Unvollständig in der Lehre Buddhas?

9 Antworten

Von Experten satian und Buddhismus bestätigt

Die Wörter für Gier, Hass & Unwissenheit sind nach den "originalen" Pali Texten die Wörter lobha, dosa & moha. Diese Pali Wörter dementsprechend zu übersetzten ist leider viel zu kurz gegriffen. Übrigens basiert diese Übersetzung auf den Pali Übersetzungen von Karl Eugen Neumann, die um die vorletzte Jahrhundertwende entstanden (1890-1915), wo die Indologie noch in den Kinderschuhen steckte. Leider haben sich diese Übersetzungen der Wörter (ähnlich wie viele andere) allgemein etabliert.

Ich persönlich halte die Übersetzung von Matthias Ennenbach sehr viel treffender. Er übersetzt die Wort lobha nämlich nicht mit Gier, sondern mit Anhaftung, das Wort dosa nicht mit Hass, sondern mit Widerstand & das Wort moha nicht mit Unwissenheit, sondern mit Verblendung. Anhaftung, Widerstand & Verblendung decken ein viel breiteres Spektrum ab, so dass sich wirklich jedes Leid auf sie zurückführen lässt.

Um das im einzelnen kurz aufzugreifen:

Jemand der nachts aus dem nichts angegriffen wird & sich dabei vehement verteidigt, befindet sich definitiv in einer leidvollen Situation. Man würde aber den Grund für dieses Leid nicht als Hass, sondern als einen Widerstand bezeichnen. Hass wäre in dem Sinne nicht falsch, aber sprachlich eher befremdlich.

Jemand der eine geliebte Person vermisst, womöglich weil sie vor kurzem gestorben, leidet auch stark. Man würde diese Person aber nicht als gierig bezeichnen. Der Mensch leidet da er an etwas anhaftet, was ihm nicht zugänglich ist. Das Wort Gier, wie wir es verstehen, hat in Pali übrigens auch einen separaten Begriff, namens raga.

Auch Verblendung trifft es hier besser. Unwissenheit wirkt eher wie reines Faktenwissen. Allerdings basiert die im Buddhismus sehr wichtige Erkenntnis nicht nur darauf. Erkenntnis meint auch ein tief verinnerlichtes Verstehen für sämtliche Lebenssituationen. So weiß ich, dass ich im Grunde kein eigenes aus sich selbst heraus existierendes Sein (Sanskrit: svabhava) habe. Trotzdem bin ich noch zu verblendet, um mich auch anders bzw. dementsprechend korrekt wahrzunehmen.

Mal abgesehen davon, halte ich auch das Wort Leid für eine schlechte deutsche Übersetzung. Denn das Wort hinter Leid, welches im Pali Dukkha heißt, hat auch einen viel weiteren Horizont. Dukkha kann auch für das Gefühl von Druck beim stemmen von Gewicht stehen. Oder es steht für das Fahrgefühl, wenn man mit einer kaputten Radachse fährt. Gerade letzteres ist sehr interessant. Ich würde daher Dukkha eher als ein "belastend holpriges auf & ab" verstehen.

Woher ich das weiß:Hobby – aktiv praktizierender Buddhist & belesen

"In meinem Fall allerdings ist keines davon der Fall und ich erlebe trotzdem Leid. Wie erklärt sich Buddha mein Leid?"

Wenn jemand geistig leidet, hat er laut der Lehre des Buddha noch Gier, Hass und Verblendung. Das Pāḷi-Wort für unangenehmes gesitiges Gefühl ist Domanassa (wie beispielsweise in einer Depression) und ist unweigerlich mit Hass und Verblendung verbunden (nicht aber mit Gier) und nur die zwei höchsten Stufen der Heiligkeit (Arahats = völlig erleuchtetes Wesen und Anāgāmis = Nichtwiederkehrer) sind gänzlich frei davon. Ich denke, wenn du einmal genau hinschaust, wirst du sehen, dass du nicht frei bist von Gier, Hass oder Verblendung.

Einfacher Selbsttest: Was passiert im Geist, wenn man eine sexuell attraktive Person sieht oder wenn uns jemand auf die Nase haut oder lediglich respektlos anrempelt? Wenn wir bei Ersterem merken, dass unser Geist hingeneigt ist und bei Letzterem abgeneigt, dann können wir sehen, dass wir nicht frei sind von Gier, Hass und Verblendung sind. Depression muss mit einem Objekt verbunden sein, hinsichtlich dessen wir Abneigung empfinden.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung
  1. Du hast das Leiden, das aus "Verblendung" entseht, vergessen! - Man kann es Illusion oder Dummheit nennen: Das Verkennen der Realität, das Enttäuschung hervorbringt - und Enttäuschung ist Leiden.
  2. Buddha hat nicht behauptet , das ein "normaler" Sterblicher, ein "Laiengläubiger" wie Du dem Leiden entgehen kann! ... Leiden ist Teil des Menschlichen Lebens und kann nicht einfach nur durch das Folgen Buddhas Lehre eliminiert werden! - Als normaler, gewöhnlicher Mensch leidest Du!
Statistikfreak 
Fragesteller
 20.09.2021, 15:47

Wie Viktor1 geschrieben hat, hat eine Religion immer ein ,,Heilziel“ dass macht sie auch aus. Nach deinem Kommentar würde der Buddhismus kein Heilziel für einfache Gläubige haben, dann wäre er keine Religion.

