https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/19957/dissertation_klingner_annett.pdf
Auszug aus dem oben stehenden PDF mit dem Thema „Planetenkinder“ und dem Abschnitt:
1.2 AstrologieundChristentum
Astrologische Motive, und damit auch Darstellungen der Planeten und ihrer Kinder, finden sich seit dem Mittelalter sowohl ikonografisch als auch räumlich häufig in unmittelbarer Nähe zu christ- lichen Motiven, z.B. an Kathedralen (wie Tierkreiszeichen und Monatsbilder in den Archivolten des linken Westportals der Kathedrale von Chartres (Mitte des 12. Jahrhunderts) bzw. der Fens- terrose der Abteikirche von St. Denis (Abb. 1.1)26 oder sogar in einer päpstlichen Residenz im Vatikanischen Palast (siehe Kap. 9). Dieses Phänomen öffnet die Frage nach der Vereinbarkeit von Astrologie und Theologie.
Historisch gesehen hatte die Astrologie drei verschiedene Funktionen: Ursprünglich wurde der Sternenhimmel aus rein praktischer Sicht systematisch beobachtet, zum Beispiel, um Aussagen zum Kalender, der Landwirtschaft, der Zeitmessung oder auch der Wettervorhersage zu machen. Später kam das Interesse hinzu, die Bewegungen der Planeten aus erkenntnistheoretischem Inte- resse zu untersuchen. Vergleichsweise jung sind dagegen Versuche, derartige Beobachtungen kon- kret für das ganz persönliche menschliche Leben unternehmen und dabei systematische Zusam- menhänge zwischen der supralunaren Sphäre, dem Makrokosmos, und der sublunaren Sphäre, dem Mikrokosmos, zu ermitteln.
Im antiken Griechenland und Rom hatte die Astrologie die Würde eines Glaubens und war als wissenschaftlich angesehen. Nach der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion wurde sie zunächst unterbunden und schließlich verboten – wenngleich man astrologische Elemente adaptierte: die vier Jahreszeiten wurden z.B. zu vier Evangelisten, die zwölf Tierkreiszeichen zu 12 Aposteln, der Geburtstag Christi entspricht der Wintersonnenwende.28
Viele astrologische Aufzeichnungen gingen verloren oder kamen über Gelehrte, die in den arabischen Raum weiterzogen, dorthin (siehe Kap.2.5; 2.6). Bereits früh gab es jedoch Versuche, bei
26 Die große Fensterrose in der Abteikirche St. Denis, Paris, zeigt eine Verbindung aus kosmologischem Schema und Christentum: 24 Monatsbilder (äußerer Ring), zwölf Tierkreiszeichen (mittlerer Ring), 12 Engel (innerer Ring), Gottvater (Zentrum).
Grundlagen, Geschichte, Ikonographie
christologischen Aussagen auf die antike Sonnenmetaphorik zu rekurrieren. Das Gebiet, auf dem sich eine grundlegende theologische Stellungnahme am unmittelbarsten anbot, war der Grundsatz der Schöpfungsgeschichte nach Genesis 1. Bischof Theophil von Antiochien (um 183) kom- mentierte diesen entsprechend:
„Am vierten Tag wurden die Lichter erschaffen. Gott kannte in seinem Vorherwissen die Faseleien törichter Philosophen, dass sie nämlich behaupten würden, die Erzeugnisse der Erde verdankten den kosmischen Elementen ihren Ursprung, damit sie keinen Gott brauchten. Deshalb wurden, damit die Wahrheit klar hingestellt werden würde, die Pflanzen und Samen vor den Elementen erschaffen. Es kann ja nun das später Gewordene nicht das früher Gewordene hervorbringen“.29
Aus christlicher Sicht gab es keinen Zweifel daran, dass Wert und Würde der Sonne aus ihrem Status als Geschöpf resultieren – und auch darin begrenzt sind. Auf dieses kritische Moment konnte man sich jederzeit zur Abgrenzung gegenüber der paganen Sonnenverehrung berufen. Erste Assoziationen im Bereich der Gotteslehre wurden schon bald durch feste Traditionen sola- rer Metaphorik im Bereich der Christologie abgelöst.30 Ab dem vierten Jahrhundert ist ein Bezug der Sonnenmetaphorik auf Christus nachweisbar.31 Martin Wallraff stellt in seiner Studie zur Ver- bindung von Sonnenkult und Christentum fest, dass ersterer von letzterem überboten wird.32 Dies ermöglichte, solare Attribute für Christus problemlos zu adaptieren.
