Alttagsleben in Ghana wie ist es?

2 Antworten

Ich habe mal in Ghana gelebt und kann dir vielleicht ein bisschen antworten:

Nicht alle Ghanaer leben in Armut. Und viele von denen, die aus unserer Sicht "arm" sind, sind es der eigenen Auffassung nach gar nicht - Armut ist ein von uns Menschen konstruiertes Konzept.

Ich war kurzzeitig in der Hauptstadt Accra, aber die meiste Zeit lebte ich in einem Dorf namens Bontodiase (das ist etwas weiter im Norden). Das nächste größere Dorf, von dem auch die Busse abfahren, ist Ofoase, die nächste Stadt Nkawkaw. Wenn ich von meinen Erfahrungen berichte, dann also vor allem von diesen Orten. Den Rest habe ich nur in Trips gesehen, also z.B. Kumasi, Cape Coast und Tamale.

Das Leben läuft eigentlich so ab, wie man es sich ganz normal vorstellt: Die meisten stehen schon sehr früh auf und gehen arbeiten. Frühstück ist (außer für Kinder) nicht besonders üblich, die erste Mahlzeit nimmt man eher nach ein paar Stunden Arbeit ein. Ich stand in meiner Zeit dort oft um 6 auf, ging raus und sah, dass der halbe Ort schon unterwegs war. An den Straßenrändern waren schon große Töpfe auf dem Feuer, wo Frauen (und sehr wenige Männer) kochten und ihr Essen an vorbeigehende Schüler verkauften, die in ihren Schuluniformen auf dem Weg zur Schule waren. Dabei lachen und blödeln sie viel, schubsen sich gegenseitig an. Nicht alle tragen Schultaschen. Manche haben ihre Schulbücher, ein Heft und einen Stift einfach im Arm. Die Kinder müssen mindestens bis zur 9. Klasse zur Schule gehen, die Schulpflicht beginnt mit 6 Jahren. Man geht zuerst in die Primary School (Klassen 1-6) und dann die Junior High School (Klassen 7-9), die noch verpflichtend ist. Danach können Schüler noch die Senior High School besuchen (Klassen 9-12), die mit der deutschen Oberstufe vergleichbar ist und zu einer Art Abitur führt, mit der man dann an die Uni kann. Aber nicht alle Kinder erfüllen die Schulpflicht; die meisten schon, aber es gibt Kinder, die stattdessen in der Familie aushelfen, z.B. auf der Farm. Aber der Großteil geht zur Schule, auch wenn man danach trotzdem noch zu Hause aushilft.

Kinder haben also einen recht normalen Alltag, gehen halt zur Schule, kaufen sich ihr Essen oft auf der Straße (es gibt viele Verkäufer unterwegs) und haben nachmittags frei oder helfen ihren Eltern. Auch die Kleinen, die im Kindergarten sind, tragen schon Uniformen. Spielzeug ist weniger vorhanden, die Kinder spielen mehr Sportliches und rennen viel. Auch Bücher finden sich weniger.

Reden wir mal über Strom: Es gibt häufig Stromausfall. In der Trockenzeit fast gar nicht, aber dafür in der Regenzeit andauernd. Deswegen haben wohlhabendere Leute auch eigene Generatoren, mit denen sie im Falle eines Falles weiter Strom benutzen können. Strom gibt es aber generell in so ziemlich allen Häusern. Nur ein einziges Dorf habe ich gesehen, in dem kein Strom verlegt worden war; da sind die Leute regelmäßig ins Nachbardorf gelaufen, um dort an einer ewig langen öffentlichen Steckdosenleiste ihre Handys aufzuladen.

Wasser: Fließendes Wasser im Haus zu haben, ist nicht üblich. Es gibt in der Dorfmitte normalerweise einen Brunnen, wo man sich Eimer mit Wasser füllt und zum Haus trägt. Dort hat man eine oder mehrere größere Tonnen. Zum Duschen macht man eine "Bucket Shower": Man geht mit einem vollen Wassereimer in die Dusche (befindet sich meist draußen unter freiem Himmel, aber man ist abgeschirmt durch eine Kabine aus Holz oder Stein) und wäscht sich so mit dem Wasser. Man hat auch einen kleinen Eimer dazu, mit dem man aus dem großen Eimer schöpfen kann. Wenn es mal kühler ist, kann man etwas kochendes Wasser dazuschütten, so hat man schön warmes Wasser. Aber meistens ist die kalte Dusche doch ganz erfrischend. Genauso wäscht man auch seine Wäsche von Hand und hängt sie auf.

