Ist die Relativitätstheorie ein Beweis dafür, dass alles vorherbestimmt ist?

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Hallo Holzhund17,

ein Beweis nicht, allerdings wirft sie die Frage auf, ob nicht eigentlich alles bereits vorgezeichnet sein könnte – nicht aus Kausalitätsgründen, sondern weil der klare Unterschied zwischen Vergangenheit (determiniert) und Zukunft (womöglich nicht determiniert) nicht aufrechtzuerhalten ist.

Dies liegt an der Relativität der Gleichzeitigkeit räumlich getrennter Ereignisse.

GALILEIs Relativitätsprinzip (RP)
... dass die Zeit in einem Raumschiff bei hoher Geschwindigkeit langsamer vergeht im Vergleich zur Erde.

Das ist zum einen nicht der Grund und zum Anderen nur im Ruhesystem der Erde der Fall. Damit ist ein Koordinatensystem gemeint, das von der Erde aus definiert ist.

Da sich die Erde mit nicht konstanter Geschwindigkeit im Sonnensystem bewegt, stelle ich mir lieber ein Raumfahrzeug B vor, das im freien Weltraum schwebt, und mit Σ bezeichne ich ein von B aus definiertes raumzeitliches Koordinatensystem mit der Weltlinie (WL) von B als Zeitachse.

An B soll sich mit konstanter Geschwindigkeit

(1) v› = (v | 0 | 0) =: (c∙β | 0 | 0)

ein anderes Raumschiff B' vorbei bewegen. Das lässt sich dann so beschreiben, dass seine WL gegen die von B geneigt ist. Natürlich kann man auch von B' aus ein Koordinatensystem Σ' definieren, in dem B mit (−c∙β | 0 | 0) an B' vorbeizieht.

GALILEIs Erkenntnis war, dass Σ und Σ' physikalisch gleichwertig sind, d.h., die Naturgesetze (= grundlegenden Beziehungen zwischen physikalischen Größen) sind unabhängig davon, ob man die Größen selbst in Σ oder in Σ' ausdrückt.

Auf diesem Prinzip beruht auch die Spezielle Relativitätstheorie (SRT). Wer also bei Rechenbeispielen zur SRT streng zwischen "dem ruhenden" und "dem bewegten" Beobachter unterscheidet, verfehlt die Relativität in der Relativitätstheorie.

Aber darauf kommen wir noch. Zunächst einmal ist etwas anderes festzuhalten, das schon in der NEWTONschen Mechanik (NM) gilt:

Relativität der Gleichortigkeit

Angenommen, ich trinke ich im Bordbistro von B' einen Cappuccino, wobei die von meiner Uhr gemessene Dauer Δτ die Eigenzeit zwischen erstem (€₁) und letztem (€₂) Schluck ist. In Σ' stellen sich €₁ und €₂ als am selben Ort im Zeitabstand Δt' = Δτ stattfindende Ereignisse dar.

In Σ wird B' und damit das Bordbistro als mit v bewegt beschrieben, und damit haben €₁ und €₂ auch den räumlichen Abstand Δx = v∙Δt, wobei Δt die Σ- Koordinatenzeit ist, die von B aus auf Distanz ermittelte Zeitspanne zwischen beiden Ereignissen.

Wir werden Ereignisse, die in einem Koordinatensystem gleichortig sind, als zeitartig getrennt bezeichnen.

GALILEI meets MAXWELL

Zu den oben erwähnten Naturgesetzen gehören auch MAXWELLs Grundgleichungen der Elektrodynamik, die GALILEI und NEWTON noch nicht kennen konnten. Aus ihnen leitete schon MAXWELL direkt die elektromagnetische Wellengleichung her, die daher ebenfalls ein Naturgesetz ist. Daher muss auch sie in Σ und Σ' gleichermaßen gültig sein, d.h.: Was sich relativ zu B mit c bewegt, das bewegt sich auch relativ zu B' mit c und umgekehrt. Das führt zur nächsten Konsequenz:

Relativität der Gleichzeitigkeit

Um die zu konstruieren, brauchen wir neben B bei x = 0 auch noch zwei weitere Raumfahrzeuge vor, A bei x = −d und C bei x = d. Alle stehen in Funkkontakt, und wir interessieren uns für zwei Signale von A und C, die B und B' beim Vorbeiflug erhalten; dieses Ereignis nenne ich €₀.

