Was tun gegen zwanghaften Perfektionismus?

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Hallo ngu89, ich grüße dich.

Beispiel: Hans hat das gleiche Auto wie du. Beide Autos stehen nebeneinander auf einem Parkplatz. Hermann kommt vorbei und sieht beide. Er erkennt das Auto von Hans und deines sofort. Hans Auto ist normal verschmutzt und deines ist sauberst.

Was folgt aus diesem Beispiel über den Perfektionismus? Dass es eine Zurückhaltung der eigenen Individualität ist. Es ist das Nichtzeigen von Ich, von "Ich bin". Es ist das zurückhalten der eigenen Person, der eigenen Persönlichkeit, des eigenen Seins. Es ist das Verstecken hinter einem oder durch einen einwandfreien Zustand. Wobei der Begriff "einwand-frei" schon bezeichnend ist.

Ergebnis: Arbeite nicht gegen die Perfektion, sondern prüfe deine Stellung zur Welt, deine Stellung zu deiner Umwelt und prüfe Dich selbst. Ob mit oder ohne Hilfe ist gleich gültig. Es sollte nur eine Änderung erfolgen.

Ich grüße Dich und bleib gesund.

Vor 1 Jahr war es dir völlig egal, wie es in der Wohnung aussieht. Jetzt hast du das Gegenteil als Problem. Ich nehme an, dass dieses zwanghafte Verhalten dir Sicherheit gibt, auch wenn es glz. belastet.
Die Frage ist, mit was würdest du dich beschäftigen, wenn du entspannter wärst und mehr Zeit hättest?
Besser wäre es, wenn du eine psychotherapeutische Hilfe suchst und deine Themen bearbeitest. Bei Zwangsstörungen ist je früher desto besser, da sie sich üblicherweise verstärkt und auf andere Lebensbereiche ausweitet.

Versuchst du womöglich etwas ganz anderes zu verdrängen? Vielleicht ist dein Kontrolle- und Ordnungszwang eine Art "Lückenfüller", um eine wichtige Tätigkeit oder Entscheidung immer weiter aufzuschieben. 

Wenn ich etwas sehr Wichtiges zu Erledigen habe, aber gerade überhaupt nicht die Muße habe, mich damit ernsthaft auseinanderzusetzen, beginne ich auf diverse unwichtige Dinge furchtbar neurotisch zu reagieren. Dann putze ich plötzlich die Fenster, beziehe alle Kissen und Decken neu und beginne einen Kampf mit jedem Staubkorn im Haus. Vielleicht ist es bei dir ähnlich? 

Natürlich möchte man eine gepflegte Umgebung. Das Auto möglichst sauber halten zu wollen, ist auch erstmal keine bedenkenswerte Ambition. Tatsächlich sind die meisten Leute nicht besonders ordnungsbewusst, so dass du dir im Vergleich vielleicht auch viel neurotischer vorkommst, als du eigentlich bist. Achte einfach darauf, dass du dich nicht verzettelst und setze dir Ziele. Fange nicht an, den ganzen Tag wahllos und hysterisch aufzuräumen, sondern setze dir zum Ziel, dass du jetzt aufräumst – aber wenn das getan ist, ist's auch gut. Dann hast du dein Ziel erreicht und kannst einen Punkt auf deiner To-Do-Liste abhaken. Das ist sicher befriedigender als panisch allen Aufgaben gleichzeitig hinterherzurennen. 

Außerdem solltest du womöglich deine ästhetische Vorstellung hinterfragen. Ordnung und Sauberkeit sind durchaus wünschenswert. Aber ist es wirklich schön, wenn alles immer blitzblank ist und akkurat an seinem Platz steht? Oder ist es einfach nur richtig? Du wirst doch sicher selber zugeben, dass einige Dinge erst durch Gebrauchsspuren ihren persönlichen Charme bekommen. Ein liebevoll verwüstetes Haus mit charmantem Schnickschnack ist allemal persönlicher und schöner als ein steriles Apartment im Hotelcharakter. Ordnung ist bis zu einem gewissen Maß praktisch und hilfreich, aber ästhetisch gesehen nicht besonders schön oder persönlich. 

Grüß Dich ngu89!

Ich kenne Dich nicht, aber häufig tritt diesen Phänomen auf, wenn anderswo ein psychologisches Defizit aufgetreten ist. Der übertriebene Perfektionismus sagt aus, das etwas ständig in Ordung gehalten werden muss, damit die eigene Sicherheit nicht verloren geht. Oft steht das im Zusammenhang mit Unerfülltheit eigener Bedürfnisse. In Wirklichkeit ist es aber so, dass dieser Kompensationsmechanismus auf Dauer die eigene Unsicherheit nicht wegzaubert, wenn das ursächliche Problem nicht erkannt worden ist. Die Frage die sich mir stellt, aber nur Du beantworten kannst ist: besteht bei Dir eine Situation, von der Du glaubst, das sie Dich verunsichert oder gar schon psychisch beeinträchtigt hat? Und weißt Du auch was der Auslöser für Deinen Perfektionismus sein könnte, wenn Du die Frage nach der Unsicherheit bejahen kannst?

Etwas anderes fällt mir nicht ein, aber ich halte diese Analyse momentan am Wahrscheinlichsten.

Besten Gruß

Rüdiger

Ich hab jetzt nur die hilfreichste Antwort gelesen und die ist in der Tat sehr gut. Weshalb stellst du die Frage also erneut? War die Antwort doch nicht perfekt genug? ;) Späßchen gemacht :)

Ich geb dir noch einen praktischen Tipp: Gewöhne dir an, Fehler zu machen und tu das bewusst und lass die Fehler so stehen.

Habe kürzlich ein Katzenschutznetz montiert und in der einen Ecke entstand ein Knödel, weil man nach unten hin immer mehr Netz wegen des Blumenkastens brauchte. Theoretisch hatte ich das super gelöst, ohne Knödel, aber mein Helfer hat geschlampt und ich hab nicht aufgepasst. Erst als er weg war, fiel mir das auf. Und ich begann, oben zu schnippeln, um den Knödel wegzubekommen. So leicht ging das aber nicht, schwitz, schwitz. Weißt was ich dann gedacht hab? Das Netz bleibt jetzt so, mit Knödel. Niemand wird da jemals hinschauen außer mir, wenn überhaupt. Und wenn, dann ist es die perfekte Therapie, Unvollkommenes anzuerkennen. Das Netz tut seinen Dienst und das genügt.

Es ist gut, das neu buchstabieren zu lernen, dieses das genügt.

Liebe Grüße und einen entspannten Sommer!