Biologie Evolution (Art)?

2 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Das ist aber eine wirklich umfangreiche Frage, die du da stellst.

Damit aus einer Stammart zwei (oder mehr) neue Arten entstehen, muss es durch Isolation zu einer Auftrennung der Population der Stammart in zwei Teilpopulationen, sagen wir Population A und Population B, kommen. Das heißt, dass Individuen der neuen Population A sich nur noch mit Individuen der Population A fortpflanzen dürfen, aber nicht mehr mit Individuen der Population B. Auch die Individuen der Population B dürfen sich nur noch untereinander, aber nicht mehr mit Individuen von Population A fortpflanzen. Von zwei neuen Arten sprechen wir dann, wenn beide Populationen sich so lange voneinander jeweils unabhängig entwickelt haben, dass die Isolation der Populationen bestehen bleibt, selbst, wenn der ursprDas üngliche Grund für ihre Isolation aufgehoben wird. Selbst wenn die beiden Arten nun wieder aufeinander treffen, dann bleiben sie in ihrer Fortpflanzung voneinander getrennt, kreuzen sich also nicht. Man sagt: die beiden Arten sind reproduktiv voneinander isoliert.

Gründe für die Isolation zweier Populationen, die ursprünglich mal eine bildeten, können vielfältig sein. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen drei Speziationsarten (Artbildungsarten): allopatrischer, sympatrischer und (als Spezialfall) parapatrischer Artbildung.

Bei der allopatrischen Artbildung erfolgt die Entwicklung zweier Arten räumlich voneinander getrennt. Zur Isolation führen somit meist geographische Barrieren, die verhindern, dass Individuen der Population A die Individuen der Population B erreichen können und umgekehrt. Solche geographischen Barrieren können z. B. Gebirgsketten sein, die sich auffalten oder ein Graben, der sich auftut. Auch Inseln, die ringsherum von Wasser umgeben sind, können zur geographischen Isolation führen. Und auch Flüsse können Populationen trennen. Beispielsweise hat der Kongofluss die Populationen der "Ur-Schimpansen" voneinander getrennt. Aus den Populationen nördlich, westlich und östlich des Kongo hat sich daraus der Gemeine Schimpanse entwickelt. Auf der anderen Uferseite im Süden entstand als eigenständige Art der Bonobo oder Zwergschimpanse. In den Seen des Ostafrikanischen Grabenbruchs (Tanganjika-, Malawi- und Victoria-See) hat wiederholtes Austrocknen der Seen dazu geführt, dass die dort lebenden Buntbarschpopulationen, die in den verbliebenen Resttümpeln überdauerten, voneinander getrennt wurden und sich ganze Artenschwärme auf hunderten von verschiedenen Spezies entwickeln konnten.

Nicht immer muss die räumliche Trennung aber durch geographische Barrieren erfolgen. Auch klimatische Veränderungen können dazu führen, dass Barrieren entstehen, die für Individuen nicht überbrückt werden können. Als die Eiszeit in Mitteleuropa dazu führte, dass das Klima deutlich kälter wurde, starben die Individuen jener Arten, die an das kalte Klima nicht angepasst waren, aus. Individuen dieser Arten überlebten nur in einigen Refugialräumen in Südeuropa. Diese Refugien lagen zum einen auf der Balkanhalbinsel im Osten, in Italien und auf der Pyrenäenhalbinsel im Westen.
Als das Klima in Europa wieder milder wurde, konnte von den Refugialräumen aus Mitteleuropa wieder erneut besiedelt werden. Wenn die Individuen aus unterschiedlichen Refugialräumen kamen und dann in Mitteleuropa wieder aufeinander trafen, konnte es sein, dass sich aus ihnen in der Zwischenzeit neue Arten entwickelt hatten, die sich nun auch nach Aufhebung der trennenden Schranke nicht mehr miteinander vermischen konnten. Ein Beispiel dafür ist die Gattung der Grünspechte (Picus), von der es in Mitteleuropa zwei Arten gibt: den Eigentlichen Grünspecht (Picus viridis) und den Grauspecht (Picus canus). Beide stammen wahrscheinlich von einer gemeinsamen Stammart ab, die in Mitteleuropa verbreitet war, deren Populationen dann aber wegen der Eiszeit in unterschiedliche Refugialräume zurückgedrängt wurden. Dort entwickelten sich aus den getrennten Populationen dann die beiden heutigen Arten, die auch getrennt blieben, nachdem sie in Mitteleuropa einander wieder begegneten. Heute sind Kreuzungen zwischen den beiden Arten daher sehr selten und wahrscheinlich ist der Nachwuchs aus Mischbruten nur eingeschränkt überlebensfähig.
Ein weiteres Beispiel dieser eiszeitlichen Artbildung sind die Smaragdeidechsen (Lacerta viridis-Artkomplex). Ursprünglich eine gemeinsame Stammart bildend, entwickelte sich im Westen die Westliche Smaragdeidechse oder Zweistreifen-Smaragdeidechse (Lacerta bilineata), während auf dem Balkan die Östliche Smaragdeidechse oder Gewöhnliche Smaragdeidechse (Lacerta viridis) entstand.

