Wie komme ich auf die Oxidationszahlen von Schwefel in Cystein bzw. Cystin?

hier die Strukturformeln  - (Chemie, Aminosäuren, Oxidationszahlen)

1 Antwort

Moin,

für die Ermittlung von Oxidationszahlen in Molekülen benötigst du zwei Dinge: erstens die Elektronegativitätswerte der Bindungspartner und zweitens den Vergleich der Elektronenanzahl nach der Zuordnung mit der Anzahl, die im atomaren Zustand vorhanden ist.

Was ich damit konkret meine, zeige ich dir nun am konkreten Beispiel:

Im Cystein ist der Schwefel folgendermaßen gebunden:

        _
...C–S–H
        ¯

Die Elektronegativitätswerte (EN) aller (entscheidenden) Bindungspartner sind
EN(C): 2,5
EN(S): 3,0
EN(H): 2,1
Die EN-Werte ermöglichen dir nun, die bindenden Elektronen so zuzuordnen, als würden alle Bindungen Ionenbindungen sein. Dabei bekommt stets der elektronegativere Bindungspartner die Bindungselektronen vollständig zugesprochen. Der andere Bindungspartner bekommt keins davon. Nur wenn beide Bindungspartner gleich elektronegativ sind, erhalten beide Bindungspartner je ein Elektron des bindenden Elektronenpaares zugesprochen (das wird gleich noch einmal wichtig...).

S eine größere Elektronegativität als C oder H. Darum werden ihm in beiden Fällen das bindende Elektronenpaar vollständig zugeteilt. Nach der Zuteilung hat Schwefel dann insgesamt 8 Valenzelektronen, 4 aus den beiden nichtbindenden (freien) Elektronenpaaren und noch einmal 4 aus den zugesprochenen beiden bindenden Elektronenpaaren. Vergleichst du diese Anzahl (8) mit der Valenzelektronenzahl, die Schwefel als ungebundenes Atom hat (6), so stellst du fest, dass der gebundene Schwefel im Cystein nach der Zuteilung (formal) 2 Elektronen mehr besitzt als im ungebundenen atomaren Zustand (8 – 6 = 2). Zwei Elektronen mehr kommt aber einer Ladung von "2–" gleich, weil die Elektronen ja negative Ladungsträger sind. Darum hat Schwefel im Cystein die Oxidationszahl –II.

Im Cystin sehen die für Schwefel entscheidenden Bindungsverhältnisse so aus:

        _  _
...C–S–S–C...
        ¯  ¯

Wieder werden die bindenden Elektronenpaare zu den Kohlenstoffatomen aufgrund der höheren Elektronegativität jeweils den beiden Schwefelatomen vollständig zugesprochen. Aber das bindende Elektronenpaar zwischen den beiden Schwefelatomen wird gerecht geteilt, weil hier beide Bindungspartner über exakt die gleiche Elektronegativität verfügen.

Nach der Zuteilung haben beide Schwefelatome dann 7 Valenzelektronen (jeweils 4 aus den nichtbindenden Elektronenpaaren + 2 aus dem bindenden Elektronenpaar zum Kohlenstoff + 1 aus dem bindenden Elektronenpaar zum anderen Schwefelatom). Der Vegleich der Elektronenanzahl nach der Zuteilung (7) mit dem atomaren Grundzustand (6) ergibt, dass beide Schwefelatome nun jeweils 1 Elektron mehr aufweise (7 – 6 = 1). Ein Elektron mehr heißt (formal) eine Ladung von "1–". Darum hat Schwefel im Cystin die Oxidationsstufe –I.

Und weil –II (Cystein) im Vergleich mit –I (Cystin) einer Erhöhung der Oxidationszahl entspricht (die wiederum einer Abgabe von Elektronen entspricht), handelt es sich bei der Vereinigung von zwei Cystein-Molekülen zu einem Cystin-Molekül um eine Oxidation (weil die Abgabe von Elektronen eine Oxidation ist).

Alles klar?

LG von der Waterkant.

riiiiiiike 
Fragesteller
 28.01.2017, 12:37

Ich bin dir gerade so dankbar dafür! Endlich habe ich den ganzen Kram mal verstanden! In meinem TW stand, dass C und S eine Elektronennegativität von 2,5 haben, deswegen kam ich dann wahrscheinlich auch nicht drauf. Kannst du mir sagen, von welcher Quelle die Elektronennegätivitätswerte sind?
Liebe Grüße und danke nochmal (:

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DedeM  28.01.2017, 12:58
@riiiiiiike

Moin,

o-oh, habe gerade festgestellt, dass mich mein Gedächtnis im Stich gelassen hat... S und C haben tatsächlich sehr ähnliche EN-Werte (also S hat nicht EN = 3,0, wie von mir oben angegeben). Sorry!

