Epikur: Freude als A und O des gelingenden Lebens?

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Die Sätze sind ein Ausschnitt aus:

Epikur (griechisch: Ἐπίκουρος [Epikouros]), Brief an Menoikeus (Diogenes Laertios 10, 130)

Zum Vergleich können andere Übersetzungen herangezogen werden.

Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen. In der Übersetzung von Otto Apelt. Unter Mitarbeit von Hans Günter Zekl neu herausgegeben sowie mit Vorwort, Einleitung und Anmerkungen versehen von Klaus Reich. Hamburg : Meiner, 2015 (Philosophische Bibliothek ; Band 674), S. 597 (Diogenes Laertios 10, 130 – 131, Anfang):

„Nur durch genaue Vergleichung und durch Beachtung des Zuträglichen und Unzuträglichen kann all dieses beurteilt werden. Denn zu gewissen Zeiten erweist sich das Gute für uns als Übel und umgekehrt das Übel als ein Gut.

Auch die Genügsamkeit halten wir für ein großes Gut, nicht, um uns in jedem Falle mit wenigem zu begnügen, sondern um, wenn wir nicht die Hülle und Fülle haben, uns mit dem wenigen zufrieden zu geben in der richtigen Überzeugung, daß diejenigen den Überfluß mit der stärksten Lustwirkung genießen, die desselben am wenigsten bedürfen, und daß alles Naturgemäße leicht zu beschaffen, das Eitle aber schwer zu beschaffen ist. Denn eine bescheidene Mahlzeit bietet den gleichen Genuß wie eine prunkvolle Tafel, wenn nur erst das schmerzhafte Hungergefühl beseitigt ist.“

Epikur, Von der Überwindung der Furcht : Katechismus, Lehrbriefe, Spruchsammlung, Fragmente. Eingeleitet und übertragen von Olof Gigon. 3. Auflage. Zürich ; München : Artemis-Verlag, 1983 (Die Bibliothek der Alten Welt : Griechische Reihe), S. 103 – 104 (Diogenes Laertios 10, 130 – 131, Anfang):

„Durch wechselseitiges Abmessen und durch die Beachtung des Zuträglichen und Abträglichen vermag man dies alles zu beurteilen. Denn zu gewissen Zeiten gehen wir mit dem Gut um wie mit einem Übel und mit dem Übel wiederum wie mit einem Gute.

Wir halten auch die Selbstgenügsamkeit für ein großes Gut, nicht um uns in jedem Falle mit Wenigem zu begnügen, sondern damit wir, wenn wir das Viele nicht haben, mit dem Wenigen auskommen, in der echten Überzeugung, daß jene den Überfluß am süßesten genießen, die seiner am wenigsten bedürfen, und daß alles Naturgemäße leicht, das Sinnlose aber schwer zu beschaffen ist, und daß bescheidene Suppen ebensoviel Lust erzeugen wie ein üppiges Mahl, sowie einmal aller schmerzende Mangel beseitigt ist, und daß Wasser und Brot die höchste Lust zu verschaffen vermögen, wenn einer sie aus Bedürfnis zu sich nimmt.“

Malte Hossenfelder, Antike Glückslehren : Quellen zur hellenistischen Ethik in deutscher Übersetzung. Aktualisiert und mit einem Geleitwort von Christof Rapp. 2., aktualisierte und ergänzte Auflage. Stuttgart : Kröner, 2013 (Kröners Taschenausgabe ; Band 424) S. 183 – 184 (Diogenes Laertios 10, 130 – 131, Anfang):

„Das alles jedoch muß man durch Gegeneinanderabwägen und mit Blick auf Vor- und Nachteile entscheiden. Denn wir behandeln das Gut zu gewissen Zeiten als Übel und das Übel umgekehrt als Gut.

Auch die Selbstgenügsamkeit halten wir für ein großes Gut, nicht um uns in jedem Fall mit wenigem zu begnügen, sondern damit wir, wenn wir nicht viel haben, uns mit dem wenigen begnügen, in der echten Überzeugung, daß diejenigen den Luxus am lustvollsten genießen, die seiner am wenigsten bedürfen, und dass alles Natürliche leicht, das Sinnlose aber schwer zu beschaffen ist. Die schlichten Suppen bereiten die gleiche Lust wie eine Luxuskost, wenn das Schmerzende des Mangels ganz beseitigt wird, und Brot und Wasser verschaffen die höchste Lust, wenn einer sie aus Mangel zu sich nimmt.“

Epikur, Wege zum Glück : Griechisch-Lateinisch-Deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Rainer Nickel. 3., überarbeitete Auflage. Mannheim : Artemis & Winkler, 2011 (Sammlung Tusculum). S. 229 – 230 (Diogenes Laertios 10, 130):