Bei der sympatrischen Artbildung erfolgt die Speziation im gleichen Lebensraum. Geographische Barrieren als Ursache für die Isolation scheiden dann aus. Die Isolation muss also auf anderen Wegen zustande kommen. Eine Möglichkeit ist die Nischendifferenzierung. Die Individuen einer Art sind ja nicht alle exakt gleich, sondern leicht verschieden und können so unterschiedliche ökologische Nischen besetzen, z. B. verschiedene Nahrungsquellen nutzen.

Die Radiation der Galápagos- oder Darwin-Finken (Geospizini) auf dem Galápagos-Archipel ist ein klassisches Beispiel für sympatrische Artbildung, wenngleich hier auch allopatrische Artbildung eine Rolle gespielt hat, denn nicht alle Arten sind auf allen Inseln vertreten. Auf verschiedenen Inseln haben sich demnach auch räumlich voneinander getrennt verschiedene Arten gebildet, was nichts anderes als allopatrische Speziation ist. Aber auch auf derselben Insel haben sich auf sympatrischem Weg verschiedene Arten gebildet.
Auf den Inseln leben heute insgesamt 17 Arten, eine weitere, Pinaroloxias inornata, lebt auf der Kokos-Insel, die alle von einer gemeinsamen Stammart abstammen, die auf dem südamerikanischen Festland lebte. Es sind übrigens keine Finken, sondern eigentlich gehören die Darwin-Finken zu den Tangaren (Thraupidae). Irgendwann müssen, vermutlich durch einen Sturm, ein paar Individuen der Stammart vom Festland auf die Galápagos-Inseln verdriftet worden sein. Dort haben sie sich dann in die verschiedenen heute lebenden Arten aufgespalten.

Um der innerartlichen Konkurrenz zu entgehen, haben die verschiedenen Individuen sich von unterschiedlichen Dingen ernährt. Dabei half ihnen, dass die Individuen wie schon erwähnt nicht exakt gleich aussahen, sondern alle ein kleines bisschen anders aussahen. Individuen mit einem etwas größeren Schnabel ernährten sich von etwas größeren Samen, z. B. von denen des Burzeldorns (Tribulus cistoides). Andere hatten einen etwas kleineren Schnabel, der besser zum Aufpicken ganz kleiner Samen geeignet war. Durch natürliche Selektion entstanden so verschiedene Populationen mit unterschiedlich geformten Schnäbeln (diejenigen Individuen der Populationen, deren Schnabelgröße am besten zur genutzten Nahrung passte, hatten den größten Überlebens- und somit auch den größten Fortpflanzungserfolg, wobei sie ihre Gene (und damit die Schnabelgröße) an ihre Nachkommen weitergaben), die alle eine unterschiedliche Nahrungsnische besetzten. Zur Isolation der einzelnen Populationen hat sicher auch sexuelle Selektion beigetragen. Einmal traf ein Vogel mit einem großen Schnabel bei der Nahrungssuche natürlich eher auf einen Vogel, der ebenfalls einen großen Schnabel hatte und paarte sich deshalb mit größerer Wahrscheinlichkeit auch mit einem solchen Großschnabel. Zum anderen bevorzugen Individuen einer Art bei der Fortpflanzung meist Artgenossen, die so ähnlich aussehen wie sie selbst, man bezeichnet das als assortative Paarung. Anhand der Ähnlichkeiten "erkennen" sie vermutlich, dass sie zur selben Art gehören (man nennt das species recognition concept, zu Deutsch Arterkennungskonzept). Und so blieben auch die mit kleinen Schnäbeln eher unter sich usw. Durch "Inselhüpfen" wurden dann nach und nach weitere Inseln des Archipels besiedelt. Bis heute kommen aber nicht alle Arten auf allen Inseln vor, es gibt aber auch heute noch Arten, die eine Insel neu besiedeln und damit auch die Evolution der anderen Arten beeinflussen.