Essen: Kochen gilt in den meisten Familien als Frauensache. Nicht alle haben im Haus eine funktionsfähige Küche, sondern kochen draußen über einer offenen Flamme mit einem Grill oder nutzen mobile Kochgeräte. Man kocht größere Mengen und teilt sich das Essen als ganze Familie. Wenn man etwas mit der Hand isst wie z.B. das Nationalgericht Fufu, dann isst man nur mit der rechten Hand, die linke Hand gilt als unrein. Deswegen sollte man mit der linken Hand auch nicht jemandem zuwinken. Ausländer wie ich werden oft von Nachbarn und Freunden zum Essen eingeladen. Dann wird versucht, etwas besonders Leckeres zu servieren, das ansonsten nicht oft gegessen wird, z.B. wird dann ein Huhn geschlachtet oder es gibt Schnecken, die sehr teuer sind. Fertiges Essen unterwegs zu kaufen, ist sehr billig, und viele greifen darauf zurück, wenn sie von der Arbeit zurückkommen oder auf dem Weg dahin sind.

Verkehr: Die Autos sind oft welche, die in Europa aussortiert wurden und hier nicht mehr fahren dürften; ich sah viele Autos mit deutschen Aufschriften wie "Tischlerei Müller" und eine deutsche Telefonnummer darunter. Man macht sich nicht die Mühe, das zu übermalen. Aber man schreibt gerne etwas Religiöses darüber, z.B. "I love God" oder "Hell is real" o.ä. Das steht auch über vielen Ladeneingängen. Der öffentliche Bus, den alle normalerweise nehmen, heißt Trotro. Es ist ein Kleinbus, in dem etwa 20 Leute Platz haben. Die Fahrt ist sehr billig. Man bezahlt nicht direkt beim Einsteigen, sondern streckt irgendwann während der Fahrt das Geld nach vorne und die anderen Fahrgäste geben es nach vorn durch. Trotros sind allerdings genau wie die anderen Fahrzeuge eher unsicher; in einem sah ich im Boden ein Loch, durch das man die Straße sehen konnte, und bei einem mussten alle rechts sitzenden Passagiere während der Fahrt die Tür festhalten, damit sie dranblieb. Natürlich gilt das nicht für alle Fahrzeuge, es gibt auch gute. Wenn das Trotro mal an einer roten Ampel hält (oder auch ein anderes Auto, in dem man sitzt), kommen schnell Verkäufer zu den Fenstern und bieten ihre Waren an. Viele kaufen sich dann eben schnell ein Eis (es gibt 2 Sorten, Schoko und Erdbeer), einen Beutel Wasser (Trinkwasser wird oft in eingeschweißten Beuteln verkauft, nicht in Flaschen) oder was zu essen, z.B. ein gekochtes Ei mit einer scharfen, roten Sauce. In größeren Städten kann man auch alles andere kaufen, was man sich vorstellen kann - DVDs, Massagestäbe, Kinderspielzeug und so weiter. Leider ist dieser Job für die Verkäufer recht gefährlich, es gab schon einige Unfälle. Über den Tisch gezogen werden sie nicht, sie geben das Gewünschte durchs Fenster rein und können darauf vertrauen, sofort das Geld gereicht zu bekommen.

Lass uns über das Geschäftchen reden... Was, wenn man auf die Toilette muss? Toiletten sind üblicherweise draußen, nicht im Haus. Es sind kleine Hütten mit einem Loch im Boden. Erst mag es unhygienisch wirken, ist aber tatsächlich hygienischer als ein WC, bei dem alle den Toilettensitz, die Spülung etc. berühren. Hier berührt man gar nichts. Andererseits gibt es auch keine Möglichkeit, sich die Hände zu waschen. Dafür kann man aber Hygienegel benutzen oder sich eben mit dem Wassereimer und Seife danach die Hände waschen; die Wassertonne ist normalerweise ganz in der Nähe.

Häuser: Du stellst dir vielleicht Slums mit Wellblechhütten oder runde Lehmhäuschen vor. Das ist in den allermeisten Fällen nicht der Fall, sondern es sind Gebäude, wie man sie in Europa auch kennt. Im Norden Ghanas findet man mehr Lehmbauten als im Süden, aber auch da sind sie nicht die Normalität.

Armut: Weniger als 30% der Bevölkerung gilt als arm, es gibt eine wachsende Mittelschicht.

Sonstiges Leben: Meiner Erfahrung nach sind Ghanaer sehr offen, freundlich und tolerant. Wenn ich mich mal verlaufen hatte oder keine Ahnung hatte, welches Trotro ich nehmen musste, half man mir sofort und kümmerte sich wirklich darum, dass ich sicher an mein Ziel kam. Nie bekommt man ein unsicheres Angstgefühl, auch als Frau nicht.

Ansonsten leben die Leute eben ihr Leben; sie arbeiten, sie kochen, sie schlafen, sie spielen, sie heiraten, sie gründen Familien, sie gehen wählen, sie bauen Gebäude, sie schauen Filme. Bei Filmen sind es vor allem nigerianische Produktionen, Nigeria ist für Westafrika sozusagen wie Hollywood für Amerika. Manche arbeiten auf dem Feld, manche als Taxifahrer, manche als Köche, manche als Schriftsteller, manche beim Radio, manche in der Forschung, manche sind Dozenten an Universitäten, manche bei der Polizei - eben wie hier auch.