Aber grundsätzlich bleibt alles, wie beschrieben, nur dass du die Werte von C und S anpassen musst:

EN(C): 2,55
EN(S): 2,58

Diese Werte beruhen auf der sogenannten Pauling-Skala. Der geniale Chemiker Linus Pauling hat viele brauchbare Sachen in der Chemie untersucht. Von ihm stammt nicht nur die Einführung der Elektronegativität, sondern u.a. auch die Konzepte der Oxidationszahlen und der Hybridisierung. All das ist sehr nützlich, um bestimmte Sachverhalte zu deuten, zu verstehen und vorhersagbar zu machen.

Die Elektronegativität ist allerdings keine absolute Größe und damit auch nicht direkt messbar. Es ist ein relatives Maß, das heißt, dass die Werte nur im Vergleich miteinander ermittelt werden können. Dazu legte Pauling den Wert von Fluor willkürlich auf "4" fest (er hätte auch "10", "100", "1000" oder "67"... sagen können; frag mich nicht, wie er ausgerechnet auf "4" kam...). Danach wurden andere Bindungen zwischen den diversen Bindungspartnern mit Atombindungen des Fluors verglichen und so die Werte im Vergleich dazu (also relativ!) ermittelt.

Google doch einfach mal nach "Elektronegativität". Soweit ich mich erinnere, gibt es noch andere EN-Skalen. Die von Pauling, eine von Mulliken und eine von Rochow (glaube ich). Vielleicht gibt es mittlerweile noch mehr. Alle unterscheiden sich in ihren Werten leicht voneinander, eben weil die Elektronegativität keine messbare Atomeigenschaft ist.

Sorry nochmals für die Gedächtnislücke, aber es freut mich, dass du den "Kram" trotzdem endlich mal verstanden hast...

LG von der Waterkant.

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riiiiiiike 
Fragesteller
 28.01.2017, 13:02

Gar kein Problem, sowas kann vorkommen.
Liebe Grüße Rike

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DedeM  28.01.2017, 13:14
@riiiiiiike

So, hab jetzt selbst noch einmal nachgeschaut. Also: Es gibt die Pauling-Skala, nach der S (2,58) elektronegativer als C (2,55) ist. Nach der Mulliken-Skala ist jedoch C (2,67) elektronegativer als S (2,65).
Auch in der Alfred-Rochow-Skala (wie sie richtig heißt), ist C (2,5) elektronegativer als S (2,44).

Daher müsstest du nach Mulliken bzw. Alfred-Rochow dem Kohlenstoff das bindende Elektronenpaar vollständig zusprechen. Damit ändern sich zwar die Oxidationsstufen der Schwefelatome, aber am grundsätzlichen Sachverhalt ändert das allerdings nichts, weil sich dann folgendes ergibt:

S im Cystein hätte dann die OZ 0 (6 Elektronen nach der Zuteilung minus 6 Elektronen im atomaren Grundzustand macht 0 Elektronen).
Im Cystin hätte S dann eine OZ von +I (5 Elektronen nach der Zuteilung ist eins weniger als im atomaren Grundzustand, was einer Ladung von +1 entspricht).
Auch hier bleibt es dabei, dass die Vereinigung von zwei Cysteinmolekülen zu einem Cystin-Molekül einer Oxidation des Schwefels entspricht.

Aber immerhin, dann hättest du mit deinen in der Frage angegebenen Zahlen recht, sofern du meintest, dass der Schwefel im Cystein die OZ 0 und der im Cystin die OZ von +I hat...

Puh, schwere Geburt...

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riiiiiiike 
Fragesteller
 28.01.2017, 13:18

Das ist ja ziemlich kompliziert...wahrscheinlich wurde in meinen angegeben Lösungen das erstere verwendet. Danke fürs zusätzliche Nachschauen!

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riiiiiiike 
Fragesteller
 28.01.2017, 13:19

Hättest du eventuell Zeit mir eine weitere Frage zu Fetten zu beantworten? Das würde mir ziemlich helfen

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DedeM  28.01.2017, 13:23
@riiiiiiike

Na los... raus damit! (Ich hoffe, ich weiß das dann?!)

