Ist die Liebenzelĺer Mission eine Sekte? Wieso missioniert diese Freikirche auch im Audland?

5 Antworten

Vorab: Ich bin in die Liebenzeller Mission hineingeboren worden, da meine Eltern praktizierende Mitglieder waren: Als Kind erlebte ich oft tiefe Ängste vor ewiger Verdammnis, vor Entrückung der wahren wenigen 100%igen Christen und als Kind zurück gelassen zu werden in der danach prophezeiten apokalyptischen Endzeit, dauernde Schuldgefühle und Verbote bei banalen "weltlichen" Dingen wie Lust auf Fußballverein oder Lust sich an Karneval zu verkleiden und mitzuspielen. Richtig übel wurde es in der Pubertät: Druck sich ständig zu Jesus zu bekennen und zu missionieren, aufdoktruierte fundamentalistsiche Dogmen zu vertreten, mit Schuldgefühlen, Verboten und Unterdrückung belegte aufkeimende Sexualtität. Um unter diesem Verdammnisdruck nicht zusammenzubrechen, fingen die Jugendlichen in Selbstverleugnung und Verwindung an, Dinge zu bezeugen und zu missionieren und innerlich war die Angst und der Gewissensdruck riesig, weil die Diskrepanz zwischen dem, wie man sein musste und was vertreten werden musste, zu dem, wie es innen aussah, immens war (Angst von Gott nicht angenommen zu sein, nie gut genug zu sein, gequält von aufgepressten Schuldvorstellungen und Schuldgefühlen z.B. in Kontakt mit der aufschiessenden Sexualtiät).
Wie ich da einigermaßen rausgekommen bin? Ein Aspekt: Mit 17 kannte ich die Bibel besser als der Prediger. Ich habe sie durchgepflügt von vorne bis hinten. Ich habe versucht in der Tiefe Jesus zu erfassen, zu erfühlen, zu verstehen und natürlich (weil man das ja musste) zu kontaktieren. Und so paradox das klingen mag: er hat mich tatsächlich befreit. Befreit von fundamentlistischem Bibelmissbrauch, befreit von einem Gottesbild, angeblich liebend und alle auf alle Ewigkeit verdammend und in der Hölle quälend (die schlimmsten Diktatoren der Weltgeschichte können so teuflisch nicht sein!), die sich nicht missbrauchen lassen für diesen Seelenmissbrauch. DAS ist sehr dunkle Magie; im angeblichen Namen der christlichen Religion! Jedenfalls konnte ich "mit seiner Hilfe" langsam Schritte aus diesem fundamentistischen Schlamassel gehen.
Dass ein Mensch und sein Herz und seine Seele so sein/werden kann, ist ein weit größeres Wunder, als dass ein angeblicher Gott sich in einen Menschenkörper hineingebähren lässt, um seine Lehren/Liebesvorstellung/"Theologie"(Hallo Herr Paulus) deutlich zu machen. Jesus ist weit größer, berührender, göttlicher und herausfordernder, wenn man ihn bewahrt vor religiöser Instrumentalisierung wie etwa den christlichen Kerndogmen.

Ein weiterer Aspekt: in der 11. Klasse waren im evangelischen Religionsunterricht Sekten auf dem Lehrplan. wir diskutierten die 10 Kriterien der evangelischen Landeskirche zur Erkennung von Sekten (damit wir uns orientieren konnten, wenn Mitglieder z.B. der Kinder Gottes uns werben wollten). Als ich mit diesen Kriterien meine Erfahrungen mit der Liebenzeller Mission überprüfte, kam ich ganz klar zu dem verblüffenden wie mein Denken erhellenden Schluss, dass ich in einer stark sektenverdächtigen christlichen Gemeinschaft aufgewachsen bin.
Trotz aller Unterstützung: sich aus so etwas in sein eigenes Leben hinauszubewegen ist nicht leicht: als schwarzes Schaf, als Enttäuschung und zum Entsetzen für die Eltern, mit dem Bemühen noch an ein selbstbestimmtes Leben und lustvolle schuldgefühlfreie Sexualität anzuknüpfen. Und trotz aller Auseinandersetzung schwebt manchmal noch das Damoklesschwert über mir, dass nach dem Tod doch noch ein jüngstes Gericht nach den Kriterien einer fundamentalistschen Missiongesellschaft mich ereilen könnte.

