Was waren die Beweggründe für die Kleisthenes-Reform?

2 Antworten

Bei den Gründen können Absichten eines persönlichen Vorteils (Eigennutz) mit allgemeineren Zielen und sachlichen Erfordernissen miteinander verbunden gewesen sein.

Es gibt keine Zeugnisse von Kleistenes selbst über seine Motive. Es bleiben nur Deutungen später schreibender antiker Autoren und Vermutungen und Rückschlüsse aus dem, was über die damaligen Verhältnissse und Maßnahmen bekannt ist.

Wichtige Quellen zur Neuordnung sind Herodot 5, 66 und 69 und Aristoteles, Athenaion Politeia (Staat der Athener) 20 - 21 (wozu Aristoteles, Politika (Politik) 3, 2, 1275 b 34 – 39 und 6, 4, 1313 b 19 – 27 zusätzlich herangezogen werden kann).

Einen persönlichen Vorteil/eigenen Nutzen hatte Kleisthenes eindeutig darin, mit einem vertretenen Plan einer politischen Neuordnung breite Unterstützung vom Demos (δῆμος; Volk, Volksmenge, einfaches Volk) zu gewinnen, sich so durch eine vergrößerte Anhängerschaft in Machtkämpfen mit anderen Adligen (vor allem Isagoras) durchzusetzen und mit der Umsetzung dann eine politische Führungsrolle zu behaupten und zu festigen.

Die antiken Texte erzählen auch von einer Gewährung des Bürgerrechts, wobei teilweise auch Personen in Zweifelsfällen über ihren Status aufgenommen wurden. Angeblich wurden dabei viele Fremde/Ausländer und Sklaven/Unfreie zu Bürgern. Gemeint sind aber wohl der Sache nach Metöken (ansässige Fremde/Ausländer) und ehemalige Sklaven/Freigelassene und von diesen abstammende Personen, die schon einmal athenische Bürger gewesen waren und denen vor kurzem von Isagoras und seinen Anhängern das Bürgerrecht gestrichen worden war (vgl. Aristoteles, Athenaion Politeia 13, 5).

Es gibt auch Überlegungen, Kleisthenes habe bei der Gliederung in Phylen trickreich sich und seiner Familie, dem Adelsgeschlecht der Alkmeoniden (Ἀλκμεωνίδαι [Alkmeonidai]), besonders gute Beeinflussungsmöglichkeiten aufgrund der lokalen/regionalen Wohnsitze verschafft (Stärkung des Einflusses oder zumindest Chancengleichheit). Dies sind aber ziemlich unsichere Mutmaßungen. Darüber, wer wo gewohnt hat, sind nicht viele Informationen bekannt. Es gibt keine aus der Überlieferung bekannten Ereignisse, bei denen sich ein Vorteil dieser Art deutlich zeigt.

Kleisthenes selbst war nach der Abschaffung der Tyrannis zunächst bei der Wahl zum höchsten Amt (Archon eponymos) nicht erfolgreich, unternahm aber dann eine Politik, das Volk auf seine Seite zu bringen: nach Herodot 5, 66, 2 hat er den Demos (das Volk, die Volksmenge, das einfache Volk) in seine Hetairie (Gefolgschaft) aufgenommen (Κλεισθένης τὸν δῆμον προσεταιρίζεται). Der zum Archon (ἄρχων) gewählte Isagoras setzte sich zuerst mit spartanischer Unterstützung in Machtkämpfen gegen Kleisthenes durch. Als Isagoras, der anscheinend eine alleinige Adelsherrschaft anstrebte, den bestehenden Rat auflösen wollte und durch einen Rat aus 300 befreundeten Adligen ersetzen wollte, kam es aber zu bewaffneten Widerstand und die aufgebrachten Athener belagerten ihn (er hatte sich mit seinen Anhängern und den Spartanern auf die Akropolis zurückgezogen). Am dritten Tag gaben die Belagerten auf (wohl 508 v. Chr.).

Sachlich erforderlich war eine militärische Neuorganisation, insbesondere die Erfassung und Aushebung der als Hopliten (schwerbewaffnente Fußsoldaten) Wehrfähigen. Mögliche Angriffe von außen galt es abwehren zu können. In der Tyrannis waren Söldner und die Gefolgschaft der Tyrannen eingesetzt worden. Bei den letzten Auseinandersetzungen hatte sich gezeigt, wie einzelne Trupps ziemlich unverbunden tätig gewesen waren.