Obwohl Sternglaube und die Sterndeutung an einigen Stellen des Neuen Testamentes explizit abgelehnt werden stellen verschiedene andere zentrale Passagen der Heiligen Schrift einen Zusammenhang zwischen astronomischen und göttlichen Ereignissen her. Beispiele hierfür sind der Stern von Bethlehem und seine astrologische Deutung durch die drei Magier aus dem Morgen- land34, die Verdunklung des Himmels im Moment des Todes Christi am Kreuz35 oder die umfäng- liche Symbolik der Himmelskörper in der Offenbarung des Johannes. Dies bot den Kirchenvätern die Möglichkeit, heidnische Prophezeiungen als Voraussagungen auf Jesus Christus zu Die Sonnenstrahl-Christologie, bei der Gottvater und Christus mit der Sonne und deren Strahl verglichen werden ist bereits für Mitte des zweiten Jahrhunderts bezeugt und war bis zum Beginn des vierten Jahrhunderts weit ver- breitet. Die zweite Form, bei der die Sonne als unmittelbar christologischer Titel fungiert, weist in ihrem Ursprung nach Alexandrien und ist in missionarisch-apologetischem Kontext zuerst bei Klemens um die Wende zum dritten Jahrhundert bezeugt. Durch Origines wurde die Sol-Christologie geprägt und ihr eine bleibende Stellung ver- schafft, über sein Schrifttum ist sie fest in der Bibel-Exegese verankert. „Gott ist Licht“ (1 Joh 1,5) heißt es dort und „das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“ (Joh 1,4.9). Jesus sagt von sich: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 8,12 sowie 12,46). Vgl. Wallraff 2001, 42-48; zu den philosophischen Vorgaben vgl. Beierwaltes. Als biblischer Haftpunkt fungiert dabei die messianische Weissagung des alttestamentlichen Propheten Sacharja: „Siehe ein Mann, Aufgang ist sein Name“ (Sach 6,12). Der Titel „Sonne der Gerechtigkeit“ ist aus Maleachi (Mal 3,20) übernommen. Er entwickelte sich in der Folge zum festen Topos in der christlichen Literatur. Ebenso setzte sich durch, in bestimmten Fällen mit einem doppelten Sonnenbegriff zu operieren. Dabei trat zur christologisch ver- standenen Sonne der Gerechtigkeit eine weitere, die Gott „aufgehen lässt über Bösen und Guten“ (Mt 5,45). Zu einer grundsätzlichen Vertiefung der christologischen Sonnenmetaphorik kam es im Folgenden nicht, wohl aber ent- stand im Zuge der Auseinandersetzung mit paganen Formen der Sonnenverehrung ein breites Spektrum unter- schiedlichster Applikationen. Vgl. Wallraff 2001, S. 158−162; Knipp 1998, S. 42f. Darstellungen des personifizier- ten Sonnengottes kamen gelegentlich sogar in der künstlerischen Ausstattung christlicher Gräber vor. Ob Christus dabei nicht nur in einem metaphorischen Sinn, sondern auch ontologisch mit Sol identifiziert wurde, ist unklar. Ein Gewölbemosaik des 3. Jahrhunderts im Mausoleum der Julier in der Vatikanischen Nekropole zeigt z.B. einen als Christus zu deutenden Sol mit Nimbus und Strahlenkranz im Sonnenwagen; in der linken Hand hält er die Weltkugel (Abb. 1.2). Diese Darstellung entspricht der traditionellen Sol-Ikonographie interpretieren und die Sterndeutung als Lesen und Erkennen des göttlichen Willens mit der christlichen Lehre verbinden zu können.