Da A und C in Σ stationär sind, können wir ihre Borduhren als mit der von B synchronisiert annehmen. Außerdem haben sie denselben Abstand d von B; wenn ihre Signale je einen Zeitstempel tragen, muss er in beiden Fällen tA = tC = t₀ − d⁄c sein.

In Σ' stellt sich das jedoch anders dar: A und C haben auch in Σ' dieselbe Entfernung d' von B und zur Zeit t'₀ daher auch von B', aber A entfernt sich von diesem Ort x' = 0, muss beim Abschicken des Signals (€A) also den geringeren Abstand d'/(1 + β) gehabt haben; C nähert sich diesem Ort x' = 0, muss beim Abschicken des Signals (€C) also den größeren Abstand d'/(1 − β) gehabt haben.

Da die Signale als relativ zu B' gleich schnell angenommen werden müssen, muss zur Zeit t'₀ also €C um den Faktor

(2) (c + v)/(c − v) = (1 + β)/(1 − β) =: K²

"älter" sein als €A.

Bild zum Beitrag

Abb. 1: Schematische Darstellung zur Begegnung des Raumfahrzeugs B' mit dem Konvoi {A, B, C}

Ereignisse, die in einem Koordinatensystem als gleichzeitig beschrieben werden, werden wir als raumartig getrennt bezeichnen.

Derartige Ereignisse haben keine feste und koordinaten- unabhängige zeitliche Reihenfolge. Deshalb gibt es auch kein universelles verbindliches "Jetzt", d.h., es hängt von der Wahl des Bezugssystems ab, ob ein für uns wegen seiner Entfernung noch nicht sichtbares Ereignis bereits geschehen ist oder noch geschehen wird. Das wirft in der Tat die Frage nach einem ontologischen Determinismus auf. Es wäre allerdings auch eine Indeterminiertheit vergangener Ereignisse denkbar.

Bild zum Beitrag

Abb. 2: In zwei verschiedenen Koordinatensystemen kann die Zeitordnung von Ereignissen entlang einer raumartigen Linie (grün) entgegengesetzt sein.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung
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SlowPhil  26.07.2021, 19:57

Vielen Dank für den Stern!

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verreisterNutzer  30.07.2021, 20:21

Interessantes Thema allerdings bin ich nach den ersten paar Wörtern nicht mehr mitgekommen. Gibt es dafür auch noch eine einfachere Erklärung

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SlowPhil  30.07.2021, 20:38
@verreisterNutzer

Ich will auf keinen Fall, dass jemand, der mir zuhört, lediglich den (falschen) Eindruck hat, er habe die Sache verstanden. Er soll sie wirklich verstehen.

Eine solche gute Erklärungen kann deshalb nicht gleichzeitig einfach und verhältnismäßig kurz sein.

Mathematische Formeln bieten die Möglichkeit, die Dinge kurz und zugleich präzise zu erklären.

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SlowPhil  30.07.2021, 21:47
@verreisterNutzer

Wie ist das z.B. mit GALILEIs Relativitätsprinzip, dass ich als erstes erklärt habe? Es gibt nicht den ruhenden Körper, sondern wir betrachten einen Körper B als ruhend, und der andere, B', bewegt sich dann mit einer bestimmten Geschwindigkeit relativ zu ihm.

Wir können aber genauso gut B' als beruhend betrachten, dann bewegt sich eben B relativ zu diesem, und zwar gleich schnell in die entgegengesetzte Richtung.

Physikalisch ist nicht entscheidbar, welcher der beiden Körper denn jetzt der bewegte sei, da die Naturgesetze in beiden Interpretationen genau dieselben sind.

Und dann ist natürlich auch nicht entscheidbar, ob zwei nacheinander geschehen de ereignete am selben Ort stattfinden oder nicht, denn wenn sie auf B stattfinden, wir aber B' als Bezugskörper gewählt haben, hat B sich weiter weiterbewegt .

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verreisterNutzer  30.07.2021, 22:26
@SlowPhil

Achso jetzt verstehe ich es. Danke für die Erklärung. Das mit Galilei und Maxwell versteh ich auch nicht.