In den 60er und 70er Jahren war die LM sektenartig und hat ungestraft emotionalen Missbrauch, religiösen Missbrauch und Seelenmissbrauch betrieben. Inwieweit sich das verändert hat, weiß ich nicht.

Ich kann nur jeder/m Raten, die oder der sich mit Religion und Spiritualiät beschäftigt, die Strukturen gründlich zu prüfen und mit bekannt gewordenen Fällen von religiösem Missbrauch zu vergleichen.
Ich halte mich tendenziell an die Mystiker aller Religionen. Die Öffnung für die direkte Erfahrung des Göttlichen, da wo das Göttliche und die Seelenebene eins sind. "Mein Reich ist nicht von dieser Welt". Mit den Ebenen des weltlichen ist aber nichts verkehrt; sie sind nur nicht die Ebene wo der Atem der Seele und die bedinungslose Liebe "wohnen" und erfahren werden können. Dieser Raum ist für jedes Wesen offen, ganz sicher völlig unabhängig von Religionszugehörigkeit. Insofern ist forcierte Missionaktivität für mich ein klares Ausschlusskriterium für ernstzunehmende Religiösität / Spiritualität.


Ich habe die Liebenzeller Mission sehr positiv kennengelernt. Auch ich komme aus einem Sektenhintergrund (ksb), aus dem ich mich erst einmal befreien musste.
Jetzt studiere ich in Liebenzell, und nehme die Atmosphäre dort sehr positiv wahr. Man kann gut über unterschiedliche theologische Ansichten diskutieren, wird zur Eigenverantwortung erzogen und persönlich gefördert.
Das Gott Menschen auf ewig in der Hölle quält glaube übrigens auch ich nicht. Den Vergleich mit den schlimmsten Diktatoren der Welt habe ich auch oft gezogen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Die LM ist keine Freikirche, sondern ein Werk innerhalb der ev Landeskirche. Bis zur großen Umgestaltung 1999 war sie ein "bibeltreues" Werk, welches tatsächlich eine sehr konservativ-exklusive Position vertrat. Das kann man kritisieren, liegt aber in der Natur der Sache. Wer die Bibel anders sieht, musste woanders hingehen, wo man alles "liberaler" sah. Heute ist alles anders: die LM hat sich nach außen geöffnet, ist wissenschaftlich anerkannte Hochschule und ist auf allen Feldern selber liberal geworden. Was sie noch von anderen Werken unterscheidet, ist ihre "pietistische Prägung" und ein paar Begriffe, die ältere Spender noch hören wollen. Mission im Ausland wird heute anders verstanden als früher. Einer der Leiter, Volker Gäckle, erläutert das alles ganz anschaulich im YT-Video "Der Frust der Frommen". btw: ich habe nach 50 Jahren der LM den Rücken gekehrt. Ich gehe jetzt in eine echte Freikirche mit (noch) bibeltreuer Ausrichtung.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Die Liebenzeller Mission hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt, z. B. hat sie 2017 ihre dunkle nationalsozialistische Vergangenheit aufgearbeitet und öffentlich gemacht (Egelkraut, H: Liebenzeller Mission und Nationalsozialismus, ISBN: 978-3643129802), sie haben eine neue Glaubensbasis veröffentlicht, die sich am apostolischen Glaubensbekenntnis orientiert. Sie ist heute viel pluraler als noch vor 50 Jahren. Mission betreiben sie in Partnerschaft mit den Kirchen vor Ort und wollen Kulturen nicht zerstören, sondern bereichern. Ihre Wurzeln liegen zwar im Pietismus, seit Gründung der IHL 2011 werden jedoch immer mehr junge Menschen aus allen christlichen Bewegungen als Studenten aufgenommen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Die Liebenzeller Mission gehört zur Gemeinschaftsbewegung und gehört - mindestens über den Gnadauer Verband - Teil der ev. Kirche.

Mission ist der Grundauftrag der Bibel, allen Menschen von Jesus Christus zu erzählen. Das ist einer der Schwerpunkte der Liebenzeller Mission. Mehr und genaueres erfährst Du ganz einfach, wenn Du auf Ihre Webseite gehst: www.liebenzell.org