Warum haben die Juden nicht einfach gelogen über ihre Religion?

17 Antworten

Die Hypothese, die deiner Frage zugrunde liegt, ist falsch.

Ja, manche Juden haben ihre Identität gefälscht und falsche Papiere erworben, oder einfach behauptet, sie seien nicht jüdisch. Manche konnten sich so sogar retten.

In anderen Fällen nützte es nichts, und die Deutschen haben sie trotzdem als Juden identifiziert, deportiert und ermordet. Oder sofort ermordet.

In Holland haben sich ca. 30'000 Juden versteckt. Leider wurden über 20'000 von ihnen entdeckt und ermordet. Insofern ist der Fall von Anne Frank leider eher typisch für Holland.

Kitty Hart Moxxon und ihre Mutter (aus Polen) hatten falsche Papiere, aber sie wurden trotzdem als jüdisch identifiziert und nach Auschwitz deportiert. (siehe ihre Geschichte on USC Shoah Foundation auf Youtube oder ihr Buch)

Baruch Bergmann hatte in Polen eine falsche Identität und wurde trotzdem als jüdisch identifiziert (siehe "Baruch Bergman" auf Youtube)

Saly Perel aus Braunschweig konnte sich mit falscher Identität durchschlagen (siehe "Hitlerjunge Salomon")

Familie Senger aus Frankfurt konnte sich als nichtjüdisch durchschlagen (siehe "Kaiserhofstrasse 12" von Valentin Senger)

Cioma Schönhaus konnte sich verstecken und dann mit falscher Identität in die Schweiz fliehen (siehe "Der Passfälscher" von Cioma Schönhaus).

Eine Zirkus-Künstlerin konnte sich bei einem Zirkus durchschlagen (siehe "Die Zirkusprinzessin")

Edith Hahn Beer aus Wien konnte überleben, indem sie behauptete, sie sei nicht jüdisch. Siehe "The Nazi officer's wife" auf Youtube.

Insgesamt konnten in Deutschland ca. 5000 Juden versteckt überleben. Von über 500'000 Juden 1933 und über 200'000 die nicht geflohen waren. Die Überlebenschancen waren also nicht besonders gut. Flucht war besser.

Joseph Joffo und sein Bruder (aus Paris) konnten die Deutschen davon überzeugen, dass sie nicht jüdisch waren (siehe "Ein Sack Murmeln", von Joseph Joffo, Buch oder Film)

Hans-Helmut Michel, Jacques Halpern, et Maurice Schlosser waren in einer Klosterschule in Frankreich als nichtjüdisch versteckt. Leider bewahrte sie das nicht vor Deportation und Ermordung. Siehe den Film "Auf Wiedersehen, Kinder" von Louis Malle.

Ja, die Deutschen gingen sogar in Klöster, um dort jüdische Kinder ausfindig zu machen und dann zu ermorden.

Das zeigt, dass die Deutschen eine riesige kriminelle Energie aufwendeten, um möglichst alle Juden zu identifizieren und zu ermorden.

Sie zwangen Juden, sich als jüdisch registrieren zu lassen und drohten denen, die es nicht machten, mit drakonischen Strafen.

Sie verfügten über Melderegister, wo die Religion vermerkt war und über die Mitgliedskarteien der jüdischen Gemeinden, die sie konfiszierten.

Sie führten ständig Kontrollen durch, überall im Land und in den Gebieten, die sie besetzt hatten.

Sie identifizierten jüdische Männer als jüdisch indem sie überprüften, ob sie beschnitten waren. Ja, sie befahlen Männern einfach, die Hose runter zu lassen.

In machen Ländern, z.B. Polen, sprachen viele Juden eine andere Sprache (Jiddisch) als der Rest der Bevölkerung und hatten daher einen Akzent, aufgrund dessen sie identifiziertbar waren.

Vor allem aber konnten die Deutschen überall auf Spitzel und Denunzianten zählen, die Juden verrieten.

Und man kann sagen, dass es einen Zusammenhang gab zwischen der Solidarität unter der Bevölkerung und lokaler Polizei und der Überlebensrate von Juden.

Ja, so war es damals.

Aber es gab auch viele Juden, die aus verschiedenen Gründen nicht bereit waren, ihre jüdische Identität aufzugeben.

Ein Überlebender von Auschwitz hat mir gesagt, dass er es schlimmer gefunden hätte, sich alleine unter falscher Identität durchzuschlagen, als das, was er erlebt hat.

tanztrainer1  14.07.2022, 01:42

Es mussten ja auch manche deutschen Männer aus medizinischen Gründen beschnitten. Die erhielten darüber ein ärztliches Attest.

