was bedeutet das Vater unser?

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Lieber Herr Hauer,

in meinem kürzlich herausgekommenen Buch "Die Bach-Blüten in Bildern der Bibel" habe ich auf den Seiten 91ff. das Vaterunser als "betrachtendes Gebet" dargestellt, welches ich Ihnen hierher kopiere. Vielleicht hilft Ihnen das zu einem erweiterten Verständnis.

Das Vaterunser

Ich möchte abschließend auf das Vaterunser zu sprechen kommen als dem Gebet, welches uns von Gott selbst durch Jesus Christus gegeben worden ist. Es eignet sich gut als Abschluss der Andacht, da es unseren Glauben und unsere wesentlichen Anliegen mit wenigen Worten auf einen Punkt bringt. Leider verliert dieses Gebet einiges von der ihm innewohnenden Kraft, wenn es im Rahmen liturgischer Handlungen oder als „Bußübung“ mehrfach hintereinander heruntergeleiert wird. Dabei wäre jede einzelne der in ihm enthaltenen Anrufe und Bitten wert, genauer betrachtet zu werden, um ihre ganze Tiefe zu erfassen. Das Vaterunser als „betrachtendes“ Gebet könnte folgendermaßen aussehen (wobei die von mir gewählten Formulierungen nur als Anregungen aufzufassen sind und es jedem freisteht, die für ihn selbst gültigen Worte im eigenen Innern aufsteigen zu lassen).

„Vater unser“: Ich stehe vor Dir als Dein Kind und sehne mich nach Deiner Nähe, Deiner Liebe und Kraft. So wie Du für mich da bist, möchte ich auch für Dich da sein. Ich danke Dir, dass Du Deinen Segen über mich und all meine Mitgeschöpfe, Menschen, Pflanzen und Tiere ausbreitest und für uns sorgst.

„im Himmel“: Wenn ich hier zu Dir spreche, so weiß ich, dass Du im Himmel mich hörst, dass der Himmel mir so nahe ist, dass ihn meine Gedanken und Worte erreichen. Ich mache mir bewusst, dass der „Himmel“ überall ist, wo Du bist, dass die ganze Welt von ihm durchdrungen und umfangen ist.

„Geheiligt werde Dein Name“: In Deinem Namen sind Anfang und Ende, die ganze Schöpfung enthalten, von ihm geht alles aus in die Fülle und Vielfältigkeit der Welt und kehrt zurück in Deinen Ewigen Frieden. Darum will ich ihn ehren, vor Mißbrauch schützen und heilig halten.

„Dein Reich komme“: Wo Du ungehindert wirken kannst und Menschen sich nach Dir und Deinem Willen ausrichten, wird alles Zerstreute und Zerrissene wieder gesammelt und vereint, heilen Wunden und Verletzungen, kehren Ruhe, Harmonie und Frieden ein. Hilf mir, dass Deine Kraft und Liebe mich so erfüllen, dass ich sie in meine Umgebung und mein Leben weiterleiten kann.

„Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden“: Durch Deinen Willen und Dein Wort wurde die Schöpfung, wurde auch ich geschaffen, und Dein Wille bewahrt über allem Erschaffenen die Ordnung, in der jedes Geschöpf leben und gedeihen kann. Hilf mir zu erkennen, dass alles, was Deinem Willen entspringt, gut ist und Deiner Schöpfung und ihren Geschöpfen dient. Hilf mir, den Sinn meines eigenen Lebens und meinen Platz in dieser Welt zu erkennen, damit ich zur vollen Erfüllung all dessen gelange, wozu Du mich bestimmt hast.

