War Sokrates für oder gegen die Demokratie?

3 Antworten

Sokrates ist im Prozeß 399 v. Chr. wegen Religionsfrevels angeklagt und verurteilt worden. Die Anklage erhob gegen Sokrates den Vorwurf, nicht an die Götter/Gottheiten zu glauben, an die der Staat der Athener glaubt (zu denen z. B. Athene gehörte, als Schutzgöttin Athens besonders wichtig), und neue Gottheiten/göttliche Wesen einzuführen. Bei neuen Gottheiten/göttlichen Wesen ist anscheinend das Daimonion (δαιμόνιον), eine von Sokrates auf einen göttlichen Ursprung zurückgeführte innere Stimme, ein Hintergrund für eine Verdächtigung. Ein Vorwurf wegen Verderbens der Jugend schließt vermutlich die Meinung ein, Sokrates habe religionsfrevlerischen Lehren unter den Jugendlichen verbreitet.

Sokrates ist ein gesetzestreuer Bürger Athens gewesen. Er hat seine Bürgerpflichten erfüllt. Bekannt ist eine Teilnahme an drei Feldzügen und eine Zugehörigkeit aufgrund des Losverfahrens zum Rat der 500 im Jahr 406 v. Chr., wobei er während des Arginusenprozesses ein Prytane (Mitglied des geschäfstführenden Ausschusses des Rates) war und sich gegen ein gesetzwidriges Verfahren ausgesprochen hat. Eine Tyrannis hat Sokrates sicherlich abgelehnt. Nach seiner Auffassung war eine Sorge für seine Seele wichtig und Unrecht durfte nicht begangen werden. Daher war Unrechtleiden für ihn einem Unrechttun vorzuziehen.

Der genaue politische Standpunkt, den Sokrates hatte, ist nicht überliefert. Wenn in Schriften von Sokrates-Schülern ein Sokrates zu dem Thema Aussagen vorträgt, ist diese literarische Figur nicht mit dem echten historischen Sokrates gleichzusetzen. Der Sokrates-Schüler Platon war ein Gegner der Demokratie, der Sokrates-Schüler Xenophon hat zeitweise einen oligarchischen Umsturz mitgetrage und hatte zumindest starke Vorbehalte gegen die athenische Demokratie, hatte Sympathien für Sparta, in einigen seiner Schriften gibt er eine wohlwollende Darstellung einer gemäßigten Alleinherrschaft. Eine Gegnerschaft des Sokrates zur Demokratie ist dagegen nicht belegt. Vermutlich hat er die Demokratie bejaht oder akzeptiert, ohne die die Zustände in ihr in jeder Hinsicht für ideal zu halten. Sokrates hat vielleicht (wenn ihm zugeschriebene Aussagen ihn richtig wiedergeben) mehr Sachverstand bzw. passende Fähigkeiten für Leute in leitenden Stellungen für wünschenswert gehalten und in dieser Hinsicht zum Losverfahren bzw. zu Wahlergebnissen kritische Bemerkungen geäußert. Dies kann aber auch eine Kritik eines grundsätzlichen Befürworters einer Demokratie sein, der auf Kompetenz bei den Leuten Wert legt.

Prozeß und Todesurteil

Der gefährliche Anklagegrund (ein angebliches Unrecht in Bezug auf das Verhältnis zu Gottheiten des Staates), bei dem ein Schuldspruch des Gerichts bis hin zu einem Todesurteil gehen konnte, heißt Asebie (ἀσέβεια [asebeia] = Gottlosigkeit, Religionsfrevel, Unfrömmigkeit, Verletzung der Ehrfurcht gegenüber Gottheiten).

Die Anklagepunkte waren (vgl. zu den Anklagevorwürfen Platon, Apologie 24 b und 26 b; Platon, Eutyphron 3 b; Xenophon, Apomnemoneumata (Ἀποµνηµονεύματα; Erinnerungen an Sokrates; lateinischer Titel: Memorabilia) 1, 1, 1; Xenophon, Apologie 10; Diogenes Laertios 2, 40):

1) Sokrates glaubt nicht an die Götter/Gottheiten, an die der Staat/die Polis (πόλις) der Athener glaubt.

2) Sokrates führt neue Gottheiten/göttliche Wesen ein.

3) Sokrates verdirbt die Jugend.