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SlowPhil  31.07.2021, 11:20
@verreisterNutzer

MAXWELL hat die grundlegenden Gesetze der Elektrodynamik in 4 Gleichungen gefasst. Aus denen hat er die elektromagnetische Wellengleichung hergeleitet für Wellen, die sich mit dem – damals schon aus der Astronomie bekannten – Lichttempo c ausbreiten. Sie wurden später durch HERTZ entdeckt, aber schon MAXWELL vermutete, dass Licht zu den elektromagnetischen Wellen gehört.

Etwas, das sich als direkte Schlussfolgerung aus Naturgesetzen ergibt, ist selbst ein Naturgesetz und unterliegt daher GALILEIs Relativitätsprinzip (RP).

Wenn Du in Bewegung für das Tempo von elektromagnetischen Signalen im Vakuum oder in Luft etwas anderes als c messen könntest, würdest Du wissen, dass, wie schnell und in welche Richtung Du Dich bewegst, und das ist nach dem RP nicht möglich.

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weckmannu  04.02.2022, 06:04

Du beschreibst Einsteins Relativitätstheorie, nicht die des Galilei.

Galilei hat keine Veränderung der Maßstäbe beschrieben, sondern nur, dass es nicht unterschieden werden kann, welcher Körper von zweien sich bewegt oder nicht.

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SlowPhil  04.02.2022, 10:58
@weckmannu

Richtig. Wenn man aber GALILEIs Relativitätsprinzip auf MAXWELLs Elektrodynamik anwendet, kommt fast automatisch die Spezielle Relativitätstheorie heraus.

Genau das hat EINSTEIN m.E. getan. Es klingt erst einmal sehr einfach und gar nicht nach dem großen Geniestreich, aber gerade in dieser Einfachheit liegt m.E. das Genie. EINSTEIN war einfach "mutiger" als seine Kollegen – selbst LORENTZ, der die Transformationsgleichungen längst entwickelt hatte.

Galilei hat keine Veränderung der Maßstäbe beschrieben,...

Ich würde tatsächlich nicht von "Veränderung der Maßstäbe" reden, wenn es um die SRT geht. Was wir immer noch "Zeitdilatation" und "Längenkontraktion" nennen, sind in Wirklichkeit nicht das von diesen Worten suggerierte brontale Gezerre und Gequetsche, sondern eine ganz sanfte Uminterpretation, hinter der die Relativität der Gleichzeitigkeit räumlich getrennter Ereignisse steckt.

Wenn Du Dich relativ zu mir mit konstant v=0,6 (ich benutze Natürliche Einheiten) bewegst und in Δτ=6min einen Cappuccino trinkst, komme ich auf Δt=7½min, wenn ich diesen Vorgang orthogonal auf meine Weltlinie projiziere – also entlang von t=const.- Linien.

Dieses Δt ist bloß eine Koordinatendifferenz, und da nimmt es nicht wunder, wenn sie von der Eigenzeit Δτ abweicht. Dass eine Salami von 30cm Länge in eine nur 24cm lange (und mindestens 18cm breite) Box passt, wenn man sie schräg legt, wird kein Mensch als "Längenkontraktion" bezeichnen.

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Nein, es ist nicht alles vorherbestimmt (Unschärferelation und Chaos in Kombination schließen das aus), und nein, die Relativitätstheorie produziert keinen Schnelldurchlauf durch die Zukunft des anderen Systems - alle Inertialsysteme sind gleichberechtigt.


verreisterNutzer  25.07.2021, 17:27

Die Unschärfe spielt nur im Mikrokosmos eine Rolle

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SlowPhil  25.07.2021, 19:58
@verreisterNutzer

Nein, die Vorstellung, im Mikrokosmos könne es echten Zufall geben, ohne dass dies auch irgendwie auf den Meso- und Makrokosmos durchschlage, ist nicht haltbar.

