Erfahrungen mit anthroposophischen Einrichtungen

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Ich habe fast 15 Jahre zunächst im Waldorfkindergarten, später als Förderlehrer in Waldorfeinrichtungen gearbeitet. Alles, was ich in den Antworten gelesen habe, stimmt ín Teilen, klingt allerdings für mich etwas zu pauschal. Es gibt durchaus sehr gute Schulen mit vernünftigen Leuten, es ist nicht nur ein Spinnerverein.

Wer nun so gar keine Vorkenntnisse hat, dem würde ich auf keinen Fall Literatur Rudolf Steiners empfehlen, denn die ist sehr umfangreich und extrem schwer zu lesen. Einfach mal auf www.Waldorfschule.info.de klicken und eine Vorabinformation abholen. Unbedingt würde ich ein Praktikum machen, ehe ich mich entscheide.

Dort kannst Du einfach selbst spüren, ob Du Dich mit der Art und Weise anfreunden kannst. Nimm alle Informationen zusammen und gleich sie mit Deinem eigenen Bild ab. Mich würde sehr interessieren, wie es bei Dir weitergeht.

Ich habe einmal in einer solchen Einrichtung gearbeitet. Nach 3 Jahren konnte ich nicht mehr. Ich kann da nur von meinen eigenen Erfahrungen sprechen und ich muss sagen, ich bin echt bedient. Ich bin zwar tolerant und aufgeschlossen, aber diese Art der Erziehung heisse ich persönlich nicht für gut. Irgendwann konnte ich das nicht mehr mit mir und meiner Einstellung zum Leben vereinbaren. In der Einrichtung, wo ich gearbeitet habe, waren sämtliche Medien verboten. Keine Zeitschriften, kein Walkman usw.. Ich muss dazu sagen, dass ich in einer Wohngruppe für jugendliche behinderte Jungen gearbeitet habe. Jeden Sonntag sind wir in die Kirche gegangen. Dagegen habe ich nichts. Insgesamt war das alltägliche Leben aber ziemlich weltfremd. Die Jungen haben gestrickt, Kuchen gebacken, geputzt etc.. Für mich gehört die Erziehung zur Selbständigkeit unbedingt dazu. (Z.B. Wie komme ich mit dem Bus nach ... .) Positiv finde ich die Arbeit mit Naturheilmitteln, Einreibungen, Bäder usw. . Als Mitarbeiter muss ich aber auch sagen, fühlte ich mich völlig ungeschützt. Es gab dort noch nicht einmal Dienstpläne. Ich war manchmal 'ne halbe Woche komplett von zuhause weg. Nachtdienst gab es auch. Bei einer Krankschreibung stand mein Chef bei mir daheim vor der Tür und sagte, ich solle arbeiten kommen. Das sind nur so ein paar kurz umrissene Eindrücke von mir. Schau dir Steiner einfach mal genauer an und mach dir dein eigenes Bild. Für mich ist das nichts. In der Praxis war das insgesamt für mich nur furchtbar.

Zwar arbeite ich nicht in einer solchen Einrichtung, aber hab´ "von außen" hin und wieder Einblick.

Und ich denke, dass man sich vorab schon sehr mit der Theorie Steiners auseinandergesetzt haben muss; und zwar am besten noch: sehr kritisch. Denn wenn man sich nicht wirklich identifizieren kann mit der Anschauung, die hier vertreten wird, wird man wohl schnell an seine persönliche Grenze kommen, was das Gutheißen so mancher Praktiken angeht.

In meinen Augen nämlich ist es eher ein Trugschluss, dass hier ja ach-so-viel Wert auf die Individualität des Menschen gelegt wird. Ganz im Gegenteil - die Umsetzung dessen, was die Theorie vorgibt, scheint mir sehr stringent und oft genug am Menschen (bzw. am Kind) "vorbei".

Beispielsweise die Einteilung in die klassischen "vier Temperamente" - kann am Ende etwas sein, das nicht als Anhaltspunkt dient, sondern regelrecht als Festlegung. Und jegliches Tun des Kindes, was dem zuwider geht, wird infolge dessen unter Umständen unterdrückt, "korrigiert". Da wird dann ein vom Kind gemaltes und stolz vorgezeigtes Bild auch schon gerne mal rigoros als "falsch!" bezeichnet. Alles so schon gesehen...

Darüber hinaus ist meine persönliche Erfahrung, dass im Waldorfkindergarten (nur den kenne ich, wohlbemerkt!) der Umgang mit "besonderen Kindern" (sprich: Kindern mit gesondertem Förderbedarf) ähnlich problematisch ist, in meinen Augen.

Mein Tipp also wäre: Prüfe sehr genau, auf was du dich einlässt, solltest du dich für eine solche Einrichtung entscheiden...

Ich finde den größten Teil der Theorien von Steiner sehr interessant und auch gut. Wohlgemerkt die Theorie. In der Praxis habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass in vielen Einrichtungen dieser Teorie stur hinterhergerannt wird. Es wird deshalb nicht mehr ausreichend auf das Kind geschaut und nicht mehr in anderen Methoden und Theorien geschaut ob man dem Kind anders besser helfen kann. Und deshalb würde ich nicht in so einer Einrichtung arbeiten. Sich mit den Ideen auseinander zu setzen und dies auch neben anderen Ansätzen in die Arbeit einfließen zu lassen finde ich dagegen gut.

BlackRainbow666  09.01.2011, 13:05

Ist das dann nicht so wie in "normalen" Einrichtungen auch - mit dem Unterschied, dass zumindest die Theorie die bessere ist? :)

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