Im Fall des Sokrates ist die besondere Situation in dieser Zeit und das davon geprägte politische, gesellschaftliche und geistige Klima ein gewichtiger Umstand. Gegen Sokrates hat es in einem von unglücklichen Ereignissen geprägten politischen Klima eine Anklage wegen Asebie (ἀσέβεια [asebeia]; Gottlosigkeit/Religionsfrevel) gegeben und seine Verurteilung zum Tod kann als Fehlurteil eingeschätzt werden.

Athen hatte eine Niederlage im peloponnesischen Krieg (431 – 404 n. Chr.) erlitten, dann einen Umsturz der Verfassung (Abschaffung der Demokratie) mit einer Schreckensherrschaft radikaler Oligarchen 404 – 403 n. Chr. (die sogenannten 30 Tyrannen), eine Spaltung des Staates der Athener in Athen und Eleusis (als Machtbereich der Oligarchen) mit einem damit verbundenen Gefühl des Bedrohtseins bis zum Sieg über die Oligarchen und der Wiedereingliederung im Jahr 400 v. Chr.

Dies hatte bei vielen Athenern eine starke Erschütterung und tiefe Verunsicherung bewirkt. Dies führt leicht zu einer Suche nach Gründen und Schuldigen. Traditionelle Verhaltensweisen und Weltsichten werden betont, was sie zu zersetzen scheint, wird verschärft abgelehnt.

Sokrates ist in der Antike von den meisten als Sophist eingeordnet worden (Aristophanes, Nephelai (Νεφέλαι; Die Wolken; lateinischer Titel: Nubes] - eine 423 v. Chr. aufgeführte Komödie - ist dafür kennzeichnend). Sokrates wich in manchem von der konventionellen Religion ab, so mit der Hochschätzung seines Daimonions, einer warnenden inneren Stimme. Die Ankläger Anytos, Lykon und Meletos warfen ihm vor, damit neue Götter einzuführen und mit seinen Lehren die Jugend zu verderben. Zugleich gab es neben diesen eher verschwommenen Vorwürfen einen politischen Hintergrund, der allerdings aufgrund einer Amnestie 403 v. Chr. als direkter Gegenstand einer Anklage ausgeschlossen war.

Sokrates gehörte zu den Athenern, die in Athen blieben, als die Oligarchen herrschten und Rechte als Vollbürger nur 3000 Athenern geben wollten. Einen Befehl der sogenannten Dreißig Tyrannen (extreme Oligarchen), einen politischen Gegner namens Leon auf der Insel Salamis zu verhaften und zur Aburteilung und Hinrichtung herbeizuschaffen, befolgte Sokrates nicht (Platon, Apologie 32 c – d; Platon, 7. Brief 324 – 325 [Echtheit des Briefes umstritten]; Xenophon, Apomnemoneumata (Ἀποµνηµονεύματα; Erinnerungen an Sokrates; lateinischer Titel: Memorabilia) 1, 2, 32; Diogenes Laertios 2, 24). Sokrates hatte im Laufe seines Lebens Umgang mit Leuten, die verdächtig wirkten, wie im Fall von Alkibiades, dessen Rolle zumindest einen zwielichtigen Eindruck machte, und den aufgrund ihres brutalen Vorgehens verhaßten Oligarchen Kritias und Charmides. Anscheinend erregte Sokrates nach seinem Bleiben in Athen Mißtrauen und Abweichungen von gewöhnlichen religiösen Anschauungen und Kontakte zu politisch unangenehm in Erscheinung getretenen Personen kamen zu der Vorstellung schädlicher Einflüsse zusammen (Kritias als Ergebnis der Erziehung durch Sokrates gesehen). Eine Verdächtigung gegen Sokrates, er sei ein Oligarchenfreund und ein Volkshasser (μισόδημος) zu sein, ist allerdings nicht berechtigt. Zu seinen Schülern/Freunden gehören auch einwandfreie Demokraten wie z. B. Chairephon (Platon, Apologie 21 a).

Einstellung zur Demokratie

Sokrates war Sohn eines Handwerkers und hat Gespräche mit einfachen Leuten nicht verachtet. Welche Einstellung Sokrates zur Demokratie hatte, ist nicht genau bekannt. Aussagen des geschichtlichen Sokrates, in denen er für oder gegen eine bestimmte Verfassungs- und Regierungsform Stellung nimmt, sind nicht überliefert. Dieses Thema hat er möglicherweise in seinen philosophischen Gesprächen gar nicht ausführlich erörtert.