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verreisterNutzer  25.07.2021, 22:21
@hologence

Nein, theoretisch ist alles berechenbar und somit determiniert. Die Unschärferelation beschreibt etwas anderes. Und ja wie du schon richtig gesagt hast „Chaos“. Nach der Theorie ist es eben nur theoretisch möglich. Dem Absoluten können wir uns bloß konvergent durch Steigerung der Rechenleistung und Auswertung der Faktoren berechnen

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hologence  26.07.2021, 05:12
@verreisterNutzer
theoretisch ist alles berechenbar und somit determiniert

die Berechenbarkeit von Wahrscheinlichkeiten bestimmt nicht den Einzelfall. Und in der Quantenmechanik bekommen wir nur Wahrscheinlichkeiten paralleler Quantenzustände. Theorie ersetzt nicht Messdaten (und Rechenleistung tut das auch nicht). Niemand kann vorher wissen, wann Schrödinger eine Katze weniger hat.

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SlowPhil  25.07.2021, 19:54

Das Chaos der Chaostheorie ist ein deterministisches, d.h., es schließt Vorherbestimmtheit gerade nicht aus, sondern nur die beliebige Berechenbarkeit.

Ontologischer Determinismus ist nicht einmal durch die Unschärferelation ausgeschlossen.

Vielleicht gibt es aber auch einen Multideterminismus, d.h., was möglich ist, geschieht auch in irgendeinem Winkel des EVERETT- Multiversums.

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hologence  25.07.2021, 20:13
@SlowPhil
es schließt Vorherbestimmtheit gerade nicht aus, sondern nur die beliebige Berechenbarkeit.

ist das aber der Determinismus, den Laplace im Sinn hatte? Eine prinzipielle Berechenbarkeit von allem war für ihn sicher eine logische Folge der Determiniertheit. Eine nicht berechenbare Vorbestimmtheit ist ja eine Art "unerforschlicher Ratschluss", den man zwar nicht wissen aber auch nicht ändern kann. Insbesondere kann man am Ende nicht unterscheiden, ob ein Verlauf auf die eigene Änderung zurückzuführen ist oder auch so eingetreten wäre.

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SlowPhil  25.07.2021, 20:45
@hologence

LAPLACE hielt die Zukunft und die Vergangenheit für im Prinzip berechenbar.

Insbesondere kann man am Ende nicht unterscheiden, ob ein Verlauf auf die eigene Änderung zurückzuführen ist oder auch so eingetreten wäre.

Da steckt ein Denkfehler drin: Du bist nicht ein Außenstehender, sondern weil Du selbst Teil der (möglicherweise vorgezeichneten) Handlung bist.

Womöglich hast Du sehr wohl etwas am Geschehen gegenüber den, was ohne Dein Handeln geschehen wäre, geändert, aber Du weißt nicht, ob das Geschehen einschließlich Deines Eingriffs von vornherein festlag...

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Das ist wohl tatsächlich das, was Einstein meinte, wenn er immer wieder betonte: "Gott würfelt nicht."

Allerdings ist der entscheidende Punkt nicht der von dir angesprochene. Entscheidend ist, dass es -rechnerisch- Gebiete gibt, in denen die Eigenzeiten rückwärts laufen. Wenn sich eine Rakete bewegt, läuft die Zeit darin relativ zu einer ruhenden Rakete verlangsamt.

Wenn eine Rakete beschleunigt, ist es noch seltsamer: Da laufen innerhalb der Rakete nicht alle Uhren gleich schnell. Die Uhren hinten (wenn die Beschleunigungsrichtung nach 'vorne' zeigt) laufen langsamer als die vorne. Dies entspricht dem Effekt, dass die Uhren unten in einem Gravitationsfeld langsamer laufen.

Wenn die Rakete lang genug ist, gibt es irgendwo hinten einen Punkt, an dem die Zeit überhaupt nicht vergeht (relativ zu einer Uhr ganz vorne). Dies entspricht in der Gravitationstheorie dem Rand eines schwarzen Lochs. Wenn ein Raumfahrer von dort aus einem Raumfahrer ganz vorne eine Nachricht senden will, kommt diese nie vorne an.

Noch weiter hinten läuft die Eigenzeit rückwärts (wenn sie vom Raumfahrer vorne berechnet ist). Dies passiert theoretisch bereits bei sehr kleinen Geschwindigkeiten. Der Punkt, an dem die Zeit still steht, ist dann einfach sehr weit hinten.

