Karikatur Szene in der europäischen Schule?

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Die Karikatur ist am 28. Juli 1866 in der in Kopenhagen erscheinenden dänischen Satirezeitschrift „Folkets Nisse“ veröffentlicht worden.

geschichtlicher Zusamnenhang

Preußen hatte mit Verbündeten (darunter auch Italien) 1866 im Deutschen Krieg gegen Österreich und Verbündete gewonnene. Die entscheidende Schlacht war bei Königgrätz am 3. Juli 1866. Die Preußen verwendeten Zündnadelgewehre, die damals eine höhere Schussfrequenz als andere Gewehre ermöglichten. Am 26. Juli 1866 wurde der Präliminarfrieden (Vorfriedensvertrag) von Nikolsburg abgeschlossen (der Friedensvertrag von Prag am 23. August hatte keinen wesentlich anderen Bestimmungen). Österreich behielt sein Gebiet bis auf das vom Kaiser von Österreich beherrschte Venetien mit der Hauptstadt Venedig (Rest des Königreichs Lombardei-Venetien), das an Italien kam. Österreich musste seine Rechte auf die Herzogtümer Schleswig und Holstein (als Elbherzogtümer bezeichnet, wozu mnachmal auch das Herzogtum Lauenburg gezählt wurde) an Preußen abtreten sowie diesem eine Kriegskostenentschädigung von 40 Millionen Talern geben, von denen (durch Abzug noch zustehender Forderungen und Verpflegung der preußischen Armee bis zum Friedensabschluss) 20 Millionen Taler tatsächlich bar zu zahlen waren. Preußen annektierte das Königreich Hannover, das Kurfürstentum Kassel (Hessen-Kassel), das Herzogtum Nassau, die Freie Stadt Frankfurt am Main und kleine Teile des Königreichs Bayern und des Großherzogtum Hessen (Hessen-Darmstadt). Österreich musste der Auflösung des Deutschen Bundes und einer Gründung eines Norddeutschen Bundes zustimmen.

Auf mit Österreich verbündete deutsche Staaten kamen ebenfalls an Preußen zu zahlende Kriegskostenentschädigungen zu: In den späteren Friedensverträgen waren dies für Bayern 30 Millionen, Württemberg acht Millionen, Baden sechs Millionen Hessen-Darmstadt drei Millionen Gulden, für Sachsen 10 Millionen Taler.

Napoleon III. (Charles Louis Napoléon Bonaparte), Kaiser der Franzosen, hatte Frankreich neutral gehalten und Vermittlung zum Frieden ausgeübt. Er hatte sich für die Neutralität Gegenleistungen für Frankreich erhofft, aber erfolglos.

Karikatur

Die Karikatur „Szene aus der europäischen Schule, oder: Schulmeister Wilhelm und Hilfslehrer Bismarck bei der Arbeit“ zeigt in einer Schulklasse links König Wilhelm I. von Preußen als stämmigen Schulmeister Wilhelm der auf einem Podest erhöht auf einem Stuhl sitzt. Er trägt eine militärische Uniform, auf dem Kopf einen Helm mit Spitze (»Pickelhaube«), der in Karikaturen ein typisches Symbol für Preußen ist.

Er zieht mit seiner rechten Hand einen Schuljungen (im Text unten „Franz“ genannt) am Ohr, der schmerzleidend mit weit geöffnetem Mund das Gesicht verzerrt und mit seiner linken Hand in vergeblicher Schutzbemühung zu seinem Ohr fasst. Der Schuljunge ist eine Darstellung des Kaisers Franz Joseph I. von Österreich in militärischer Uniform. Seine Mütze und sein Schwert sind heruntergefallen. Er kann als Besiegter verstanden werden, der Verluste und Machteinbuße für Österreich erleidet.

Vor dem Stuhl steht ein Lehrerpult. Darauf steht ein Tintenfass mit der Aufschrift „Venedig“ und liegt ein Papier mit der Aufschrift „S.Holst.“ (Schleswig-Holstein). Dies weist auf Gebiete hin, auf die Österreich verzichten musste.