Xenophon schreibt Sokrates Aussagen zu, in denen er für Sachverstand bzw. Fähigkeiten für leitende Stellungen eintritt und zum Losverfahren und Wahlergebnissen kritische Bemerkungen äußert. Nach Xenophon, Apomnemoneumata (Ἀποµνηµονεύματα; Erinnerungen an Sokrates; lateinischer Titel: Memorabilia) 1, 2, 9 sagte Sokartes, es sei dumm/töricht die den Staat Regierenden durch Los zu bestimmen, nach 3, 5, 21 – 22 meinte Sokrates, die meisten Strategen seien für ihr Amt unvorbereitet, nach 3, 9, 10 vertrat er den Standpunkt, Könige und Regierende seine nicht die, die das Zepter haben, und nicht die von beliebigen Leuten zufällig Gewählten oder durch Losverfahren, Gewalt oder Betrug in ihr Amt Gelangten, sondern die Leute, die zu regieren verstehen.

Möglicherweise macht Xenophon dabei Sokrates zu seinem eigenen Sprachrohr oder gibt knappen Aussagen, bei denen das Hauptthema etwas anderes war, eine bestimmte Färbung und Stoßrichtung.

Aristoteles, Rhetorik 2, 20, 1393 b 3 – 8 gibt als Sokrates-Aussage wieder, es sollten nicht die durch Los Bestimmten regieren/herrschen.

Möglicherweise bezieht sich Arisoteles dabei auf Sokrates in Werken Platons und Xenphons. Wenn überhaupt etwas vom geschichtlichen Sokrates dahintersteht, dann eine Aufassung von Sachverstand bzw. passenden Fähigkeitem als Kriterium für für die Ausübung von politischer Leitung.

Diogenes Laertios 2, 24 wird aus der Weigerung, die sich einem Befehl der Oligarchen widersetzte, abgeleitet, Sokartes sei demokratisch (δημοκρατικός [demokratikos]) gewesen.

Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen. In der Übersetzung von Otto Apelt unter Mitarbeit von Hans Günter Zekl neu herausgegeben sowie mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Klaus Reich. Hamburg : Meiner, 2015 (Philosophische Bibliothek ; Band 674), S. 79:  

„In seinen Überzeugungen ließ er sich nicht irremachen; er hielt sich zur Demokratie, wie ersichtlich ist aus dem Widerstande, den er dem Kritias und dessen Genossen entgegensetzte, als sie ihm den Befehl gaben, den Leon aus Salamis, einen reichen Mann, ihnen in in die Hände zu liefern, um ihn zum Tode zu verurteilen.“

Erklärungen zur Verurteilung des Sokrates enthalten z. B.:

Klaus Döring, Sokrates [2]. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 11: Sam -Tal. Stuttgart ; Weimar, Metzler, 2001, Spalte 675 – 676

Klaus Döring, Sokrates, die Sokratiker und die von ihnen begründete Tradition. In: Sophistik, Sokrates, Sokratik, Mathematik, Medizin (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike - Band 2/1). Herausgegeben von Hellmut Flashar. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1998, S. 146 – 155 (Biographie)

S. 151: „Im übrigen besteht – anders als dies vielfach behauptet wird – kein Grund zu der Annahme, Sokrates habe sich in philosophischen Gesprächen in abfälliger oder abträglicher Weise über die Demokratie geäussert […].“