Wenn aber die Eigenzeit rückwärts laufen kann, was soll dies bedeuten? - Man könnte sagen, dies sei nur ein rechnerisches Problem. Niemand wird je beobachten können, wie die Eigenzeit irgendeines Gebietes rückwärts läuft. Denn die Gebiete, in denen dies (rechnerisch) passiert, liegen hinter einem Horizont wie wenn sie in einem schwarzen Loch wären.

Andererseits funktioniert die Relativitätstheorie überall, wo wir die Dinge berechnen können. Und überall rechnen wir genau mit den Formeln, die eben sagen, in gewissen Gebieten laufe die Zeit rückwärts. Wenn wir überhaupt Dinge in bewegten Systemen ausrechnen wollen, brauchen wir genau diese Formeln dazu. Wie könnte man da behaupten, sie stimmen nicht?

Dieser Effekt widerspricht übrigens auch nicht der Quantentheorie. In der Quantentheorie scheint es zwar zufällige Ereignisse zu geben. Aber diese passieren erst dann, wenn ich ein Experiment beobachte. Selbst wenn ein anderer Physiker ein Experiment beobachtet, passiert eigentlich kein zufälliges Ereignis. Denn wenn ich dann die Quantentheorie konsequent anwende, müsste ich den anderen Physiker als Überlagerung seiner selbst beschreiben. Es passieren dann alle möglichen Ereignisse, der andere Physiker spaltet sich in verschiedene Teilwellen auf, von denen jede ein anderes Resultat beobachtet. Dieses Gedankenexperiment stammt von Eugene Wigner und heisst 'Wigners Freund'. Die Interpretation dazu ist die sogenannte Viele-Welten Interpretation.

Wenn du die Relativitätstheorie konsequent denkst, gibt es im Universum keine Zeit. Die Zeit ist vielmehr ein Effekt jedes einzelnen Beobachters. Sie entsteht dadurch, dass ein Beobachter eben nicht das gesamte Universum mit allen Überlagerungen sehen kann, sondern nur eine Teilwelt, ohne Überlagerungen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

SlowPhil  25.07.2021, 20:46
Wenn aber die Eigenzeit rückwärts laufen kann, ...

???

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diderot2019  25.07.2021, 22:10
@SlowPhil

Das klingt überraschend. Gemeint ist: Ich kann berechnen, wie schnell die Zeit in einer Rakete läuft, die an mir vorbei fliegt. Dies ist die bekannte Lorentz-Formel für die Zeitdilatation. Beobachten kann ich aber nicht, wie die Uhr läuft. Denn die Rakete bewegt sich ja relativ zu mir.

Genau so kann man auch berechnen, wie schnell die Zeit an verschiedenen Orten in einer beschleunigten Rakete vergeht. Einsteins grosse Idee war, dass die Situation in einer beschleunigten Rakete gleich ist, wie in einem Gravitationsfeld. Es ist allerdings nicht ganz einfach zu definieren, was es heisst, eine Rakete werde beschleunigt. Denn innerhalb der Rakete ist die Gleichzeitigkeit nicht definiert. Ich kann nicht sagen: "Die Spitze der Rakete startet gleichzeitig wie das Ende."

Vor allem William Unruh und Jacob Bekenstein haben sich mit solchen Raketen befasst. Da passieren einige sehr seltsame Dinge. Insbesondere gibt es diese Grenze, an der die Zeit still steht. Wenn ich mich recht erinnere, nennt man dies die Bekenstein-Grenze.

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SlowPhil  26.07.2021, 17:35
@diderot2019
Ich kann berechnen, wie schnell die Zeit in einer Rakete läuft, die an mir vorbei fliegt. Dies ist die bekannte Lorentz-Formel für die Zeitdilatation.

Diese"Zeitdilatation" ist aber Interpretationssache. Das liegt daran, dass Fortbewegung relativ ist. Du kannst also ebensogut sagen, Du bewegst dich relativ zur Rakete (natürlich in entgegengesetzte Richtung) und dementsprechend wäre dann Deine Uhr doch diejenige, deren Zeittakt im Verhältnis zur Uhr auf der Rakete verlängert ist.

Die"Zeitdilatation" ist nämlich ein Nebeneffekt der Relativität der Gleichzeitigkeit. Das heißt, je nachdem, wen von euch beiden du halt den ruhenden Körper interpretierst, musst du auch andere Paare von Ereignissen als gleichzeitig interpretieren.