In der Mitte steht Otto von Bismarck, preußischen Ministerpräsident und Außenminister seit 1862, als Hilfslehrer in Zivilkleidung. In seiner linken Hand hält er ein Lesebuch mit der Aufschrift „ABC“, in seiner rechten Hand ein Zündnadelgewehr (Aufschrift „Zündnade...“) mit einem Bajonett am einen Ende und einem Reisigbesen oder einer Reisigrute am anderen Ende. Es kann zum verprügelnden Schlagen verwendet werden. Vor ihm steht rechts ein Schuljunge (im Text unten „Louis“ genannt) in Zivilkleidung mit einem großen Hut in seiner rechten Hand und einem aus einer Jackentasche heraushängenden Taschentuch. Seine rechter Arm ist halb erhoben. Er weint. Der Schuljunge ist eine Darstellung des Kaisers Napoleon III. In einer Prüfung zur neuesten Geschichte sagt er etwas, was Napoleon sich gewünscht hätte. Bismarck hält ihm entgegen, was er an Friedensbedingungen nach seinem Geschmack durchsetzt und lässt ihn mit der Note »Fünf« durchfallen. Grob schickt er ihn zur Klasse auf einen hinteren Platz neben dem Schuljungen der für den winzigen Kleinstadt Lippe-Detmold steht, zurück. Dies zeigt eine Demütigung der Großmacht Frankreich und seinen ehrgeizigen Monarchen.

Hinten sitzen an einer Schulbank Personen mit Kronen auf den Köpfen. Sie stehen für europäische Klein- und Mittelstaaten, die unter preußischer Vorherrschaft stehen. Auf Bankhöhe ist etwas Geschriebenes (ziemlich klein, dünn und verschwommen) sichtbar, vielleicht „Krigsomkostninger“ („Kriegskosten“) .

Hinten an der Wand hängen eine Zeichnung, die einen spöttische Karikierung des Kaisers Napoleon III. als Vogel sein könnte, ein Reisigbesen mit der Aufschrift „Königsgrätz“ (Hinweis auf die Schlacht mit entscheidendem preußischen Sieg), eine Landkarte mit der Aufschrift „Preussen, auch genannt Europa“ und eine Landkarte mit der Aufschrift „Karte über das künftige Preussen“, das bis nach „Amerika“ reichen wird.

Die Karikatur zeigt die eingetretene Machtlage. Die Vertreter Preußens sind körperlich größer als die Österreichs und Frankreichs, die kleine Schuljungen gegenüber großen Lehrern sind. Die Vertreter Preußens misshandeln nach der Darstellung gewalttätig Österreich bzw. drohen Frankreich mit Gewalt/Prügelstrafe. Auch europäische Klein- und Mittelstaaten stehen unter ihrer autoritären und schikanierenden Fuchtel. Preußen erscheint als aggressiv, respektlos und auf rücksichtslose Machtpolitik mit einer in der Zukunft weit ausgreifenden Expansion ausgerichtet. Die Karikatur lässt die als Gefahr erscheinen und hat einen ablehnende und warnende Tendenz. Dänemark ist zu Preußen ein kleinerer Nachbarstaat und der dänische König hatte 1864 in einem Krieg Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg an Preußen und Österreich verloren.