„Doch durch das Berechnen und Abwägen des Nützlichen und des Schädlichen kann man all dies richtig beurteilen. Denn in bestimmten Situationen gehen wir mit dem Gut wie mit einem Übel, mit dem Übel wiederum wie mit einem Gut um. Auch die Unabhängigkeit von äußeren Dingen halten wir für ein großes Gut, nicht um uns in jeder Lage mit Wenigem zufrieden zu geben, sondern um, wenn wir das Meiste nicht haben, mit dem Wenigen auszukommen, weil wir voll davon überzeugt sind, dass jene, die den Überfluss am meisten genießen, ihn am wenigsten brauchen, und das alles Natürliche leicht, das Sinnlose aber schwer zu beschaffen ist […].“

Erklärung

Lust ist ein Gut und wird gewählt/angestrebt/gesucht, Schmerz ist ein Übel und wird gemieden/geflohen (Diogenes Laertios 10, 129). Menschen wählen aber nicht jede Lust, sondern meiden manchmal eine Lust, weil im Gesamtergebnis dabei zumindest nach einiger Zeit das Unangenehme überwiegen würde, und wählen manchmal Schmerz, weil dabei eine größere Lust die Folge ist.

Es ist also nicht jede Lust wählenswert und nicht jeder Schmerz immer zu meiden.

Zur richtigen Beurteilung gehört eine Abwägung des im Gesamtergebnis zu erwartenden Nutzens und Schadens. Das Urteil kann gelegentlich auch sein, ein Gut (Lust) zu meiden, also mit ihm wie mit einem Übel umzugehen, weil bei den Folgen im Gesamtergebnis das Unangenehme überwiegt, und ein Übel (Schmerz) zu wählen, also mit ihm wie mit einem Gut umzugehen, weil bei den Folgen im Gesamtergebnis das Angenehme überwiegt.

Selbstgenügsamkeit/Autarkie (griechisch: αὐτάρκεια [autarkeia]), also ein hohes Ausmaß an Unabhängigkeit von Bedürfnissen und äußeren Dingen, gilt in der epikureeischen Ethik als großes Gut.

Epikur unterscheidet in einer Theorie der Begierden:

a) natürliche und notwendige Bedürfnisse (dazu gehören die Grundbedürfnisse)

b) natürliche und nicht-notwendige Bedürfnisse

c) nicht-natürliche und nicht-notwendige Bedürfnisse

Natürliche und notwendige Bedürfnisse müssen für ein gutes Leben befriedigt werden und haben Vorrang. Natürliche und nicht-notwendige Bedürfnisse sind verzichtbar, ihre Befriedigung kann gewählt werden, sollte aber klug geprüft werden und nicht in Maßlosigkeit ausufern. Nicht-natürliche und nicht-notwendige Bedürfnisse beruhen auf falschen/nichtigen/leeren Meinungen und Einbildungen, aus denen die schlimmste Verwirrung der Seele (Verwirrung der Seele ist entgegengesetzt zu Seelenruhe) entsteht.

Nach Epikurs Überzeugung kann Überfluss/Luxus am angenehmsten genossen werden, wenn jemand nicht von unbegrenzten Begierden abhängig und von ihnen angetrieben ein rastloses, gehetztes Leben führt, in maßloser Gier immer neuen Dingen nachjagend und niemals zufriedengestellt. Wer nicht so abhängig von Begierden ist, kann mit mehr Seelenruhe (die für das Wolhlbefnden wichtig ist) genießen und erreicht leichter Zufriedenheit.

Das Natürliche/Naturgemäße ist das, was den natürlichen Bedürfnissen entspricht. Dies ist nach Epikurs Auffassung eher verfügbar als anderes und daher leicht zu beschaffen. Das Sinnlose/Eitle/Nichtige/Leere (griechisch: τὸ κενόν [to kenon]) betrifft nicht-natürliche und nicht-notwendige Bedürfnisse. Es geht über die Grundbedürfnisse hinaus und ist nicht so gut verfügbar, außerdem zu Grenzenlosigkeit neigend. Daher ist es schwierig zu beschaffen.

Einfache Genüsse bewirken ein Wohlgefühl und sind verhältnismäßig leicht zu befriedigen. Glück/Glückseligkeit ist nach Epikurs Auffassung von Lust bzw. dem Freisein von Unlust/Schmerz/Leid bestimmt. Weil Epikur das Freisein von Unlust/Schmerz/Leid für vorrangig hält, kann seine Ethik als ein negativer Hedonismus (Vermeidung von Unlust/Schmerz/Leid ist am wichtigsten) bezeichnet werden. Epikur erklärt einen mit Dauer verbundenen Zustand, die Seelenruhe (griechisch: ἀταραξία [ataraxia]; „Unerschütterlichkeit“) und die körperliche Schmerzlosigkeit (griechisch: ἀπονία [aponia]), für die Vollendung des glückseligen Lebens. Ein Schmerzgefühl aufgrund einer Entbehrung (dringend Benötigtes nicht haben; ein Grundbedürfnis ist nicht befriedigt) wäre störend. Wenn jemand in dieser Hinsicht keinen Mangel erleidet, führen einfache Genüsse zu angenehmen Empfindungen und es wird die Stufe der Seelenruhe erreicht. Damit ist das Ziel erreicht.

ParadoxMaster 
Fragesteller
 20.01.2022, 06:58

Dankeschön!

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