Ist U eine Bezugsuhr, so ist U- Koordinatenzeit geometrisch gesehen die Projektion eines Vorgangs auf die Weltlinie von U entlang von Linien konstanter U- Zeit. Versteht man sie so, ist es auch nicht mehr so kontraintuitiv, das "Zeitdilatation" ein wechselseitiger Effekt ist.

Beobachten kann ich aber nicht, wie die Uhr läuft. Denn die Rakete bewegt sich ja relativ zu mir.

Im Prinzip kann ich das schon, nur eben nicht "in Echtzeit". Bei einer Rakete, die auf mich zukommt, muss ich die schrumpfende Verzögerung einrechnen, bei einer Rakete, die sich von mir entfernt, die wachsende.

Wir haben es hier mit dem DOPPLER - Effekt zu tun. Der akustische Dopplereffekt ist asymmetrisch, und nach der alten Äther-Theorie wäre das auch beim optischen Dopplereffekt zu erwarten:

Die Signale, die ein ruhender Beobachter von einem sich mit cβ nähernden empfängt, sollten um den Faktor 1 − β gestaucht sein. Die Signale, die der sich Neander Beobachter vom ruhenden empfängt, sollten lediglich um den Faktor 1/(1 + β) gestaucht sein.

Der Witz an der SRT ist, dass der optische Dopplereffekt immer symmetrisch ist. Der Faktor liegt mit

1⁄K = √{(1 − β)/(1 + β)}

genau in der Mitte (geometrisches Mittel). Es liegt also an meiner Interpretation als der ruhende oder der bewegte Beobachter, ob ich diesen Zeitraffer Effekt als um den Faktor γ "zu schwach" interpretiere und daher von einem längeren Zeittakt der Uhr des anderen ausgehe oder ob ich ihn als "zu stark" interpretiere und daher von einer Verlängerung meines eigenen Zeittakt ausgehe.

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Reggid  25.07.2021, 23:22
Wenn die Rakete lang genug ist, gibt es irgendwo hinten einen Punkt, an dem die Zeit überhaupt nicht vergeht

das passiert dort wo die beschleunigung gegen unendlich geht (weil der hintere teil der rakete stärker beschleunigen muss als der vordere, damit die rakete eine konstante eigenlänge behält und somit nicht zerreißt).

dass bei beschleunigung=unendlich was unphysikalisches rauskommen wird, sollte nicht wirklich überraschen.

Noch weiter hinten...

bist du in dem bereich der von den Rindler-koordinaten (auf die du dich scheinbar beziehst) nicht mehr beschrieben wird.

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diderot2019  25.07.2021, 23:45
@Reggid

Es braucht keine unendliche Beschleunigung. Du brauchst auch keine zusammenhängende Rakete. Stell dir eine Kolonne von Raketen vor, die alle gleichartig beschleunigt werden. Jede trägt eine Uhr mit sich. Wenn eine Rakete, die weit genug hinten ist, einen Lichtstrahl nach vorne schickt, gibt es irgendwo vorne eine Rakete, die diesen Lichtstrahl nie erhält.

Und nun beschreib, wie sich die Uhren der verschiedenen Raketen verhalten aus Sicht der vordersten Rakete.

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Reggid  26.07.2021, 07:43
@diderot2019

dann

bist du in dem bereich der von den Rindler-koordinaten (auf die du dich scheinbar beziehst) nicht mehr beschrieben wird.
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Nein, das hat damit nichts zu tun....

Blickt man in die Vergangenheit, so erkennt man, dass alles, nach dem Determinismus, festgelegt ist. Jeder Faktor wechselwirkt jedoch mit jedem anderen. So können kleine Einwirkungen große Veränderung haben (Chaostheorie). So ist es auch für uns beinahe unmöglich, dass Wetter von in einer Woche exakt vorauszusagen. Man muss sich aber vor Augen halten, dass unsere Rechenleistung stetig steigt und die Wettervorhersage damals nicht annähernd so gut war wie heute. Sprich wir können uns dem konvergent nähern. Perfekte Voraussagen der Zukunft zu machen wird also nie möglich sein.

Lg