Bismarck in der Karikatur des Ausla nds. Auswahl, Einleitung und Kommentar von Heinrich Dormeier. Sammlung und Vorauswahl: Susanne Leiste, Marie - Louise von Plessen, H. Dormeier. Mitarbeit: Maria Berger. Übersetzung der Bildunterschriften: Leila Behrens, München (Ungarisch)/H. Dormeier, Berlin (Englisch, Französich, Italienisch, Niederländisch, Spanisch)/Martin Grass, Stockholm (Schwedisch)/Jürgen Ibs, Flensburg (Dänisch). Berlin : Nicolai, 1990, S. 40:

19 Scene i den europæikle Scole, eller: Skolemester Wilhelm og Hjælpelærer Bismarck i Function

(Szene aus der europäischen Schule, oder: Schulmeister Wilhelm und Hilfslehrer Bismarck bei der Arbeit)

Kopenhagen, Folkets Nisse, 28. Juli 1866

Durch den Blick einer Schulklasse schildert das dänische Witzblatt in Wort und Bild die Machtverhältnisse nach dem Deutschen Krieg und dem Präliminarfrieden von Nikolsburg:

Der preußische König zieht den österreichischen Kaiser Franz Joseph I. am Ohr. Die Donaumonarchie wurde mit dem Besen »Königgrätz«, in der Schlacht vom 3. Juli, endgültig aus dem Deutschen Bund vertrieben. Die Streitfragen »Schleswig - Holstein« und »Venedig« - Vertrag und Tintenfaß auf dem Pult des Schulmeisters - sind im Sinne Preußens bzw. Italiens entschieden.

Der Hilfslehrer Bismarck, mit dem auch als Rute verwendbaren Zündnadelgewehr in der Hand, bringt Napoleon III. das »Abc« bei: Er treibt ihm die Flausen und Träume aus, die er vor dem Krieg hatte, und macht ihn mit barschen Worten auf die neuen Machtverhältnisse aufmerksam. Die Mittel- und Kleinstaaten auf den Schulbänken, die die »Kriegsunkosten« zu tragen hatten, werden einverleibt. Preußen wird sich, folgt man den Wandkarten im Klassenzimmer, über ganz Europa, ja bis nach Amerika ausdehnen

Wilhelm: Hör zu, Franz du Flegel – es scheint, daß du dich noch nicht still verhalten kannst nach der Tracht Prügel, die du bekommen hast ... auf die Bank mit dir. Und wagst du es noch öfter, deinen Fuß in den Deutschen Bund zu setzen, bekommst du es mit mir zu tun. (zu den Schuljungen auf der Bank:) Ruhe, ihr Halunken, jetzt rede ich!

Bismarck: Komm Du nun, Louis - mit Dir habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen, ich will dich jetzt in »Weltgeschichte« prüfen, - was weißt Du von der neuesten Geschichte?

Louis: Während des Krieges unter den Deutschen war Napoleon der Dritte derjenige, der den streitenden Parteien imponierte, indem diese sich nicht nur um seine Freundschaft bewarben, er war auch derjenige, der durch seine drohende Haltung, durch das Ansehen seiner Macht und durch sein diplomatisches Geschick die Parteien zu einem Frieden nach seinem eigenen Willen zwang, so daß Österreich seinen Platz im Deutschen Bund behielt …

Bismarck: Wie bitte? ... Was faselst Du da? Das ist nicht nach meinem Geschmack! Der Friede wurde nach folgenden Bedingungen geschlossen: »Österreichs Ausschluß aus dem Deutschen Bund, Preußen annektiert die Erbherzogtümer und das Kurfürstentum Hessen, arrondiert sich ferner in Hannover und nimmt das österreichische Schlesien in Besitz, wenn Österreich nicht die Kriegsschäden in der festgesetzten Zeit erstattet; Preußen bekommt das militärische Oberkommando in Norddeutschland, und alle norddeutschen Staaten lassen sich an ausländischen Höfen durch Preußen vertreten.« Du bekommst jetzt eine »Fünf« - und kommst Du noch einmal mit solch einem Unsinn, werde ich Dir, solange ich mich rühren kann, mit dem Rohrstock oder mit dem Zündnadelgewehr den Buckel einheizen! Kehrt, Marsch! Setz' Dich hinten in die Klasse - neben das kleine Lippe-Detmold!“

pauli585 
Fragesteller
 08.01.2024, 20:02

Wow, ganz lieben Dank, das hilft mir sehr weiter.

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