Das Forscherehepaar Rosemary und Peter Grant hat auf der Galápagos-Insel Daphne Major seit 1973 jedes Jahr die Schnabellänge der dort lebenden Mittleren Grundfinken (Geospiza fortis) vermessen und aus den Daten die durchschnittliche Schnabellänge der Population berechnet. Für gewöhnlich ernährt sich diese Art mit einem mittelgroßen Schnabel sowohl von kleineren als auch von größeren Samen. In der Saison 1977/78 herrschte eine lange Trockenperiode und viele Pflanzen vertrockneten, v. a. solche, die kleine Samen produzierten. Übrig blieben die Samen des Burzeldorns, die jedoch sehr groß sind. Die Daten zeigen ganz klar, dass genau zu dieser Zeit die durchschnittliche Schnabelgröße der Mittleren Grundfinken zunahm. Diejenigen, die einen größeren Schnabel hatten, konnten die Samen des Burzeldorns fressen und überlebten die Dürre. Die anderen, die einen kleinen Schnabel hatten, mussten Hunger leiden. Sie verhungerten oder hatten zumindest einen deutlich geringeren Fortpflanzungserfolg. In den nachfolgenden Jahren wurde es auf der Insel wieder feuchter, das Nahrungsangebot verbesserte sich und die durchschnittliche Schnabelgröße näherte sich dem Wert vor der Dürre wieder an.
Dann kam es 2004/05 erneut zu einer Dürre. Und diesmal passierte etwas Seltsames. Die durchschnittliche Schnabelgröße der mittleren Grundfinken nahm nicht zu (wie nach 1977/78), sondern ab. Was war diesmal anders? In der Zwischenzeit war der Großgrundfink (Geospiza magnirostris) nach Daphne Major eingewandert, der auf der Insel zuvor nicht vorkam. Großgrundfinken haben unter allen Darwinfinken den größten und kräftigsten Schnabel. Sie sind gewissermaßen richtige "Nussknacker" und im Knacken der Samen des Burzeldorns unschlagbar. Die Großgrundfinken sind deshalb viel konkurrenzfähiger und die Mittleren Grundfinken, selbst diejenigen mit dem allerkräftigsten Schnabel, hätten gegen sie immer den Kürzeren gezogen. Deshalb passten sich die Mittleren Grundfinken an, indem sie einen kleineren Schnabel bekamen und so der Konkurrenz durch die Großgrundfinken entgehen konnten. Zwar war der Überlebenserfolg der Mittleren Grundfinken damit deutlich niedriger, denn natürlich gab es trotzdem nur wenige kleine Samen. Ihr Überlebenserfolg war aber immer noch größer als er gewesen wäre, wenn ihre durchschnittliche Schnabelgröße zugenommen hätte und sie im Konkurrenzkampf um die großen Samen des Burzeldorns stets verloren hätten - ein bisschen was ist eben immer noch besser als gar nichts.

Ein Spezialfall ist die parapatrische Artvildung, bei der die Verbreitungsareale der beiden sich im Artbildungsprozess befindlichen Populationen aneinander grenzen. Die Artbildung erfolgt somit nicht voneinander getrennt und nicht miteinander, sondern nebeneinander.
Parapatrische Artbildung kann v. a. dort auftreten, wo das Verbreitungsgebiet einer Art sehr groß und zusammenhängend ist. In einer idealen Population würde Panmixie herrschen, d. h. alle paaren sich mit allen. Der Genpool der Population wäre somit homogen und überall im Verbreitungsgebiet gleich. In Wirklichkeit gibt es aber keine Panmixie. Grund dafür ist, dass das Dispersal der Individuen limitiert ist. Dispersal bezeichnet das Abwandern der Individuen vom Geburtsort mit Erreichen der Geschlechtsreife. Auf diese Weise soll Inzucht vermieden werden. Ein Individuum kann aber nicht beliebig weit abwandern, sondern nur innerhalb eines bestimmten Umkreises. Kleine, wenig mobile Arten kommen bei der Abwanderung entsprechend nicht besonders weit, manchmal nur wenige Meter. Am ehesten können noch Vögel beim Dispersal weite Strecken zurücklegen, aber auch ihre Ausbreitungsmöglichkeiten sind in der Regel begrenzt. Ein Individuum kann sich also nicht mit allen Individuen der Population fortpflanzen, sondern nur mit denjenigen Individuen, die sich auch in seinem Dispersal-Aktionsradius befinden. Auf diese Weise nimmt mit zunehmender geographischer Distanz auch die genetische Distanz der Individuen zueinander zu, ganz ohne dass es eine geographische Trennung gäbe (man nennt das IBD oder isolation by distance).