„Unser tägliches Brot gib uns heute“: Aus Deiner Hand empfange ich alles, was ich zum Leben brauche: Dein Wort, Deine Kraft und Liebe, Essen und Trinken, Freunde, Familie, Erlebnisse, Aufgaben, ein Zuhause und vieles mehr. Dazu können auch bittere, leidvolle Erfahrungen gehören. Selbst wenn ich Dich nicht ausdrücklich darum bitte, gibst Du doch mir und allen anderen Lebewesen täglich aufs neue, was wir brauchen. Und wenn ich darum bitte, es heute von Dir zu bekommen, so deswegen, weil Du heute, jetzt im Augenblick, für mich gegenwärtig bist und ich alles von Dir erhoffe. Hilf mir, dass ich offen dafür bin, auch das aus Deiner Hand entgegenzunehmen, was mir nicht so gut gefällt und mir Leiden verursacht; gib mir die Kraft, es zu tragen und zu bewältigen.

„Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“: Ich weiß, dass ich nicht verhindern kann, falsche Entscheidungen zu treffen und anderen Schaden zuzufügen. Oft bin ich unsicher und unguten Gefühlen ausgeliefert, wie Angst, Zorn, Traurigkeit, Herrsch- oder Kritiksucht und Zaghaftigkeit, die dann mein Handeln bestimmen und zur Folge haben, dass ich anderen weh tue oder Dinge unterlasse, die ich eigentlich tun müsste. Du kennst meine Schwächen, und dadurch, dass ich sie vor Dich bringe und mich dazu bekenne, nimmst Du mir diese Last ab. Lehre mich, anderen Menschen genauso verständnisvoll und liebevoll zu begegnen wie Du mir und ihnen ihre Schwächen in gleicher Weise zu vergeben. Schütze mich davor, dass ich mich für besser halte als andere.

„Und führe uns nicht in Versuchung“: Schütze mich davor, dass ich im Glaubenseifer über das Ziel hinausschieße, überheblich werde und andere in deinem Namen überrolle oder in Bedrängnis bringe.

„Sondern erlöse uns von dem Bösen“: Die Schliche des Satans, des Bösen, sind meist so verborgen, dass ich sie oft nicht erkenne und immer wieder darauf hereinfalle. Ständig, das ganze Leben hindurch, bin ich ihnen ausgesetzt, so dass es immer wieder meine Kräfte überfordert. Stehe Du mir in diesem Kampf bei und beschützte mich; lass mich spüren, dass keine Macht des Satans etwas ausrichten kann, wenn ich mich nur an Dich halte. Allein Du kannst mich aus diesen Verstrickungen des Bösen erlösen.

„Denn Dein ist das Reich, und die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit“: Ja, Du allein bist Gott, der Höchste; Alles ist Dir möglich, und aus Deiner Hand empfange ich die Fülle des Lebens. Wenn ich in Deiner Nähe bin und Deine Liebe und Kraft mich durchströmen, erfahre ich Hilfe in Sorgen, Problemen und Krankheit. In Deinem Schutz und Deiner Führung möchte ich bleiben, und nichts soll mich von Dir trennen. In der Gemeinschaft mit Dir wird für mich Ewigkeit spürbar.

„Amen“: Dazu stehe ich mit meinem ganzen Herzen.

Mit herzlichen Grüßen, Ihr Hans Peter Kjer

Hauer20 
Fragesteller
 01.06.2010, 13:21

Hans Peter Kjer: „Denn Dein ist das Reich, und die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit. Das ist aber ein Zusatz der nicht von Jesus gelehrt wurde?

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Das Vaterunser, diese wunderbare Wiedergabe der sieben-gliedrigen Weltgesetzlichkeit, ist eine Meditation von großer Bedeutung, die manche Schüler täglich vornehmen. Mir ist einer derjenigen, die wir nennen die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen, bekannt, der sagte: Ich nehme das Vaterunser nur einmal im Monat als Meditation; die übrige Zeit versuche ich, mich reif und würdig zu machen, auch nur in einen Satz dieser wunderbaren Meditation mich vertiefen zu dürfen. - So muß man sich geistig einer Meditation gegenüberstellen, daß man sich würdig machen will, sie verwenden zu dürfen.

 (von Dr. Rudolf Steiner, aus>:GA 266-2 Seite 20)

"Denn dein ist die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit" ist eine spätere Hinzufügung, die keine eigene Aussage darstellt, die ich als einen angefügten Lobpreis Gottes aber durchaus im Sinne Jesu empfinde. Gruß, HPK