Der antike Kirchenlehrer Augustinus (354-430) war nach eigenem Zeugnis in seiner Jugend ein großer Anhänger der Astrologie und hatte offen die planetarii, quos mathematicos vocant konsultiert36, Horoskope gestellt und mit Astrologen über verschiedene Probleme diskutiert.37 Später änderte er seine Meinung, äußerte sich in seinen bedeutendsten Schriften mehrfach gegen die Astrologie und stellte die Allmacht Gottes heraus. Danach gäbe es nichts ohne Gott und was mit ihm sei, bestünde unerschütterlich. Der Himmel besäße etwas Unbewegliches, „das unter allen Umständen entweder Gott selbst ist oder zumindest mit Gott zusammenhängt, wenn ich auch keineswegs an der Drehung und Bewegung des Himmels zweifle.“38 Diese Nachahmung sei notwendig, weil auch die sichtbare Bewe- gung der Sphäre ein Abbild der idealen unsichtbaren und unveränderlichen Bewegung sei. Eine besonders große Ähnlichkeit zeige sich aber in den Bewegungen der Zeit als zahlenmäßig fort- schreitendes Bild der Ewigkeit, dessen Teile das Jahr, den Monat und den Tag bilden. Das Verän- derliche nähere sich hier durch die periodische Bewegung dem Unveränderlichen. Was sich in diesem Kreislauf ewig wiederholt, sei zwar veränderlich, es bleibe aber in der Wiederholung immer dasselbe.39
„[...] im unwandelbaren Wechsel der Zeiten sah sie [die Vernunft] nur immer wieder Zahl und Maß als beherrschende Kräfte. Die Erscheinung selber fasste sie durch die Abgrenzung und Unterscheidung in einer gemeinsamen Ordnung zusammen und schuf die Astronomie, das große Beweismittel der Gottesfürchtigen.“40
Damit vollziehe die Astrologie den Schritt zu einem Denken der reinen Vernunft, „das über das „sinnliche Erkennen hinaus im reinen Denken das Intelligible erfasst.“41 Nach Augustinus herrscht in den Bewegungen der Gestirne eine vollendete Ordnung, „so dass, wer an ihre Quelle zu kommen, wer in ihr Innerstes zu sehen wünscht, in ihnen sie findet oder durch sie irrtumslos geleitet wird“.42 Diese sichtbare Ord- nung des Himmels sei ein Abbild der göttlichen Harmonie, die der Schöpfer dem gesamten Kos- mos gegeben habe. Die Gestirne würden zudem das Irdische beeinflussen und so eine Verbindung und einen Kräfteaustausch zwischen himmlischer und irdischer Welt herstellen.43 Der Himmel als Sitz des Göttlichen werde damit zum Symbol der dem Menschlichen überlegenen Transzendenz, in dem sich die vollkommene Ordnung des Universums unter anderem im regelmäßigen Lauf der Gestirne ablesen lasse. Der Kirchenlehrer Albertus Magnus (um 1200-1280) bezeichnete die Sterne als
„Werkzeug des ersten Bewegers, die als Glieder eines Ganzen tätig sind. Da die vier Elemente durch die Bewegung der Himmelskörper entstehen, so ist es klar, dass alle Veränderungen der irdischen Welt durch die Bewegung der superioren Himmelskörper verursacht werden. So führt die edle Kunst der Astrologie die Gedanken der Menschen zu Gott, da sie alle irdischen Dinge auf den Urquell zurückführt.“44t
Die katholische Kirche forcierte also die Wahrnehmung der Planetengötter als offiziell von Gott installierte Instanzen, die seine Anweisungen ausführten. Sofern Sterndeutung zum Zweck des Lesens und Erkennens des göttlichen Willens erfolgte, stand sie somit nicht im Gegensatz zur christlichen Lehre. In diesem Rahmen ließ die Kirche die Astrologen samt ihren heidnischen Planetengöttern und Horoskop-Deutungen folgenlos gewähren. Selbst Päpste konsultierten Astrologen bzw. waren sogar selbst welche und bestellten Horoskope.50
