Geschichte erklären?

earnest  31.10.2022, 14:31

Was genau verstehst du denn nicht?

Txbxa 
Fragesteller
 31.10.2022, 14:34

Ich verstehe die Zusammenhänge nicht ganz. Was ist der Gegenstand der Geschichtswissenschaft? Oder was das subjektive Gefühl mit dem Tempo der Geschichte zu tun hat.

2 Antworten

  1. hängt meines Erachtens mit einem individuellen Beschleunigungsbewusstsein zusammen, das in etwa kollektivierend dort einsetzt, wo die Weltbevölkerung und ihre Lebenserwartung immer weiter steigt, während die Welt immer sich immer mehr Menschen erschließt und somit Aufeinandertreffen und Austausche frequentierter geschehen als zuvor. Dazu könnte man sich die Frage stellen, wie lange man braucht, um einen anderen Menschen über etwas zu informieren oder etwas zu ihm zu transportieren und dies mit mehreren Ortsabhängigkeiten zu durchdenken. Das ist aber eine Perspektive, eine Interpretation der Weltbegebenheiten, da man bestimmte Entwicklungen wie die Entwicklungen von Techniken als wertvoll interpretiert und somit eine in dieser Hinsicht positiv gedachte Entwicklung der modernen Welt als zunehmend schneller (insb. im Vergleich zum Mittelalter) wahrnimmt. Historisch sind solche Bewusstseinsströme korrelierend mit Städtewachstum (somit auch in der Antike zu finden). Es gibt keinen festen Punkt, auf den "Geschichte" hinläuft. Die Ergründung und somit die Interpretation von Geschichte liegt immer in der Gegenwart und gegenwärtigen Interessen einer Person, die umfassend von den sozialen Strukturen seiner Gegenwart abhängen. Einige Menschen denken die Gegenwart als Produkt der Lehren der Geschichte, weswegen manche von ihnen wiederum mit einer Defizitorientierung auf Vergangenes blicken, womit wir wieder zur Interpretation von Wertigkeit kommen.
  2. Denke mal etwas über den Stichpunkt nach, dass Geschichte das Produkt von Ursache und Wirkung ist. Insbesondere auch darauf bezogen, dass Geschichte perspektivenabhängig im Nachhinein als solche durch Beurteilung konstruiert wird, da man nie genau das darstellen kann, was passiert ist, sondern nur das wiedergeben und interpretieren kann, was beobachtet wurde. Ein historisches Ereignis hat daher auch nie nur einen Grund, sondern eine Vielfalt an Gründen, die sich über unterschiedliche Perspektiven erforschen lassen.
  3. Dabei kommen wir zur Multiperspektivität. Es ist ein Grundprinzip der Geschichtswissenschaft und bedeutet quasi, dass mehrere Perspektiven in Betracht gezogen werden müssen, um ein Ereignis bestmöglich nachvollziehen zu können und daraus eine eigene Interpretation, eine eigene Geschichte zu formen. Jeder Mensch hat seine eigene Weltsicht, seine eigenen Voraussetzungen und seinen eigenen Umgang mit den Strukturen der Welt und ihrer Gesellschaften, sodass jeder Mensch auch mit einem eigenen Blick Interpretationen von Vergangenem (= Geschichte) betrachtet und einordnet. Geschichte ist somit auch ein Produkt unterschiedlicher Standpunkte. Wenn Historiker Ereignisse nachvollziehen möchten, sollten sie möglichst viele Quellen in Betracht ziehen (auch nach Herkunft, Klasse, Weltanschauung, Sprache, Kultur, Meinung usw.) und möglichst viele Perspektiven beachten, um daraus ein historisches Urteil zu entwickeln, um die eigene Interpretation zu verschriftlichen. Dabei können manche Quellen z. B. mehr Aussagekraft haben als andere. Wenn du dir davon etwas verinnerlichst, dann: Geschichte ist nur perspektivisch fassbar.
Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Historiker (MA), Autor, Film- und Medienkritiker
Txbxa 
Fragesteller
 31.10.2022, 15:45

Du hast das besser erklärt als mein Geschichtlehrer es jemals könnte. Danke für die Hilfe!

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  • Was ist der Gegenstand ...: Womit beschäftigt sich ...?
  • Subjektives Gefühl ... : Beispielsweise das Gefühl, dass sich seit der Erfindung des Computers die technologische Entwicklung rasant beschleunigt hat.

Gruß, earnest