Außerdem sind die Umweltbedingungen in großen Lebensräumen oft nicht einheitlich, sondern unterscheiden sich entlang eines Gradienten, z. B. von Nord nach Süd entlang eines Temperaturgradienten, wobei es auf der Nordhalbkugel im Norden am kältesten ist und nach Süden hin die Temperatur immer höher wird. Durch lokale Anpassung der Individuen kann sich ein Merkmal über diesen Biogradienten ebenfalls graduell ausprägen, ohne dass dabei eine scharfe Grenze erkennbar wäre. Einen solchen biologischen Merkmalsgradienten nennt man Kline. Beispielsweise sind Individuen einer Art in kalten Gebieten meist etwas größer als in warmen Regionen (Bergmannsche Regel), wobei die Körpergröße von Nord nach Süd aber eben nicht sprunghaft abnimmt, sondern ganz allmählich.
Auch eine Kline kann zur parapatrischen Artbildung beitragen, weil eventuell aus einem anderen Teil des Verbreitungsgebiets einwandernde Individuen an die neuen lokalen Bedingungen nicht so gut adaptiert sind und deshalb einen verringerten Fitnesserfolg haben. Auch ihre Nachkommen sind wahrscheinlich nicht so gut an die lokalen Bedingungen angepasst. Wenn es in unserem Beispiel ein Individuum aus dem Süden nach Norden verschlägt, ist es möglicherweise an die Kälte nicht so gut angepasst. Das mag im Sommer vielleicht noch kein großes Problem sein. Spätestens, wenn der Winter kommt und die Temperaturen nach unten gehen, sieht das ganz anders aus und im allerschlimmsten Fall muss das Individuum aus dem Süden erfrieren - und dann sterben mit ihm auch seine Gene.
Zum Tragen kommt bei der parapatrischen Speziation auch wieder die assortative Paarung, d. h. die Individuen, die an die lokalen Bedingungen am besten angepasst sind bevorzugen bei der Partnerwahl solche Individuen, die an die Umwelt in gleicher weise ökologisch angepasst sind.

All das führt dann dazu, dass sich die einzelnen Teilpopulationen im Verbreitungsgebiet allmählich genetisch auseinander entwickeln. Mit der Zeit könnten sich dann auch nach und nach Fortpflanzungsbarrieren ausbilden und die Trennung in verschiedene Arten wird vollzogen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig
Hahalol12270 
Fragesteller
 15.06.2021, 20:13

Wow echt vielen vielen dank für die schöne Erklärung 💗💗

0

Am Anfang existiert eine Population von Darwin-Finken. Diese Population lebt auf den Galapagos-Inseln. Es ist eine Inselgruppe, wobei dort verschiedene Lebensräume existieren, die andere Nahrungsquellen anbieten.

Allopatrische Artbildung tritt auf, wenn sich eine Population in zwei getrennte Gruppen aufteilt, die dann voneinander isoliert sind. Eine physische Barriere - in diesem Fall große Wasserstraßen zwischen den Inseln- macht es ihnen schwer möglich, sich miteinander zu vermehren und zu vermischen.

Stell dir also vor, dass von dieser ursprünglichen Population eine Gruppe begonnen hat, eine neue Insel zu besiedeln. Weil wegen Nahrung unter den Individuen konkurriert wurde, begannen Gruppen, neue Lebensräume zu suchen (Intraspezifische Konkurrenz). Sie isolieren sich von ihrer ursprünglichen Population und begannen, sich an neue ökologische Nischen anzupassen. Jede Gruppe entwickelt sich dann unterschiedlich, je nach den Anforderungen ihres einzigartigen Lebensraums.

So haben sich beispielsweise Finken mit großen, stumpfen Schnäbel entwickelt, die die harten Schalen von Nüssen und Samen knacken können. Andere Finken haben lange, dünne Schnäbel, die in Kaktusblüten eindringen können. Wieder andere Finken haben mittelgroße Schnäbel, die Insekten fangen und greifen können. Sie wurden auf anderen Regionen der Galapagos-Inseln angepasst.

Diese Seite erklärt es nochmals ausführlich anhand grafischen Darstellungen und einem zusätzlichen Video: ttps://studyflix.de/biologie/adaptive-radiation-2526

Hahalol12270 
Fragesteller
 14.06.2021, 15:18

Vielen vielen Dank für die tolle Erklärung 💗🙏🏻

1