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riiiiiiike 
Fragesteller
 28.01.2017, 13:27

Die Frage ist: welche Produkte entstehen in welcher Quantität, wenn man 0,24 mol Tristearin über mehrere Stunden mit Kalilauge erhitzt? Ich weiß schonmal, dass das Ganze eine Verseifung ist und Glycerin und Kaliumstearat entsteht. Aber wie komme ich auf den Verbrauch von KOH und die Quantität der Produkte?

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riiiiiiike 
Fragesteller
 28.01.2017, 13:28

In den Lösungen steht, dass 0,73 mal KOH verbraucht wird und 0,24 mol Glycerin und 0,73 mol Kaliumstearat entstehen. Leider kann ich das nicht nachvollziehen.

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DedeM  28.01.2017, 14:04
@riiiiiiike

Okay...

Fangen wir damit an, was Tristearin ist. Das ist ein Triglycerid, das heißt, hier ist an einen Glycerin-Grundkörper dreimal Stearinsäure über eine Esterbrücke gebunden. Glycerin (Propan-1,2,3-triol) ist ein dreiwertiger Alkohol, das heißt, dass darin drei Hydroxygruppen (–OH) an die drei Kohlenstoffatome gebunden sind.
Stearinsäure ist eine gesättigte Fettsäure mit einer Carboxygruppe (–COOH) und einer 17 C-Atome umfassende Kohlenwasserstoffkette ohne Mehrfachbindungen.

Immer wenn eine alkoholische Hydroxygruppe mit einer Carbonsäuregruppe reagiert, kommt es unter Abspaltung von Wasser zu einer sogenannten Veresterung (Kondensationsreaktion).

Das heißt, dass Tristearin so aussieht:

H2C–O–C(=O)–C17H35
     I
 HC–O–C(=O)–C17H35
     I
H2C–O–C(=O)–C17H35

Die Umkehrung der Veresterung (die Esterspaltung) nennt man auch Verseifung, weil das besonders gut in Laugen funktioniert.
Dabei wird jede einzelne Esterbindung wieder gelöst, wobei die alkoholische Hydroxygruppe am Glycerin-Grundkörper und (theoretisch) die Carboxygruppe der Fettsäure zurück gebildet wird.

Pro Molekül Tristearin erhältst du also nach einer Verseifung ein Molekül Glycerin

H2C–OH
      I
  HC–OH
      I
H2C–OH

und drei Moleküle Stearinsäure

3 x HOOC–C17H35

Alles klar bis hierhin?

Gut! - Nun frag dich, wie viele Hydroxid-Ionen (OH^–) du benötigst, um die drei Esterbindungen so zu spalten, dass jede Carbonsäure-Gruppe wieder ihre OH-Gruppe bekommen kann?! - Eben: du brauchst drei Hydroxid-Ionen pro Tristearin-Molekül.

Für die vollständige Spaltung aller Esterbrücken von zwei Molekülen Tristearin bräuchtest du (2 • 3 =) 6 Hydroxid-Ionen, für zehn Moleküle Tristearin bräuchtest du (10 • 3 =) 30 Hydroxidionen und für 0,24 mol Tristearin brauchst du dann (0,24 • 3 =) 0,72 mol Hydroxid-Ionen. Da die Hydroxid-Ionen aus der Kalilauge stammen und die Formel der Kalilauge "KOH" lautet, benötigst du für die vollständige Verseifung von 0,24 mol Tristearin 0,72 mol Kalilauge.

Weil dabei pro Molekül Tristearin ein Molekül Glycerin entsteht, entstehen aus 0,24 mol Tristearin auch 0,24 mol Glycerin.

Und weil dabei pro Molekül Tristearin drei Moleküle Fettsäure entstehen, kommen (0,24 • 3 =) 0,72 mol Stearinsäure-Moleküle heraus.

Aber weil wir im alkalischen Milieu arbeiten (Kalilauge!), wird die gebildete Fettsäure in einer Neutralisationsreaktion sofort deprotoniert, so dass der Säurerest Stearat entsteht. Der verbindet sich mit den Kalium-Kationen und bildet Kaliumstearat.

Fazit:
Aus 0,24 mol Tristearin werden bei der vollständigen Verseifung in Kalilauge 0,72 mol Kaliumstearat und 0,24 mol Glycerin. Dabei werden 0,72 mol Kaliumhydroxid verbraucht.

Alles klar?

LG von der Waterkant.

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riiiiiiike 
Fragesteller
 28.01.2017, 14:18

Vielen vielen Dank! Das war eine super nachvollziehbare Erklärung.
Liebe Grüße Rike

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