In der Antike galt im späteren Rückblick Kleisthenes als Begründer der athenischen Demokratie. Den Begriff der Demokratie hat es zur Zeit des Kleisthenes allerdings offenbar noch nicht gegeben, es gibt erst für eine mehrere Jahrzehnte spätere Zeit Belege. Kleisthenes wollte die Rolle des Volkes stärken, was aber nicht unbedingt ein Ziel einer sehr weitgehenden Demokratierung bedeuten muß. Verbreitet ist die Bezeichnung Isonomie nach dem griechischen Wort ἰσονομία (isonomia; Rechtsgleichheit, Gleichheit vor dem Gesetz). Die Isonomie kann als Frühform der Demokratie verstanden werden. Die Rahmenbedingungen wirkten einer einfachen Beherrschung der Institutionen der Volksversammlung (ἐκκλησία [ekklesia]) und des Rates (βουλή [boule]) der 500 durch Adelsgefolgschaften entgegen.

als mögliche Gründe sind vor allem denkbar:

  • Stärkung der eigenen Machtstellung durch Gewinnen einer zusätzlichen Anhängerschaft aus dem Demos, um im Wettstreit um die Vorherrschaft mit adligen Konkurrenten erfolgreich zu sein
  • Anstreben einer stärkeren Rolle des Volkes, eine Politisierung der Bürger, eine Institutionalisierung (dauerhafte und feste Verankerung) einer breiten politischen Solidarität der Bürger
  • Schaffung einer schlagkräftigen militärischen Neuorganisation zum Schutz gegen eventuelle Angriffe
  • Begrenzung (durch Mischung bei der Phylengliederung) besonderer lokaler und personaler Bindungen und Sonderinteressen

Bücher zum Thema (mit Hinweisen auf weitere wissenschaftliche Literatur):

Michael Stahl, Gesellschaft und Staat bei den Griechen: Klassische Zeit. Paderborn ; München ; Wien ; Zürich : Schöningh, 2003 (UTB : Geschichte ; 2431), S. 13 – 63

Jochen Bleicken, Die athenische Demokratie. 2., völlig überarbeitete und wesentlich erweiterte Auflage. Paderborn ; München ; Wien ; Zürich : Schöningh, 1994, S. 35 – 41 und S. 447 – 453

S. 36: „Kleisthenes hat denn auch die Reform nicht nur durchgeführt, um die politische Rolle des Volkes zu stärken, sondern um gegenüber seinen adligen Rivalen, die ihn nach dem Sturz der Tyrannis so bedrängt hatten, mit einer neuen Gefolgschaft zu behaupten. Politik, auch Reformpolitik ist in dieser Zeit noch immer unlösbar mit Rivalitätskämpfen des Adels verbunden. Aber die Modalitäten der Reform zeigen dann doch deutlich, daß deren Ziel in erster Linie in der politischen und militärischen Stärkung der nun mündig gewordenen Athener, und unter ihnen vor allem der Schwerbewaffneten, lag.“

Karl-Wilhelm Welwei, Die griechische Polis : Verfassung und Gesellschaft in archaischer und klassischer Zeit. 2., durchgesehene und erweiterte Auflage. Stuttgart : Steiner, 1998, S. 164:

„Da die Reformen eine umfassende Neuordnung darstellten, hat Kleisthenes zweifellos eine Veränderung der politischen Rahmenbedingungen angestrebt. Um seine Position gegenüber der Adelsgefolgschaft des Isagoras zu festigen und seinen Rivalen letztlich auszuschalten, genügte es keinesfalls, lediglich durch geschickte Manipulationen lokal begrenzte Machtbasen der Alkmeoniden im Rahmen der Polisordnung stärker auszubauen. Des weiteren ist zu beachten, daß Isagoras durch seinen Erfolg bei den Archontenwahlen noch keine breite Anhängerschaft in der unterschiedlich frequentierten Volksversammlung gewonnen hatte. Unter den bisherigen Voraussetzungen war die Ekklesia bei inneren Machtkämpfen kein effektives Gegengewicht gegen zielstrebige Adelsverbindungen. Dementsprechend suchte Kleisthenes offensichtlich größere Schichten der Bürgerschaft zu aktivieren und vor allem durch das Medium des Rates eine Integration der städtischen und ländlichen Bezirke zu erreichen. Er scheint erwartet zu haben, hierdurch seinen Einfluß möglichst in allen Teilen Attikas stärker zur Geltung zu bringen. Der Erfolg des Reformprogramms bestätigt, daß ein relativ breites Interesse an der Stabilisierung der zentralen Polisinstitutionen gegenüber den Einflußmöglichkeiten der Hetairien bestand.“

S. 165: „Kleisthenes hatte sich zweifellos getäuscht, wenn er das Ziel verfolgte, die Vorrangstellung der Alkmeondien langfristig abzusichern. Die neue Ordnung bot ihren Rivalen gleiche Chanscen.“

Kleisthenes schuf den Rat der 500 und leitete damit den demokratischen Prozeß in Athen ein.