Was für Fragestellungen kommen euch zum Thema ''Unterstützte Kommunikation'' in den Sinn?

4 Antworten

Es ist eine schöne Vorstellung, Menschen die Möglichkeit zu geben, sich über ein Tablet etc. zu äußern und ihre Wünsche zu übermitteln, Bedürfnisse auszudrücken und auch ihre Vorstellung vom Leben zu erfahren.

Ich habe in den Jahren meiner Berufstätigkeit erlebt, wie kognitiv schwache, sehr eingeschränke Menschen an diese Möglichkeit herangeführt werden und sich "selbst" zu Wort melden.

Ich habe Erzieher gesehen, die diese Menschen führten und manipulierten und jubelten über Sachverhalte, die ich nicht glauben oder dem "Schreiber" zuordnen konnte.

Es mag tatsächlich in einigen Fällen gelingen und wir dadurch die Lebensqualität eines anderen verbessern. Aber in vielen Fällen ist es das Sprachrohr dessen, der die Hand führt und keinesfalls eine wirkliche Gefühlsäußerung oder Bedarfsübermittlung.

Guten Morgen, lass dir doch da vom Personal helfen, die wissen eine Menge über sowas, lieben Gruß

Bildkärtchen anfertigen für Alltagssituationen, wie zum Beispiel, ich möchte spazieren gehen, Musik hören, schlafen etc.

Unterstützte Kommunikation ist, wie ich finde, ein zweischneidiges Schwert. Oft nützt es dem Gegenüber mehr als dem Nutzer selbst. Der einfach mechanisch Kombinationen lernt, aber selten ein Verständnis dafür entwickelt. Es macht quasi den Ablauf für die Angehörigen und Erzieher/ Pädagogen/ Pfleger leichter (was auch erst mal in Ordnung ist, also bitte nicht falsch verstehen). Birgt aber die Gefahr, dass man sich nicht mehr mit der individuellen Kommunikation des Betreffenden auseinandersetzt. Der kann sich dann wiederum nur noch so verständlich machen, wie es ihm vom Umfeld "programmiert" wurde.

Es nützt also schlussendlich nur jenen, die auch ein Verständnis für Bilder haben, also dennoch im gewissen Grade abstrakt denken können. Das gilt es gut abzuwägen. Der richtigen Person, mit den entsprechenden Voraussetzungen, kann es also durchaus sehr viel Nutzen bringen und den Alltag erleichtern.

Leichte Sprache ebenso. Als Beispiel das Vater Unser.

"VATER UNSER

Unser Vater! Du bist im Himmel.

Dein Name soll groß sein. Bekannt bei allen Menschen.

Dein Reich soll kommen. Dann bist du König über alles.

Im Himmel. Und auf der Erde.

Was du willst, ist wichtig. Wichtiger als alles andere.

Bitte mach, dass es passiert.

Gib uns genug zum Essen und Trinken für jeden Tag.

Uns und allen Menschen.

Verzeih uns. Wir haben Böses getan. Andere haben auch uns Böses getan. Wir wollen ihnen verzeihen.

Halt uns fest in deiner Nähe. Rette uns von dem Bösen.

Vor bösen Menschen und bösen Gedanken. Wir brauchen dich.

Du allein bist mächtig. Du allein hast große Kraft.

Du allein bist wunderbar. Für immer. Amen."

Ich arbeite in einer Diakonie und die Gedanken dahinter sind gut gemeint. Aber die meisten unserer Bewohner verstehen das Vater Unser auch in leichter Sprache nicht. Aber das Original war für sie immer ein wichtiges Ritual in den Hausgottesdiensten, bei dem sie sogar "mitsprechen" konnten. Das hat man ihnen mit der Änderung in leichte Sprache genommen.

Es ist eben wie immer ein Abwägen. Gut gemeint ist eben nicht immer gut getan. In manchen Bereichen, vor allem in neuen Situationen für den Betroffenen, wie eine neue Wohngruppe, eine neue Arbeitsstelle, etc., ist das Einführen neuer sprachlicher und bildhafter Sprache vielleicht nützlich und erfolgversprechend, entsprechend der kognitiven Fähigkeiten, weil sich noch keine Gewohnheiten etablieren konnten. Da es von Anfang an von der Person auch so erlernt werden kann. Aber einfach so im Alltag die Kommunikation ändern, nimmt den Betreffenden ihre gewohnheitsmäßigen Sicherheiten.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Sozialwesen, Betreuung, Autismus, Gesundheitssektor
verreisterNutzer  08.09.2020, 11:01

Hallo Amanda, erstmal danke für deine ausführliche Antwort! Ich werde das sicher im Hinterkopf behalten bei meiner Auseinandersetzung mit der Themenwahl. Wäre es möglich auf dich zurück zu kommen? Ich finde es sehr interessant was du erzählt hast und leider ist bei meinem Praktikum keiner so wirklich zuständig für mich bzw. hat Zeit und es wäre toll, mit jemandem zu schreiben, der auch aus diesem Berufsfeld kommt. Liebe Grüsse

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