Ist Vitruv der Erfinder des Trispastos, Pentaspastos und Polyspastos?

1 Antwort

Vitruv (Vitruvius) ist nicht Erfinder des Trispastos, Pentaspastos und Polyspastos gewesen. Er lebte im 1. Jahrhundert v. Chr. Vitruv, De architectura 10, 2, 1 - 10 beschreibt Maschinen/Geräte, die ihm durch Verwendung auf römischen Baustellen bekannt waren und über die er etwas bei griechischen Fachschriftstellern gelesen hatte.

Schon die Bezeichnungen Trispastos, Pentaspastos und Polyspastos zeigen einem Bezug zu griechischer Mechanik. Griechisch lauten sie τϱίσπαστος, πεντάσπαστος und πολ�?σπαστος. Der vordere Teil der Bezeichnungen enthält eine Angabe zur Anzahl (der Rollen): Das Präfix τϱι- (tri-) drückt in griechischer Sprache die Drei aus, das Präfix πεντα- (penta-) die Fünf und das Präfix πολυ- (poly-) die Vielheit. Im hinteren Teil -σπαστος (-spastos) steckt eine Ableitung von dem Verb σπᾶν ([span]; 1. Person Singular Indikativ Präsens Aktiv: σπάω [spao]) = ziehen. In lateinischer Sprache wäre eine Ableitung von trahere (1. Person Singular Indikativ Präsens Aktiv: traho) zu erwarten, also etwas wie tractus oder tractor oder etwas Ähnliches.

Der Erfinder des Flaschenzugs ist nicht namentlich bekannt.

In einer einfachen Form ist der Flaschenzug anscheinend schon verhältnismäßig früh in der Antike erfunden und eingesetzt worden.

In Griechenland sind seit dem frühen 6. Jahrhundert v.Chr. große Tempel aus Stein errichtet worden. Damit ergab sich für die Baumeister/Architekten/Ingenieure das Problem, schwere Quadersteine für die Wände oder den die Säulen im Unterbau verbindenden Querbalken und Säulentrommeln an ihren vorgesehenen Platz zu heben, wobei oft Lasten mit einem beträchtlichen Gewicht zu bewältigen waren.

Die Wirkung von über Rollen geführten Seilen ist ziemlich früh bekannt gewesen, und es sind wohl Hebegeräte, z. B. Winden, verwendet worden.

Schon Aristoteles (4. Jahrhundert v. Chr.) war bekannt, daß mit Hilfe einer Kombination von zwei Rollen, über die ein Seil läuft, schwere Lasten mit einer vergleichsweise geringen Kraft gehoben werden können (Aristoteles, Mechanika 852 a; 853 a – b).

Spätere Mechanik konstruierte durch Kombination verschiedener mechanischer Instrumente möglichst leistungskräftige Hebegeräte.

Helmuth Schneider, Hebegeräte. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 5: Gru - Iug. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1998, Spalte 216 - 217

Spalte 217 : „Die auf röm. Baustellen eingesetzten Kräne werden bei → Vitruvius dargestellt: Es handelt sich um zwei an ihrer Spitze miteinander verbundene, schräg aufgestellte Stämme, die durch Halteseile in ihre Lage gehalten werden. Das Halteseil wurde über drei Rollen geführt, von denen die beiden oberen in einem an der Spitze befestigten Kloben angebracht waren, die untere Rolle sich an dem Kloben befand, an dem auch die Greifzange festgemacht war, mit der Last gehoben wurde; entsprechend der Verwendung von drei Rollen wird dieser Kran als Trispastos («Dreizug«) bezeichnet, bei Verwendung von fünf Rollen als Pentaspastos («Fünfzug«). Bemerkenswert ist die Tatsache, daß das Seil an einer Haspel befestigt war, die mit langen Hebelstangen gedreht wurde.“

röm. = römischen

„Die bei Vitruvius verwendete griech. Terminologie zeigt, daß die Römer Kran und Flaschenzug von den Griechen übernommen haben (Vitr. 10, 2, 1 – 10, vgl. Lucr. 4, 905 f.).“

griech. = griechische
Vitr. = Vitruvius
vgl. = vergleiche
Lucr. = Lucrez (Titus Lucretius Carus)
f. = folgend
Lucr. 4, 905 f. = Lukrez,De rerum natura 4, 905 - 906

