer Depression auch erst der Wunsch nach Beziehung und Kindern entfalten konnte, finde ich interessant. Das klingt, als wäre eine 'durchgearbeitete' Depression durchaus sowas wie eine Häutung, wo man näher zu sich selbst findet. Das hast du mir auf jeden Fall bewusst gemacht, dass es gut war, so viel an sich gearbeitet zu haben und dass die letzten Jahre von daher keine verlorenen Jahre waren.

Es ist nur wirklich sehr schwer, wenn man eigentlich einen positiven Entwicklungsschritt getan hat (in meinem Fall einen sehr großen), dass sich das nicht bald im Außen in der Realität abbildet, sondern dass eher andere Dinge noch schmerzlicher bewusst werden bzw. gefühle Mangelzustände noch deutlicher bewusst werden und man doch das Gefühl hat, man wäre rückwärts gegangen statt vorwärts. Ich wünsche mir so sehr, dass die ganze harte Arbeit, die ich geleistet habe, alles, was von außen niemand sieht, weil mein Leben äußerlich gesehen in Schutt und Asche liegt, dass sich das auch im Außen bald als etwas Positives widerspiegelt.

Adoptionen sind, glaube ich, in Deutschland nur möglich, wenn die Eltern sehr jung sind, da hatte ich mich mal informiert. Vor allem aber ist in mir dieser natürliche Instinkt wachgeworden, das Leben weitergeben zu wollen, auch meine Erfahrungen und Liebe an ein eigenes Kind weitergeben zu wollen und auch dauerhaft mit jemandem zusammen sein zu wollen. Ist wahrscheinlich etwas schwierig, zu erklären mit dem natürlichen Instinkt. Als Mann hast du es da vermutlich definitiv einfacher, weil dir nicht die Zeit im Nacken sitzt.

Danke auf jeden Fall für dein Mitgefühl!

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Anon99999  14.10.2022, 02:17
@verreisterNutzer

Trotz deiner negativen Lebenserfahrungen, ist es jetzt schön, dass du an diesen Punkt gekommen bist. Bei meiner letzten Ex, die ein paar Jährchen älter gewesen ist als ich, gab es diesen Punkt nie. Es waren immer ihre Probleme, Unsicherheiten u.a. aufgrund von Erziehung, die all ihre Gedanken einnahmen, sodass bei ihr kein Kinderwunsch vorhanden war und ich deswegen die Beziehung beenden musste.. Ein sehr schwerer Schritt etwas im guten Aufzugeben..

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Das Probem der Kinderlosigkeit kenne ich von Frauen so ungefähr ab 40.

Da kommen Emotionen zu dem Thema auf, die sich nicht wegerklären lassen.

Die aufkommenden Gefühle von Ratlosigkeit, Bedauern, Trauer, Nachtfahrt der Seele, Sinnlosigkeit, Angst vor der Einsamkeit des Alters usw. können, falls du sie wirklich zulässt und auslebst, dazu beitragen, tiefen Frieden mit deinem Lebensentwurf zu bewirken.

Die Heilkraft dieser Emotionen zu entdecken ist meiner Meinung nach Aufgabe einer guten Psychotherapie.

Gefährlich und wenig lebensfreundlich wird es, wenn du diese Gefühle mit einer Depression verwechselst oder als Ursache einer Depression ansiehst.