Nicht jeder Jude hatte einen Namen, mit dem er sofort als Jude identifiziert werden konnte, oder irgendwelche falschen Papiere. Hilfreich war in dem Zusammenhang der Postausweis. Dann brauchten sie auch noch ein Attest wegen der Beschneidung, was gegen Geld wohl auch kein Problem war.

Es gab auch welche, bei denen man bezüglich ihres Aussehens erst gar nicht auf die Idee kam, dass sie Juden sein könnten. (Mein Großvater war groß und blond. Die Leute in seinem Heimatdorf wussten wohl, dass er Jude war, sie hielten aber die Klappe. Und in der Großstadt, in der er später lebte, hatte man keine Ahnung.

Übrigens ist das Buch "Der Passfälscher" von Cioma Schönhaus sehr zu empfehlen.

1
Freaking0ut  14.07.2022, 20:36
@tanztrainer1

Danke für die Korrektur bezüglich Cioma Schönhaus

Mit den übrigen Informationen kann ich nicht wirklich etwas anfangen.

Vielleicht wäre es besser, eine eigene Antwort zu verfassen, damit diese Infos direkt an den fragesteller gehen (für Kommentare zu Antworten bekommt der Fragesteller keine Meldung).

0
tanztrainer1  14.07.2022, 22:30
@Freaking0ut

Teilweise haben wir halt in der Familie neben griechischen und italienischen, auch jüdische Wurzeln.

Google mal nach dem Postausweis, das war nämlich die günstigste Variante, an "saubere" Papiere zu kommen.

Und wenn es Dich interessiert, wie man als Jude überleben konnte, noch ein paar interessante Literaturhinweise:

Michael Degen: "Nicht Alle waren Mörder"

Inge Deutschkron: "Ich trug den gelben Stern". Sie beschreibt zum Beispiel auch, wie sie und ihre Mutter durch einen genialen Trick zu "sauberen Papieren" kamen. (Kapitel Flüchtlinge aus Guben)

1
Freaking0ut  14.07.2022, 23:49
@tanztrainer1

Wie gesagt: schreibe diese Infos als Antwort an den fragesteller, er wird dir dafür sicher sehr dankbar sein.

Als KOmmentar unter meiner Antwort sind sie nicht am richtigen Platz.

0

Weil ihnen das nichts gebracht hätte. Es gab viele Juden, die, bevor die Verfolgungen begannen, Christen wurden. Doch das wurde von den Nazis nicht akzeptiert. Auch diese Christen wurden in die Vernichtungslager deportiert.

Sonst gab es genug Hinweise darüber, wer Jude war und wer nicht.

Die erste Frage ist relativ leicht zu beantworten, wofür deutsche Bürokratie binnen Jahrhunderten sorgte. Es gab im Mittelalter jüdische Wohnbezirke, Ghettos etc., deren Bewohner genau verzeichnet waren – sofern sie nicht gleich durch äußerliche Kennzeichen („Juden-Hut“) als Juden ausgewiesen waren. Es gab anti-jüdische Gesetze und Bestimmungen, die sich auf eine quantitativ genau umgrenzte Menschengruppe bezogen. Es gab später jüdische Gemeinden, Vereine, Verbände, Abonnenten jüdischer Zeitungen etc., was sich natürlich in entsprechenden Listen wiederfand.
Es gab Taufregister von Konvertiten, Namensregister von Juden, die von Behörden einen Namen zugewiesen bekamen – wenn sie viel Geld bezahlten, einen „schönen“ Namen, wenn sie nichts zahlen konnten, einen weniger schönen. Es gab Steuerlisten, da Juden mit Sondersteuern belegt wurden. In den Armeen wurden die Konfessionen der Soldaten genauestens verzeichnet. Es gab Polizei-Akten, da Deutschland als „Durchgangsland“ für osteuropäische Juden galt.
https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/wer-war-eigentlich-jude/

Bei den Männern und Knaben kam das körperliche Merkmal, die Beschneidung, dazu. Oft wurde gezielt danach gesucht. Das hat dazu geführt, dass irrtümlich auf den Eroberungsfeldzügen auch zu Tausenden Muslime umgebracht wurden.

tanztrainer1  28.12.2023, 00:20

Es gibt doch auch Männer, die aus medizinischen Gründen beschnitten werden mussten. Die bekamen dann vom Arzt eine entsprechende Bescheinigung.

Aber es wurden manchmal auch solche Männer umgebracht.

Für relativ viel Geld konnte man sich von einem Arzt auch eine "geschönte" Bescheinigung ausstellen lassen.

Das führte aber dazu, dass auch jüdische Familien ihre Söhne nicht mehr beschneiden ließen.

0

Schon damals gab es Einwohnerregister in denen auch die Religion erfasst wurde.

Weil sie als Juden registriert waren.