S. 165 – 166: „Sich immer und überall uneingeschränkt auf die Seite des Rechtes zu stellen, diese Forderung gilt, ganz gleich, welcher Art die politischen Verhältnisse sind, unter denen man lebt (vgl. PLAT., Apol. 32a4-el, bes. c3-4). Es mag dies unter verschiedenen politischen Verhältnissen verschieden hohe Anforderungen stellen, möglich ist es immer. Dies ist der Kern der politischen Philosophie des Sokrates, die - wie die Philosophie des Sokrates insgesamt - ganz auf den Einzelnen und sein ‘Gutsein' ausgerichtet war. Politische Fragen allgemeiner Art scheinen in den Gesprächen des Sokrates dagegen keine Rolle gespielt zu haben. Jedenfalls gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafur, dass er sich etwa mit der von den Sophisten so heftig diskutierten Frage nach der Legitimation von Gesetzen und politischen Institutionen oder der nach dem Wert der verschiedenen Regierungsformen je eingehender beschäftigt hätte. Es ist daher auch höchst unwahrscheinlich, daß er tatsächlich, wie dies später behauptet wurde (vgl. XEN. Mem. 1,2,9), bestimmte Einrichtungen der Demokratie wie die Besetzung von Ämtern durch das Losverfahren und die Demokratie als Regierungsform insgesamt in seinen Gesprächen herabgesetzt haben sollte. Dass er ein Gegner der Demokratie war, scheint vielmehr ein Vorwurf zu sein, der erst nach seinem Tod aufkam, und gar nicht eigentlich gegen ihn, sondern gegen einige seiner Schüler, allen voran Platon, gerichtet war. Sokrates selbst hat sich, soweit erkennbar, weder fur noch gegen eine bestimmte Regierungsform ausgesprochen. Ihm ging es nicht darum, zwischen besseren und schlechteren Regierungsformen zu unterscheiden, sondern darum, seinen Mitbürgern klarzumachen, dass sie sich selbst nichts Besseres antun könnten, als sich konsequent auf die Seite des Rechtes zu stellen, ganz gleich, in wessen Händen die politische Macht liege, und auch dann, wenn dies für sie mit Gefahr fur Leib und Leben verbunden sei. Was den Umgang mit den jeweils Regierenden und den Institutionen der Polis anbetraf, plädierte er für Loyalität, solange man nicht gezwungen werde, Unrecht zu tun, also genau so zu verfahren, wie er es selbst machte. Wie jeder wußte, hatte er selbst einerseits seine Bürgerpflichten peinlich genau erfüllt, sich andererseits aber auch in prekären Situationen nicht davon abbringen lassen, nie etwas anderes zu tun als das, was sich ihm nach gewissenhafter Prüfung als das Gerechte erwiesen hatte. Gerade dies nun, dass der Mann, der seine Mitbürger unablässig dazu nötigte, vor den Augen und Ohren anderer zuzugeben, daß sie sich bisher viel zu wenig um ihr ‘Gutsein' gekümmert hätten, selbst sich nicht das mindeste hatte zuschulden kommen lassen und daher unangreifbar war, muss für viele ein ständig zunehmendes Ärgernis gewesen sein. Man wollte den lästigen Moralprediger loswerden, und so suchte man nach einem justitiabien Vorwurf und fand ihn in der bekannten Anklage.“

Jochen Bleicken, Die athenische Demokratie. 2., völlig überarbeitete und wesentlich erweiterte Auflage. Paderborn ; München ; Wien ; Zürich : Schöningh, 1994, S. 379 – 392 (Sophistik und Rhetorik)

Jürgen Malitz, Sokrates im Athen der Nachkriegszeit (404-399 v.Chr.). in: Sokrates-Studien. Herausgegeben von Herbert Kessler. Band 2: Sokrates. Geschichte, Legende, Spiegelungen. Kusterdingen : Die Graue Edition, 1995 (Die Graue Reihe ; Band 14), S. 11 – 38 = http://www.gnomon.ku-eichstaett.de/LAG/sokrates.html

Peter Scholz, Der Prozeß gegen Sokrates : ein ‹Sündenfall› der athenischen Demokratie? In: Große Prozesse im antiken Athen. Herausgegeben von Leonhard Burckhardt und Jürgen von Ungern-Sternberg. München : Beck, 2000, S. 157 – 173 und S. 276 – 279 (Literatur und Anmerkungen)

Heinz-Günther Nesselrath, „Sokrates tut Unrecht, indem er nicht an die Götter glaubt, an die die Polis glaubt, sondern andere neue Götter einführt - Das Recht der Polis Athen und „neue Götter“. In: Christine Langenfeld/Irene Schneider (Hg.), Recht und Religion in Europa : zeitgenössische Konflikte und historische Perspektiven. Göttingen : Universitätsverlag Göttingen, 2008, S. 28 - 45


Sokrates war nicht gegen und nicht für die demokratie, sondern unterschied streng zwischen gut und böse. Auch die gerichtsentscheidung dass er sterben sollte akzeptierte er.
Allerdings war sein schüler, platon, dafür, dass der staat von einem philosophen regiert werden solle.

Für Sokrates galt, dass niemand jemand anderen Unrecht tun darf, nicht einmal der, dem Unrecht wiederfahren ist. Es ist so ähnlich wie Kant, wobei sei Thema der gute Wille war.