Auswertung von 1H-NMR-Spektren - wie analysiere ich die Multipetts?

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Ich probiere es, aber sei vorsichtig, ich bin völlig aus der Übung.

Als erstes numerieren wir die Atome — die CH₃-Gruppe unten ist C¹, die Hauptkette zieht sich bis zur CH₃-Gruppe rechts oben (C⁵), und die CH₂Cl-Seitenkette nenne ich α. Da das C² keine Wasserstoffatome trägt, erwarten wir fünf Signale. Und die sehen wir auch, bei δ= 1.6, 2.15, 2.25, 3.76 und 4.18. Ich numeriere sie von #1 bis #5.

Die CH₃-Gruppen sind leicht zu finden, anhand der Integrale sehen wir, daß das die am we­nig­sten verschobenen Signale sind. C¹H₃ ist das unaufge­spal­tene Signal #2 bei δ=2.15 ppm, und C⁵H₃ liegt bei 1.6 (#1) und scheint ein Dublett zu sein. Die Ver­schie­bun­­gen ent­sprechen den Erwartungen: C¹ hat zwei Chlornachbarn am C² und wird des­­halb stär­ker verschoben als C⁵ mit nur einem Cl-Nachbarn. Die Auf­spal­tun­gen pas­sen auch: C⁵ hat einen H-Nachbarn (→Dublett), C₁ hat keinen (→Singulett).

Bleiben die Hs an den Kohlenstoffen 3, 4 und α, die wir den Signalen #3, #4 und #5 zuordnen müssen.

Das tertiäre C³H muß die #3 (δ=2.25) sein; es hat kein geminales Chlor wie die an­de­ren beiden und ist daher weniger verschoben, und die Struktur sieht grob so aus, als ob es rechts einen (enges Dublett) und rechts zwei (weiteres Triplet) H-Nachbarn hät­te; wirklich schön ist es aber nicht, sondern ekelig verbreitert. Warum, sehen wir spä­ter, wenn wir zum α kommen.

Das C⁴H schlägt als #5 bei δ=4.18 auf, die Multiplettstruktur ist konsistent mit drei H-Nachbarn rechts (am C⁵) und einem links (am C³).

So, und jetzt bleibt das Ferkel #4 (δ=3.76) übrig. Offenbar ist das kein Multiplett, son­dern es sind zwei verschiedene Signale von zwei verschiedenen Protonen, denn die Ab­stän­­de zwi­schen den 4 Signal­gruppen sind nicht gleichförmig (in der Mitte größer als am Rand). Also sind das zwei verschiedene Protonen mit fast gleichem δ, die durch Kopp­­lung zu ei­n­em Dub­lett vom Dublett zerlegt werden. Es handelt sich na­tür­lich um die bei­den Pro­to­nen am α-C, und die eine Kopplung haben sie miteinan­der (des­­halb steigt die Sig­nal­inten­si­tät der inneren Dubletts gegenüber den äußeren an und täuscht ein Quar­tett vor), die andere mit dem H am C³.

Warum besteht diese Methylengruppe aus zwei chemisch verschiedenen H-Atomen? Tja, Stereo­chemie! Die beiden Hs sind im räumlichen Molekül niemals gleichwertig, das eine ist immer näher am C² als am anderen, deshalb fühlen sie unterschiedliche Ab­­schir­­mung. Das sollte sich über die innere Rotation um die Cα–C³-Bindung her­aus­­mit­­teln, aber vielleicht handelt es sich um ein Tieftemperatur-NMR, bei dem die in­­ne­­re Ro­­ta­­tion ein­­ge­fro­ren wurde, oder die vielen Chlors hemmen die interne Ro­­ta­­tion mehr als man er­war­ten würde. Deshalb ist auch die Triplett-Kopplung bei #3 (C³) so ver­wa­­schen, weil die zwei Nach­barn am α eben nicht wirklich identisch sind.

Nimm das bitte mit dem berühmten granum natrii chlorati, denn das letzte Mal, daß ich sowas gemacht habe, war während des Studiums also ≈1991.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Chemiestudium mit Diss über Quanten­chemie und Thermodynamik
indiachinacook  28.08.2019, 13:08

P.S.: Dein Monster zwischen 6 und 7 ppm halte ich für einen Ortho-substituierten Aromaten, entsprechend der Regel, daß para hübsch aussieht, meta gräßlich und ortho irgendwo dazwischen — aber mehr kann ich dazu nicht beitragen, und vielleicht stimmt es auch gar nicht.

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