Einen besonders starken Flaschenzug hat Archimedes (3. Jahrhundert v. Chr.) nach antiken Texten für einen praktischen Einsatz konstruiert. Spätere antike Autoren schreiben ihm zum Teil die Erfindung des Trispastos bzw. des Polyspastos zu. Von Archimedes wird ein Ausspruch berichtet: Gib mir einen festen Punkt/Platz zum Stehen, und ich werde die Erde fortbewegen/anheben/aus den Angeln heben.

König Hieron II. von Syrakus gab ihm die Aufgabe ein vollbeladenes Schiff mit zahlreicher Besatzung von der Werft, wo es gebaut worden war, fortzubewegen, was vielen Leute mit Seilen nicht gelang. Archimedes schaffte es mit Hilfe von besonders starken Flaschenzügen das Schiff mit Einsatz nur weniger ziehender Leute fortzubewegen (Plutarch, Marcellus 14, 7 - 9; Athenaios 5, 207 a – b; Simplikios, Kommentar zu Aristoteles, Physik 7, 250, 19; Proklos, Kommentar Eukleides, Elemente, erster Band, 63 Friedlein; Oreibasios 49, 22, 1; Tzetzes, Chiliades 2, 107 – 108)

Bei der römischen Belagerung der Stadt Syrakus 214 - 212 v. Chr. hat Archimedes Maschinen zur Verteidigung konstruiert und gebaut, wobei anscheinend auch Flaschenzüge verwendet wurden (vgl. Polybios 8, 5 – 8).

Albrecht  26.01.2015, 06:43

Fereydoun Rahimi-Laridjani, Die Entwicklung der Bewässerungslandwirtschaft im Iran bis in sasanidisch-frühislamische Zeit. Wiesbaden : Reichert, 1988 (Beiträge zur Iranistik ; Band 13), S. 439:
„Ein Flaschenzug einfachster Art, eine einfache Rolle zur Hebung von Wasser, kennen wir von einem Relief des assyrischen Königs Assurnasirpal II. (884-858 v .Chr.; [..]). Es handelt sich wahrscheinlich um die Darstellung eines assyrischen Feldzugs gegen eine der Städte des Königs Dagara südöstlich vom Karadag ([…]).“

Hans-Joachim Braun, Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. Originalausgabe. 2., aktualisierte Auflage. München : Beck, 2007 (Beck'sche Reihe ; 2359 : C. H. Beck Wissen), S. 21 – 22:
„Wie läßt sich das mühevolle Heben schwerer Lasten erleichtern? Schon früh machten Menschen die Erfahrung, daß man eine Last leichter heben kann, wenn sie an einem Seil befestigt wird, das über einen Ast geworfen wird. Wurde darüber hinaus noch eine drehende Rolle verwandt, so erleichterte dies den Vorgang weiter. Die bildliche Darstellung der Kombination von Seil und einfacher Rolle findet sich bereits auf einem assyrischen Relief um 970 v. Chr. Hierbei handelt es sich um eine «feste», ortsunveränderliche Rolle, auf die später die «lose», ortsveränderliche folgte. Benutzte man eine solche zum Heben einer Last, so wurde die aufzuwendende Kraft halbiert, wobei sich allerdings der zurückzulegende Weg verdoppelte (goldene Regel der Mechanik). Die Verbindung von fester und loser Rolle ergab den Flaschenzug, der Kraftumlenkung und Kraftersparnis vereinte. Er wurde bevorzugt zum Laden und Löschen von Gütern in Häfen, aber auch in Steinbrüchen und auf Baustellen eingesetzt. Theoretische Durchdringung und neue praktische Anwendungen erfolgten durch den griechischen Mathematiker und Physiker Archimedes von Syrakus um 260 v. Chr. Mit Hebeln und Flaschenzügen gelang es ihm angeblich, Schiffe der 212 v. Chr. Syrakus belagernden römischen Flotte aus dem Wasser zu heben oder zum Kentern zu bringen.“

1