Milgram-Experiment - weshalb handelt man gegen sein Gewissen & was lässt uns in blinden Gehorsam fallen?

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Das Milgram-Experiment ist in verschiedenen Variationen über die Jahre an verschiedenen Universitäten durchgeführt worden und "funktioniert" immer noch und immer wieder. "Leider" auch bei hochgebildeten Personen (wie auch immer definiert).

Ich selber habe vor Jahren a) an einem abgeschwächten Experiment ohne körperlichen Schaden (Strom mittels Trafo ca. 12V) teilgenommen.

Die freiwilligen Teilnehmenden (alle Studierende versch. Fachrichtungen, die einen finanziellen Anreiz bekamen) hatten leichte Stromstöße (die sie selber auch erfahren haben) für falsch beantwortete Fragen gegenüber einer nicht sichtbaren und nicht hörbaren Person abzugeben, die Fehler machte. Die Stromstöße waren weniger stark als mit einem geladenen Weidezaun.

Da ich das Milgram-Experiment kannte und biologische Kenntnisse hatte, habe ich den Versuch wegen Unsinnigkeit - Warum sollte Strom die Fehlerrate senken? Warum gab es keine Belohnung für richtige Antworten? - abgebrochen. Von über 50 Teilnehmenden (Frauen+Männer) der einzige Abbruch obwohl auch ich Geld bekommen habe. Auf der anderen Seite des Trafos saß auch kein Mensch.

b) Einige Zeit später habe ich an einem Experiment teilgenommen, wo uns gesagt wurde, dass wir zu einer ausgewählten Gruppe (5 Studierende) mit höherer Intelligenz gehören. Wir sollten uns in einer Gruppe auf Strafmassnahmen einigen, für eine andere uns nicht bekannte Gruppe, um so diese weniger intelligente Gruppe an unser Niveau heranzuführen. Auch die zu bewältigen Aufgaben waren uns nicht bekannt. Das Strafinstrument waren nicht gesundsheitschädliche Geräusche, die unangenehm waren z.B. Tafelkreide quitschen.  Jeder musste, nachdem er die Geräusche gehört hatte, entscheiden in welcher Reihenfolge und wie lange diese Geräusche als Strafe abgegeben werden sollten.

Trotz des Einwands, dass wir weder die zu Bestrafenden, noch die Aufgaben, noch eine positive Möglichkeit haben, wurde eine Reihenfolge und eine Dauer festgelegt - "Das ist schließlich unsere Aufgabe und für das Andere sind Andere zuständig."

Besonders wichtig, um menschliches Verhalten zu verstehen, sind die Experimente zum nachfolgenden Film und Buch - Die Welle: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Welle_(2008)

Von 10 Gruppen mit 4-6 Teilnehmenden haben sich keine anderen bereiterklärt die Aufgabe vorzeitig abzubrechen.

Mir wurde vorgeworfen, dass ich der Gruppe nur unnötig Zeit koste. Die Aufgabe wäre eindeutig und über weitere Sachen müssten wir uns keine Gedanken machen.

Meine Erfahrung und auch die von mir zusammengetragenen Informationen haben mich bestätigt in Folgendem:

a) Gruppenverhalten ist nicht dem eigenen Gewissen an erster Stelle unterworfen.

b) sachliche Argumente oder logisches Begründen wird durch einen Auftrag von Vorgesetzen (etc.) oft enthebelt  - Der weiß schon warum, schließlich muss ich nur den Auftrag ausführen und kenne die Konsequenzen ja gar nicht. -

c) ein Mitläufer hat es immer leichter- sowohl in der Situation als auch danach - seine Einheitsmeinung zu begründen- Die meistem anderen haben es ja genau so gemacht.

d) Wer sich gegen Anweisungen stellt und diese hinterfragt, muss mit Diskriminierung durch die eigene Gruppe rechenen

e) Weltweit bei allen Menschen sind die "Argumente": Was sollte ich den machen? Davon habe ich nichts geahnt. Warum haben die Anderen den nicht... verbreitet.

Wer ein eigenes Gewissen als Mensch hat, sollte nicht nur sondern muss handeln. (Bei Gewaltbedrohnung und Todesgefahr bitte nicht.)

