Überstunden und Freizeitausgleich gesetzliche Regelung?
Hallo liebe Community,
ich frage mich seit einiger Zeit ob das, was in meinem Arbeitsvertrag bezüglich Arbeitszeit drinen steht so legal/zulässig ist. Ich bekomme ein Festgehalt.
Zitat aus dem §Vergütung
"Mit vorstehenden Leistungen der Firma sind zugleich sämtliche Über und Mehrarbeitsstunden über die tarifliche Vollzeit hinaus, sowie eine Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen, soweit eine solche aus betrieblichen Gründen erforderlich sein sollte, in vollem Umfang abgegolten."
Letzten Monat habe ich aufgrund des Workload 50+ Überstunden machen müssen.
Zu meiner Person:
Ich bin 32 Jahre alt und arbeite als Ingenieur in einem mittelständischen Unternehmen. Ich bin zwar in der Technikleitung, habe jedoch keine Handlungsvollmacht wie z.B. das selbständige Einstellen von neuen Mitarbeitern.
Ich hoffe mir kann bezüglich meines Problems jemand weiterhelfen.
Was kann ich tun um meine Überstunden zumindest abfeiern zu dürfen ?
Mfg Luca
4 Antworten
"Mit vorstehenden Leistungen der Firma sind zugleich sämtliche Über und Mehrarbeitsstunden über die tarifliche Vollzeit hinaus, sowie eine Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen, soweit eine solche aus betrieblichen Gründen erforderlich sein sollte, in vollem Umfang abgegolten."
Diese Klausel im Arbeitsvertrag ist schlicht und einfach unwirksam/nichtig, und alle Überstunden (angeordnete und akzeptierte freiwillige) müssen vom Arbeitgeber bezahlt werden.
Zwar sind Klauseln erlaubt, dass Überstunden mit dem vereinbarten Entgelt bereits pauschal abgegolten sein sollen, allerdings muss die Anzahl dieser pauschal abgegoltenen Stunden genau benannt werden, damit der Arbeitnehmer weiß, worauf er sich "einlässt". Die Anzahl dieser Stunden muss in einem angemessenen Verhältnis zur vereinbarten Arbeitszeit stehen und darf nicht mehr als ca. 15 % zusätzlich betragen.
Eine Klausel ohne Nennung der Stundenzahl oder mit zu hoher Stundenzahl ist unklar und stellt eine unzulässige Benachteiligung des Arbeitnehmers dar und ist darum unwirksam - Bürgerliches Gesetzbuch BGB § 307 "Inhaltskontrolle" Abs. 1:
Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen [Anmerk. von mir: auch Formulararbeitsverträge oder Arbeitsverträge, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vorschreibt - also ohne individuelle Verhandlung - sind AGBs] sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Bezahlung der Überstunden ergibt sich dann aus dem BGB § 612 "Vergütung":
(1) Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.
(2) Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist bei dem Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen.
Diese Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vergütung der Überstunden entfällt nur bei Berufen, die besondere Kenntnisse und Fertigkeiten verlangen (Ärzte, Architekten, Wirtschaftsprüfer usw.) und bei Entgelten über der Beitragsbemessungsgrenze zur gesetzlichen Rentenversicherung (zur Zeit 7.100 € mtl./85.200 € jährlich alte Bundesländer, 6.700 € mtl./80.400 € jährlich neue Bundesländer).
Mache Dir auf jeden Fall persönlich genaueste Aufzeichnungen; im Falle eine gerichtlichen Auseinandersetzung können sie als Beweis des ersten Anscheins herangezogen werden, vor allem, wenn sich der Arbeitgeber auf diese rechtsunwirksame Klausel berufen sollte.
Für die eventuelle gerichtliche Durchsetzung Deiner Ansprüche hast Du aber Fristen zu beachten:
Schau in Deinem Arbeitsvertrag nach, ob dort (oder auch in einem gegebenenfalls anzuwendenden Tarifvertrag) Ausschlussfristen vereinbart sind. Nach Verstreichen dieser Ausschlussfristen ab Fälligkeit einer Forderung aus dem Arbeitsverhältnis kannst Du diese Forderung nicht mehr durchsetzen. Diese Ausschlussfristen dürfen einzelvertraglich nicht kürzer sein als 3 Monate; tarifvertraglich dürfen sie zwar auch kürzer sein, betragen aber meist 3 oder zweistufig 6 Monate. Ohne solche vereinbarten Ausschlussfristen gilt für Deine Forderung die gesetzliche Verjährungsfrist von 3 Jahren nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch BGB § 195 "Regelmäßige Verjährungsfrist", für Forderungen aus 2020 also bis zum 31.12.2023, Forderungen aus 2021 bis zum 31.12.2024 (usw.).
Du hast den Vertrag so unterschrieben. Solltest damit leben, dass Du die Überstunden nicht bezahlt bekommst.
Warum machst Du im Monat 50 zusätzliche Stunden?
Die Antwort ist falsch.
Du hast den Vertrag so unterschrieben.
Das spielt keine Rolle.
Diese Klausel ist wegen unangemessener Benachteiligung des Arbeitnehmers unwirksam/nichtig, weil sie wegen der nicht genannten Anzahl der pauschal abgegoltenen Überstunden unbestimmt ist.
Du hast vermutlichen einen außertariflichen Vertrag abgeschlossen.
Mehr dazu findest du hier: https://www.ingenieur.de/karriere/arbeitsrecht/aussertariflicher-vertrag-vor-und-nachteile-gegenueber-dem-tarifvertrag/#ueberstunden
Du hast vermutlichen einen außertariflichen Vertrag abgeschlossen.
Das spielt keine Rolle, hat mit einem außertariflichen Vertrag nichts zu tun.
Diese Klausel ist wegen unangemessener Benachteiligung des Arbeitnehmers unwirksam/nichtig, weil sie wegen der nicht genannten Anzahl der pauschal abgegoltenen Überstunden unbestimmt ist.
Überstunden müssen nur dann nicht bezahlt werden, wenn das Entgelt über der Beitragsbemessungsgrenze zur gesetzlichen Rentenversicherung liegt und bei bestimmten Berufen mit besonderen, außerordentlichen Fähigkeiten (z.B. Architekten, Ärzte, Wirtschaftsprüfer).
- Überstunden sind mit dem Gehalt abgegolten.
- Etwaig anfallende Überstunden sind mit der vereinbarten Monatsvergütung abgegolten.
- Mit der vorstehenden Vergütung sind geleistete Überstunden des Arbeitnehmers abgegolten.
Stehen diese oder ähnlich allgemeine Passagen zur Überstundenregelung zum Beispiel in deinem Arbeitsvertrag, dann sind sie seit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 2010 ungültig. Die Richter befanden damals, dass ein solcher Wortlaut zu ungenau und schwammig ist. Es müsse klar werden, welche konkrete zusätzliche Arbeitsleistung gemeint sei (AZ 5 AZR 517/09).
Für die Praxis heißt das, dass aus einer Überstundenklausel im Arbeitsvertrag genau hervorgehen muss, bis zu welcher Anzahl oder welchem Anteil Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind.https://www.advocard.de/streitlotse/arbeit-und-karriere/arbeitszeit/ueberstunden/ueberstunden-mit-gehalt-abgegolten-ist-das-rechtens/
Hallo Familiengerd, vielen lieben Dank für deine wirklich aussagekräftige und wirklich gut verständlich formulierte Antwort. Ich werde meinen Arbeitgeber damit konfrontieren und ersteinmal versuchen das so zu klären.