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FelicienRops  20.09.2021, 16:15
@Statistikfreak

Das "Heilziel" im Nichiren-Buddhismus ist individuelles Glück und das Glück möglichst vieler anderer Menschen! - Das kann man trotz Leiden erreichen!

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Hier die erste edle Wahrheit, Dukkha:Dukkha gilt als universelles Charakteristikum aller Phänomene im Daseinskreislauf (Samsara). Das heißt das gilt nicht für Nirwana, da es das Überwinden von Dukkha ist. Das Überwinden der Ursachen (das Begehren) hängt zusammen mit der Einsicht, dass die Dinge unbeständig (anicca) und wesenlos (anatta) sind und uns darum auf Dauer nicht glücklich machen können, also früher oder später leidvoll (dukkha) sind. Im Zusammenhang mit den Vier Edlen Wahrheiten werden drei Aspekte von dukkha betrachtet:

  1. dukkha im gewöhnlichen Sinn als Leiden (dukkha-dukkha); so etwa leidvolle körperliche Empfindungen, Gebären und Geboren-werden, Aufwachsen und Aufziehen von Kindern, Krankheit, Altern, Sterben sowie sich um Kranke, Alternde und Sterbende zu kümmern. Diese erste Art des Leidens lässt sich mildern, wenn der Mensch bereit wird, Körper und Geist anzunehmen und zu erkennen, dass physische und psychische Irritationen zum menschlichen Leben dazugehören.
  2. dukkha verursacht durch Veränderungen (viparinama-dukkha): so ist das Menschsein etwa in der Welt veränderlich, das Leiden damit unvermeidlich, solange der Mensch die Faktizität nicht vollkommen akzeptiert, dass Bedingtes sich ändert, sobald sich auch nur eines der es verursachenden Bedingungen verändert. Eine Linderung kann dadurch eintreten, dass der Mensch hinsichtlich seiner Bedürfnisse und Wünsche reift und lernt, sich gelassen in die Veränderlichkeit und damit auch die Vergänglichkeit alles Bedingten einzufügen.
  3. dukkha verbunden mit den Willenstätigkeiten (samkhara-dukkha); es ist das Leiden, das aus der irrigen Überzeugung wächst, der Mensch habe oder sei ein festes ,Selbst', ein ‚kernhaftes Ich‘, ein beständiges ,Subjekt' das im Leben die Freuden und Schmerzen erfährt. Dieses ,Ich' oder ,Selbst' stellt sich als eine ‚narrative Fiktion‘, als eine Illusion heraus, eine Vorstellung oder Geschichte, die Menschen über sich selbst erzählen und dadurch an ein ‚substanziellen Wesen‘ glaubten. So lange an dieser Vorstellung festhalten, so lange wird der Leidensprozess aufrechterhalten. Erleuchtung wird zum Loslassen und Überwindung jener grundlegenden Selbsttäuschung, zur Erkenntnis, dass es nichts zu verlieren und nichts zu gewinnen gibt, weil da kein substanzielles Wesen existiert, das etwas verlieren oder gewinnen könne.

Dukkha – Wikipedia

Der Buddha hat Hass als eines der drei Geistesgifte übrigens gar nicht gelehrt, das ist erst später dazu gekommen. Ist eigentlich logisch, denn Hass ist ja einfach nur eine Form von Gier. Wenn ich etwas hasse, giere ich nach Veränderung.

Die drei Geistesgifte sind übrigens Gier, Hass und Verblendung.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
Statistikfreak 
Fragesteller
 19.09.2021, 18:30

Dass ist irgendwie keine richtige Antwort auf meine Frage, denn ich habe ein Problem mit meiner Psyche. Ich Hafte an nichts an, es wäre für mich ok wenn ich alles verlieren würden. Ich habe Dukkha überwunden, aber trotzdem Leid.

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Warum leide ICH, wenn ich an nichts Materiellem mehr anhafte?

Erinnere Dich an die Ausfahrten des Prinzen Siddharta: Alter, Krankheit und Tod sind ihm begegnet. Das ist die tatsächliche existenzielle Bedrohung. Es geht nicht darum, teure Klamotten doof zu finden.

Wir alle werden wieder und wieder in den Kreislauf von samsara geworfen, um immer wieder die selben Leiden zu durchleben, auf einer sehr groben Ebene ebenso wie sehr subtil. Das passiert aufgrund falscher Annahmen über die Existenz von uns selber, den anderen, der Welt. Das Ich schreit "ich will" und schon gehts wieder los. Schönheit, Reichtum, Beliebtheit, ein Partner, Frieden, Befreiung - ich bin noch nicht angekommen. Die Trennung der Dinge scheint unüberwindbar.

So entsteht Leid. Und nur im offenen, liebevollen Gewahrsein des jetzigen Moments können wir loslassen.