1988, S. 204. Papst Sixtus IV. (1471-1484) beschäftigte mehrere verbeamtete Astrologen, die ihm günstige Termine für Empfänge und Staatsgeschäfte errechneten. Vgl. Maroldi, 1475; Cortesi 1483, unpaginiert. Leo X. (1513- 1521) schätzte die Arbeiten des neapolitanischen Astrologen Augustinus Niphus so hoch ein, dass er ihm gestat- tete, das Hauswappen der Medici zu führen. An der päpstlichen Universität, der Sapientia, richtete der gleiche Pontifex im Jahr 1520 einen Lehrstuhl für Astrologie ein. Auch an den Universitäten von Bologna, Padua, Ferrara, Hilfreich für die Kirche erwies sich auch, dass die Menschen die Planetengötter als viel näher und deshalb greifbarer empfanden als den christlichen Gott oder Jesus Christus. Sie erfüllten ihre Funktion als Vermittlungsinstanzen und boten die Möglichkeit, den entfernten Gott zu kontak- tieren, ihm näher zu kommen oder auch mit bestimmten irdischen Dingen zu hadern – z.B., wenn man mit dem eigenen Leben oder gesellschaftlichen Stand unzufrieden war. Allerdings blieb die Sternkunde an Herrscherhöfe gebunden. Diese definierten klar, unter welchen Voraussetzungen sie betrieben werden durfte. So schrieb der kastilische König Alfons X. (1221-1284), genannt „der Weise“ Was Wahrsagung bedeutet und wie viele Arten es davon gibt:
“Wahrsagung heißt, die Macht Gottes zu nehmen, um zukünftige Sachen zu kennen. Und es gibt zwei Arten von Wahrsagung: Die erste ist diejenige, die man durch die Astronomie ausübt, die eine der sieben Freien Künste ist. Nach dem Gesetz ist sie nicht denjenigen verboten zu nutzen, die Meister sind und sie wirklich verstehen. Denn die Gutachten und die Schätzungen, die sie durch jene Kunst machen, werden aus dem natürlichen Umlauf der Planeten und anderer Sterne abgelesen. Sie werden aus den Büchern Ptolemäus’ und anderer Gelehrter entnommen, die sich mit dieser Wissenschaft beschäftigten. Aber die anderen, die sie [die Astronomie] nicht verstehen, dürfen mit ihr nicht arbeiten. Sie dürfen sich aber darum bemühen, sie durch die Bücher der Weisen zu erlernen. Die zweite Art der Wahrsagung ist jene der Zeichendeuter [sorteiros] und der Hexen, die Vordeutungen aus Geflügel, dem Niesen, den Sprichworten [proverbio], entnehmen. Oder sie sehen die Vordeutungen im Wasser oder in Kristallen oder im Spiegel oder auf dem Schwert oder auf anderen leuchtenden Dingen oder deuten die Zukunft aus dem Kopf eines toten Mannes oder eines Tieres oder der Hand eines Kindes oder einer Jungfrau. Wir verbieten, dass solche Gauner oder ähnliche in unserem Königreich leben oder dass sie jene Bräuche hier ausüben. Denn sie sind schädliche Menschen und Betrüger und bringen mit ihren Taten großen Schaden und großes Übel über das Land. Und niemand darf es wagen, sie in seinem Haus aufzunehmen”.
“Astrologie bedeutet Wissen, das man durch Suchen und Sehen erreicht, sie ist die fünfte Kunst dieser sieben und spricht von den Himmeln, da sie auf Latein Astra heißt. Und diese (Astrologie) besteht aus sieben Teilen: aus Sehen, aus Verstand, aus Taten, aus Veränderung, aus Berechnungen, aus Messungen und aus Konkordanz”.52
Im Prolog des Libro de las Cruzes äußert er, dass sich die Wahrsagung aus Gestirnen auf Wissen- schaft gründet. Die sei ihrerseits eine Gabe Gottes und dürfe mit dessen Erlaubnis und Willen angewendet werden. Giovanni Michele Savonarola (1385-1468), Arzt und Humanist aus Padua, schrieb noch Mitte des 15. Jahrhunderts und völlig im Einklang mit der christlichen Religion, dass „alles hier unten vom Einfluss und der Herrschaft der Sterne, und vor allem der Planeten, welche die nobelsten der himmlischen Körper“ seien, abhänge Rom, Neapel, Paris und Krakau wurde Sternkunde gelehrt. Eine begriffliche Trennung zwischen Astrologie und Astronomie existierte bis zum 16. Jahrhundert noch nicht.
.