Mit Akten zivilen Ungehorsams beabsichtigt der Ungehorsame, auf einzelne Gesetze oder Regeln hinzuweisen, die er uneigennützig als ungerecht empfindet. ...Derjenige, der zivilen Ungehorsam übt, nimmt bewusst die Gefahr auf sich, für seine Handlungen bestraft zu werden. aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Ziviler_Ungehorsam

Ich werde mit dem Mann im Spiegel beginnen,
ihn darum bitten seine Ansichten zu ändern.
Und keine Botschaft könnte klarer sein.
Wenn du die Welt zu einem besseren Ort machen willst,
betrachte dich selbst und ändere etwas.
Du musst das Richtige tun, solange du noch Zeit dafür hast,
(denn wenn du dein Herz verschliesst,)
Du kannst nicht deinen... deinen Verstand verschliessen.
(dann verschliesst du deinen... Verstand)
Und darum werde ich diesen Mann dort auffordern sich zu ändern, und zwar hier und jetzt.
aus: Man in the Mirror, Songtext Übersetzung

Ich wünsche mir ein wenig mehr Nachdenken und mutiges Eingreifen in die Situation, besonders wenn keine Gefahr droht außer eine andere Position zu vertreten.

Und, konnte ich der Beantwortung der Frage näher kommen?

Konnte ich dir weiter helfen?

Gruß seniorix

Diffusion of Responsibility  nennt man das. Man gibt die Verantwortung an jemand anderen ab, und je strukturierter die Situation ist, um so mehr. Das scheint ein allgemein menschliches "Problem" zu sein, denn man hat keine individuellen Unterschiede gefunden.

Es gibt noch viele andere schöne Experimente, die das verdeutlichen. Auch die Tatsache, dass Unfallopfern oft nicht geholfen wird, gehört dazu.

Da gibt es ein schönes Experiment zu.

Studenten, die nicht wussten,dass sie Teil des Experimentes waren, wurden zur Sprechstunde des Professors gerufen. Als sie im Büro ankamen, war der Prof aber noch nicht da. Die Sekretärin sagte, dass er bald kommen möge, man solle solange Platz nehmen.
Dann ging sie in ein Nebenzimmer, wo die Studenten sie herumkramen hören. Plötzlich ist ein lauter Schrei zu vernehmen, ein Poltern und ein Stöhnen. Man musste davon ausgehen, dass die Sekretärin sich mindestens das Bein gebrochen hatte.

Die Ergebnisse sahen wie folgt aus.

Wenn nur ein Student im Wartezimmer war, wurde der Sekretärin sofort geholfen. Je mehr Studenten sich dort aufhielten, um so weniger geschah es. Ab 7 Personen aufwärts, half keiner mehr. NIemand fühlte sich noch verantwortlich.

Natürlich kann man sich gegen diese Diffusion of Responsibility bewusst wehren. Am besten dann, wenn man darum weiß!

Erstens ist 2/3 nicht WIR, weil dann 1/3 einfach subsummiert wird, einfach verschwindet. Da sollte man schon mit Verallgemeinerungen aufpassen. Gelebte Moral beginnt mit Differenzierung, Unmoral mit Pauschalisierung und Feindschubladen. Wie heißt es schön bei Brecht in der Dreigroschenoper: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Zu dieser Erkenntnis der moralischen Instabilität von Menschen braucht man nicht unbedingt das Milgram-Experiment. Da muss man nur mit offenen Augen in die Geschichte schauen. Was momentan so "in" ist, die allgemein verbreitete Beliebigkeit und Relativität der Werte baut einem solchen Verhalten sogar vor. Insoweit weiß ich nicht, wieso wir uns auf unsere als Beliebigkeit ausgegebene Freiheit soviel einbilden.

Naja, der mensch ist irgendwie so gebaut, ich meine wir laufen vllt nicht immer diktatoren nach, aber den nächsten modetrends, oder der nächsten musikrichtung oder sonst welchen autoritäten oder tvstars, auch wenn einiges davon gegen unsere moralvorstellungen geht, aber es hat halt auch vorteile, wir schaffen uns so gemeinschaften und können uns einen, nicht nur zum bösen! Lg

Vielleicht die Angst, sich von der Masse abzuheben? Die Angst, Eigenverantwortung zu übernehmen?