Das alles ist meine Erfahrung - ich habe nicht ganz Ghana gesehen und ich habe mich nicht in reichen Kreisen aufgehalten. Ich bin sicher, dass in Großstädten wie Kumasi und Accra viele Leute in Blockwohnungen mit fließendem Wasser und stabilem Strom- und Internetanschluss leben, aber das habe ich selbst nicht miterlebt. Ghana ist sehr vielfältig, und meine Beschreibung ist nur ein winziger Teil des Möglichen.

Jemand, der Deutschland besucht und in einem Vorort wohnt, wo viele alte Leute mit Gartenzwergen im Garten leben, wird in einer Beschreibung vielleicht viel über Gartenzwerge reden, obwohl die im gesamten Deutschland kaum eine Rolle spielen. Genauso musst du es mit meiner Beschreibung sehen - es kann nicht ganz Ghana realistisch darstellen. Ghana hat so viele verschiedene Kulturen, sogar viele verschiedene Sprachen - ca. 80 Stück! Ich habe nur Twi gelernt, was dort Hauptsprache ist (Amtssprache ist Englisch), aber es gibt auch Fante, Ewe... Die meisten wachsen mehrsprachig auf.

Ich hoffe, ich konnte dir ein ungefähres Bild vermitteln. Wenn du noch Fragen hast, nur zu.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
DanosFado  30.11.2020, 19:54

Hallo, wie waren deine Erfahrungen mit Malaria? Vielen Dank.

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Polarbaum  30.11.2020, 21:26
@DanosFado

Ich habe mir vorher vom Arzt Malarone verschreiben lassen und das mitgenommen. Eine Prophylaxe wollte ich wegen der starken Nebenwirkungen nicht nehmen, ist aber auf jeden Fall auch eine Möglichkeit. Einige andere Freiwillige nahmen die ganze Zeit eine Prophylaxe, hatten dadurch aber oft Schlafprobleme.

Ich sprühte mich immer ordentlich mit Moskitospray ein, schlief unter einem Moskitonetz, das ich dort in den ersten Tagen kaufte und hatte auch meine mitgebrachte Kleidung mit Moskitospray imprägniert (das gibt es extra für Kleidung zu kaufen, hält wohl auch ein paar Wäschen aus). Dadurch hatte ich sowieso kaum Stiche und das Malariarisiko war sehr gering. Tagsüber sind eh keine Moskitos unterwegs. Die wuseln am häufigsten in der Morgen- und Abenddämmerung herum, sind aber auch nachts unterwegs. Wenn ich Malaria bekommen hätte (ich hatte mich über die Symptome informiert), hätte ich das sofort bei einem Arzt diagnostizieren lassen und dann meine mitgebrachte Malarone eingenommen. So handhaben es wohl auch die meisten.

Die Malarone habe ich am Ende des Aufenthalts einfach einem anderen geschenkt, der noch länger dort blieb, da ich es nicht benötigte.

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Hawkhail  27.05.2021, 23:25

Hey, vielen Dank für diesen überaus guten und umfangreichen Beitrag! Habe neulich ein Referat über Ghana gehalten. Stimmt es, dass man nach dem Tag benannt wird, an dem man geboren würde? Lieben Gruß

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Polarbaum  28.05.2021, 21:42
@Hawkhail

Das stimmt. Ich wurde an einem Dienstag geboren, also würde ich Abena heißen (gesprochen Abna) - wobei es für jeden Wochentag mehrere Namen zur Auswahl gibt. Fast alle haben aber einen anderen, zusätzlichen Rufnamen. Das sind dann eher englische Namen wie Steven, Foster, Ashley und so weiter. Viele werden inzwischen auch gar nicht mehr nach ihrem Wochentag-Namen benannt, das wird mehr und mehr „out“. Aber jeder weiß natürlich trotzdem, was sein Name wäre.

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Hawkhail  29.05.2021, 14:24
@Polarbaum

Alles klar, hab Dank für deine Antwort! Ich finde das sehr interessant!

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in ghana leben menschen. die stehen auf, essen frühstück, gehen arbeiten, kümmern sich um ihre kinder, gehen ihren interessen nach und gehen schlafen. das leben läuft also in seinen bahnen wie überall auf der welt. das gefälle zwischen moderne und traditioneller lebensweise ist weit gefächert. es gibt arme menschen die in der modernen welt ghanas leben, es gibt menschen die in traditioneller weise leben und nicht arm sind oder hungern. sprich nicht alle menschen in ghana sind arm, leben in einer lehmhütte und müssen hungern.

Polarbaum  16.05.2019, 12:14

Abgesehen davon, dass Frühstück in Ghana eher unüblich ist, stimme ich dir vollkommen zu.

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