Weshalb ist klassische Musik heutzutage nicht mehr so beliebt, und warum haben sich die neuen Musikrichtungen durchgesetzt?

11 Antworten

Hallo MasterV,

die Beantwortung Deiner Frage krankt vor allem daran, dass der Begriff "klassische Musik" überhaupt nicht mehr klar definiert ist.

Verstand (und versteht) man eigentlich darunter die verschiedenen Perioden der Kunstmusik der zweiten Hälfte des 18. und der ersten des 19. Jahrhunderts - die "Mannheimer Schule" mit den Komponisten Johann Stamitz, Chr. Cannabich, T.J. Toeschi u.v.a. und die "Wiener Klassik" mit den Komponisten Joseph Haydn, W.A. Mozart, L.v. Beethoven, Franz Schubert u.v.a. -, so ist der Begriff des "klassischen" inzwischen ausgedehnt auf die europäische Kunstmusik seit ihren Anfängen bis zur sogenannten "neuen Musik".

Ein solcher Umgang mit diesem Begriff, der im übrigen niemals von den dazugezählten Komponisten oder deren Zeitgenossen zu ihrer jeweiligen Zeit verwendet worden ist, sondern immer erst im Nachherein zugeschrieben worden ist, ist eigentlich absolut barbarisch, weil er die notwendige Differenzierung völlig unterschiedlicher Musiken nicht mehr erlaubt.

Für meinen Geschmack passiert etwas ähnliches mit den Begriffen "Popmusik" und "Weltmusik", zu denen absolut gegensätzliche Stile gezählt werden, die einfach nichts miteinander zu tun haben.

Wenn man also darüber spekulieren will, welche Musikrichtungen sich "durchgesetzt" haben - was ja gerade im Falle der Musik eigentlich ein absurdes Unterfangen ist, denn damit reduziert man Musik auf ein rein geschäftliches Kriterium -, dann sollte man wenigstens so viel Kenntnis aufbringen, nicht Äpfel mit Brillen oder Plastikbechern oder Fensterläden oder Autositze oder Planeten zu vergleichen.

Zu der Frage, was beliebt oder weniger beliebt ist, kann man zwei seltsam gegenläufige Tendenzen beobachten:

Einerseits hat die Möglichkeit Musik aufzuzeichnen - die ja noch nicht so schrecklich alt ist - dazu geführt, dass Musik jeder Weltgegend, jeder Geschichtsperiode, jeden Stils zugänglich geworden ist. Das war davor überhaupt nicht so. Einmal abgesehen von Tanz- und Volksmusik hat zu Beethovens Zeiten kein Mensch Barockmusik gespielt, da gab es nur "neue Musik". D.h. die Menge an unterschiedlichster Musik ist gewaltig angewachsen.

Gleichzeitig - und das ist sowohl eine Folge der Musikindustrie und der Massenmedien, als auch dem gleichzeitigen Rückgang an musikalischer Bildung - ist die Anzahl und stilistische Breite der Musikstücke, der der "Normalmensch" begegnet, immer weiter reduziert worden. Die meisten Radiosender kommen mit einer überaus begrenzten Anzahl an gespielten Musiktiteln aus. Von anderen Bereichen erfährt nur derjenige, der sich spezielle Kenntnisse aneignet, Konzerte besucht, u.U. dafür weit herumfährt usw.

So sind wir heute in einer Situation, dass die meisten Menschen etwas zufällig an einer bestimmten Richtung, die ihnen von der Musikindustrie penetrant unter die Ohren geschoben wird, hängen bleiben, und nicht wissen, was ihnen auf anderen Gebieten entgeht.

Auch Geschmacksurteile, wie "dissonanter hässlicher Quatsch", sagen ja weniger über die betroffene Musik selbst, als über denjenigen aus, der sie ausspricht.

Ignoranz ist die vorherrschende Haltung und man findet sie in allen Sparten!

Gruß Friedemann

Ich fand dazu die Erklärung schön,warum Techno entstanden ist.. Jemand sagte mal dazu,hören sie doch auf die Musik,so werden die jungen Leute heutzutage groß,der Lärm,schnelle Lebensrhythmus,das Geräusch der Maschinen..das ist die Reflektion ihrer Umwelt in Musik. Im Umkehrschluß,wer findet noch die Zeit für ein langes Konzert,eine langsam aufgebaute Dramaturgie,weitschweifige Passagen.. Es ist aus unserer Welt gefallen. Sich lange damit zu beschäftigen,Zeit zu haben.. Heute fängt man mit Entschleunigen an,weil es vielen zu schnell geht.. Auch bei Filmen,Grusel z. B.,der sich langsam aufbauende Exorzist,dagegen die modernen Sachen mit schnellen Schrecksequenzen,die "das Tempo hochhalten".. Vielleicht kommt ja mal die Renaissance des Sich-Zeit-Nehmens..

Erst durch die neuen Musikrichtungen wurde doch Klassik so richtig bekannt. Wer würde denn Beethoven kennen, wenn nicht Chuck Berry in den 50ern den Titel Roll over Beethoven geschrieben hätte? ;-)

Da hat sich gar nichts durchgesetzt. Klassische Musik war nie die beliebteste Musik (also in den letzten 100 Jahren, vorher ist die Bezeichnung sinnlos).

Dass heute nicht jeder Klassik hört mag auch daran liegen, dass der Bereich sich mit der neuen Musik totgelaufen hat und die Entwicklung zu einem Stillstand gekommen ist. Es gibt nichts mehr neues.

Das Publikum für neue Musik ist wesentlich kleiner als für altes klassisches Repertoire. Dieser dissonante hässliche Quatsch interessiert kaum jemand. Dafür boomt die "rückwärtsgewandte" alte Musik, also Musik, die wegen ihres Alters schon aus dem Repertoire verschwunden war, weil es da "neues" altes, verschüttetes zu entdecken gibt und es sich dabei um menschliche, hörbare Musik handelt.

Es hat sich alles aufgesplittert. Der Mainstream wird dünner.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – in der Schule haben wir Lieder gesungen (z.B. über Ponys)
TheStone  22.06.2016, 23:36

"(also in den letzten 100 Jahren, vorher ist die Bezeichnung sinnlos)" umgekehrt...


"Dieser dissonante hässliche Quatsch interessiert kaum jemand. " Nicht alles, was dich nicht interessiert ist "hässlicher Quatsch".


"Dass heute nicht jeder Klassik hört mag auch daran liegen, dass der Bereich sich mit der neuen Musik totgelaufen hat und die Entwicklung zu einem Stillstand gekommen ist." In welchem Bereich gibt's denn deiner Meinung nach mehr Entwicklung? (und musikalische Klischees durchzukauen ist keine Entwicklung.)

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Grobbeldopp  22.06.2016, 23:39
@TheStone

Es gibt nirgendwo mehr Entwicklung. Ích bin nicht der Meinung, dass klassische Musik minderwertig sei oder so. Sie hat nur ihr Primat als die "große Linie" der sich logisch fortentwickelnden westlichen Kunstmusik verloren. Deshalb existiert heute alles gleichzeitig.

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Klassische Musik war eigentlichschon zu der Entstehungszeit ein Happening für die Elite. Also so ähnlich, wie das heutzutage auch mit dieser Musik gehandhabt wird...

Das gros der Bevölkerung hat Volksmusik gehört. Also gewissermaßen Popmusik so, wie das heute auch ist.

Allerdings find ich das schon durchaus interessant, dass man sich offenbar als gebildet profilieren kann, in dem man die Kultur von vor 200 Jahren in den Himmel lobt...